| # taz.de -- Parfum selbst herstellen: Bin ich blumig oder holzig-grün? | |
| > Lange hat unsere Autorin kein Parfum gefunden, das zu ihr passt. Also | |
| > begibt sie sich auf eine „Duftreise“ in einer hippen Berliner Manufaktur. | |
| Bild: Die Autorin zweifelt. „Bin ich nach diesem Schnüffel-Marathon noch zur… | |
| Zu süß, zu schwer, zu beißend oder zu penetrant – ich finde, dass Parfum | |
| oft nicht so gut riecht. Das fällt mir immer dann besonders auf, wenn ich | |
| im Theater sitze und es mal wieder jemand übertrieben hat. | |
| Dabei habe ich Parfums früher geliebt. Wie meinen ersten, eigenen Duft, | |
| „Hugo Boss Woman“, mit dem ich olfaktorisch perfekt zu nahezu jedem Jungen | |
| passte, mit dem ich zwischen 14 und 16 rumknutschte. Später dieselte ich | |
| mich großzügig mit „Miss Dior Chérie“ oder „Acqua di Gioia“ ein – | |
| Hauptsache blumig, fruchtig, zuckerwattepink. Bis diese Düfte eines Tages | |
| nicht mehr zu mir passten. Aber: Was passte dann? Nach unzähligen | |
| Douglas-Besuchen gab ich auf, den traurigen Höhepunkt meiner Probierphase | |
| habe ich noch heute in den Ohren: „Hier riecht es irgendwie nach einem Mix | |
| aus Döner und Haschisch …“ | |
| Jetzt will ich es noch mal wagen, immerhin hat sich inzwischen einiges | |
| getan. Statt sich in freudlosen Filialen die Geruchsnerven wegzuballern, | |
| kann man heute sogenannte Parfum-Manufakturen besuchen. Der heiße Scheiß | |
| für all diejenigen, die sich nicht nur gerne individuell geben, sondern | |
| auch so riechen wollen. | |
| Einer dieser neuen Läden befindet sich in der Nähe des Checkpoint Charlie | |
| in Berlin-Mitte. „Frau Tonis Parfum“ wurde 2009 von Stefanie Hanssen | |
| gegründet und ist nach ihrer Großmutter Toni-Luise benannt. Eine Frau, die | |
| immer großen Wert auf erlesenes Parfum gelegt habe. So erzählt es mein | |
| Duftberater Tim, der mit seiner Wollmütze und dem kleinen Ring im Ohr so | |
| bezaubernd aussieht wie ein Jean-Paul-Gaultier-Matrose. | |
| ## Duftreise zu mir selbst | |
| Tim wird mich bei einer „Duftreise“ zu mir selbst begleiten. Am Ende des | |
| rund einstündigen Workshops soll mein eigener, von mir selbst kreierter | |
| Duft entstanden sein. 160 Euro kostet das, als Journalistin bekomme ich es | |
| umsonst. | |
| Vorab hatte ich mich auf den Cava und das Gourmet-Popcorn gefreut, die es | |
| währenddessen geben soll. Doch als Fotografin Dagmar nur Kaffee bestellt, | |
| bin ich verunsichert und tue es ihr nach. Schließlich sind wir auf Arbeit | |
| hier! Außerdem sei Kaffee wie ein Reset für die Geruchsnerven, sagt Tim – | |
| und das kann bei der „Verkostung“ vieler verschiedener Düfte bestimmt nicht | |
| schaden. | |
| Das „Atelier“, in dem der Workshop stattfindet, sieht aus wie die Fantasie | |
| eines Brooklyn-Enthusiasten: sehr weiß, ellipsenförmige Lampen, die wie | |
| Ufos an der Decke schweben, und ein restaurierter Apothekerschrank, auf dem | |
| viele puristische Glasflaschen stehen: 28 Unisex-Düfte in den Kategorien | |
| „Blumig“, „Zitrisch“, „Holzig-Grün“ und „Orientalisch“. Mal si… | |
| Flüssigkeiten glasklar wie ein Gebirgssee, mal goldgelb wie Blütenhonig. | |
| Wir beginnen blumig. Tim zieht den ersten Glasstopfen aus der Flasche und | |
| gibt ihn mir. „Du musst aber noch kurz warten, bis der Alkohol verflogen | |
| ist.“ „Warum Alkohol?“, frage ich. Dabei ist das eigentlich klar. Aber der | |
| hohe Anteil überrascht mich doch. „So ein Parfum besteht zu etwa 15 Prozent | |
| aus ätherischen Ölen, der Rest ist Alkohol zur Konservierung.“ | |
| Wie viele Inhaltsstoffe in so einem Parfum sind, will ich wissen. „Zwischen | |
| 200 und 400“, sagt Tim. Manche seien natürlichen, andere synthetischen | |
| Ursprungs wie veganer Moschus. Wahnsinn, denke ich, und realisiere erst | |
| jetzt, dass wir mein Parfum nicht von Grund auf entwickeln, sondern aus | |
| bestehenden Düften zusammenbauen. Die Enttäuschung verschwindet mit der | |
| ersten Geruchsexplosion. | |
| „‚Tulpe‘ ist ein frischer Duft. Ein bisschen wie ein Frühlingsstrauß“… | |
| Tim. „Da sind Tulpen drin, Geranien, Veilchen und ein bisschen was Frisches | |
| durch Bergamotte.“ „Der riecht super!“, rufe ich erstaunt. Der nächste i… | |
| dann weniger meins. „Puh“, platzt es aus mir heraus, als ich am Verschluss | |
| schnuppere, der einen speziellen Schliff aufweist, weshalb der Duft gut an | |
| ihm haftet. | |
| „Das ist ‚Linde Berlin‘“, sagt Tim, und dass der Duft vom Boulevard Unt… | |
| den Linden inspiriert sei. Das sei auch deshalb so spannend, weil | |
| Lindenblüte sonst selten benutzt werde. Außerdem werde das Parfum in Berlin | |
| hergestellt, ansonsten kämen die Düfte aus der Schweiz und aus dem | |
| südfranzösischen Grasse. Die Ideen hingegen stammen von der Gründerin | |
| selbst. Sie steht im engen Austausch mit den Parfumeuren, erfahre ich. | |
| Tim: „Hier haben wir einen Vintage-Retro-Duft, der zurück in die 20er Jahre | |
| geht. Das soll der Lieblingsduft von Marlene Dietrich gewesen sein.“ | |
| Ich: „Ah!“ | |
| Tim: „Das ist weniger das Veilchen, was du als Blume kennst, sondern …“ | |
| Ich: „ … kandierte Veilchen?“ | |
| Tim: „Nee, eher wie so Fisherman’s-Friend-Pastillen mit Veilchensamen.“ | |
| Dann lasse ich meine Großmutter aus der Flasche. Parfum „Sminta“ soll an | |
| die frühen Chanel-Düfte erinnern. „Bei den Duftreisen sind vor allem Männer | |
| von ‚Sminta‘ fasziniert“, sagt Tim. | |
| Als ich die erste Kategorie geschafft habe, bekomme ich kurz Panik. Zwanzig | |
| Düfte liegen noch vor mir, dabei fühle ich mich schon jetzt benebelt. | |
| Dann wird es zitrisch. „Cochabamba“ ist von der gleichnamigen Stadt in | |
| Bolivien inspiriert. „Das ist ein ganz klarer, sauberer Duft“, schwärmt | |
| Tim. Als ich die Stadt später google, lese ich etwas von „Wasserkrieg“ und | |
| dass viele Bewohner:innen [1][Schwierigkeiten haben, an Trinkwasser zu | |
| kommen]. Davon war in Tims Beschreibung keine Rede. Zu viel Realität ist | |
| schlecht fürs Duftgeschäft. | |
| Ich: „Wow!“ | |
| Tim: „So ein bisschen die Süße der Frucht.“ | |
| Ich: „Total krass.“ | |
| Tim: „Dieses herbe Aroma von der Schale.“ | |
| Ich: „Super lecker.“ | |
| Dagmar: „Da möchte man sich sofort reinlegen.“ | |
| Ich: „Extrem natürlich.“ | |
| Während des Workshops lerne ich, dass mir oft die richtigen Worte fehlen | |
| („Okay, riecht wie Carsten“), außerdem baue ich langsam, aber sicher | |
| geistig ab: „Ich finde ‚Hamburg‘ super – vermutlich, weil ich aus | |
| Norddeutschland komme.“ – „Bei 'Hamburg’ haben wir etwas sehr Kühles, | |
| Maritimes“, präzisiert Tim. Das Erfrischende des Dufts komme von | |
| Pfefferminze, Sandel-, Zedernholz und Iris. | |
| Auch „Yellow Cordt“, eine neue Kreation, riecht lecker. | |
| „Wie Nachtisch“, sage ich. | |
| „Nee, eher wie Badeschaum“, sagt Dagmar. | |
| Von da an geht’s bergab. Ich wusste vorher schon, was ich nicht ausstehen | |
| kann, doch nachdem mir der Geruch von katholischer Kirche in die Nase | |
| steigt, ist es amtlich: Alles was schwer und pudrig ist, kommt mir nicht | |
| auf die Haut. | |
| Am Ende habe ich sieben Favoriten und hinter „Hamburg“ ein Herz gemalt. Tim | |
| gibt mir ein verspiegeltes Tablett, auf dem er meine Auswahl in | |
| verschiedenen Konstellationen miteinander kombiniert. Nach einigem Hin und | |
| Her entscheide ich mich für eine Mischung aus „Journal“ (zitrisch) und | |
| „Hamburg“ (holzig-grün), wobei Letzteres die Hauptkomponente werden soll. | |
| Tim streicht die beiden Düfte mit einem Glasstäbchen auf meine Haut – | |
| „layern“ nennt sich das –, damit ich überprüfen kann, ob die Kombination | |
| auch gut an mir riecht. „Nicht verreiben“, warnt Tim. „Das macht die | |
| Moleküle kaputt.“ Dann erklärt er mir, dass man Parfum am besten dort | |
| aufträgt, wo die Adern nah unter der Haut liegen, weil es sich dort wegen | |
| der Wärme am besten entfalten kann. | |
| Ich rieche an meinem Handgelenk und finde die Mischung gut. Aber bin ich | |
| nach diesem Schnüffel-Marathon noch zurechnungsfähig? Tim beruhigt mich: | |
| „Das sind zwei eher ruhige Düfte. Die vertragen sich!“ Dann verschwindet er | |
| ins „Labor“, wo er mein individuelles Parfum kreiert. Leider ist dieses | |
| „Labor“ streng geheim. Tim versichert mir aber, dass dort sowieso nicht | |
| viel passiere. | |
| Ich freue mich wie ein kleines Kind, als ich endlich den Flakon mit meinem | |
| Duft in den Händen halte. „Scents for Individualists“ steht darauf | |
| geschrieben und ich kann kaum erwarten, ihn aufzusprühen. Doch bis sich die | |
| Moleküle verbunden haben, muss ich noch 48 Stunden warten, sagt Tim. | |
| Zwei Tage später diesele ich mich feierlich ein: Schwarze Johannisbeere und | |
| Rosa Pfeffer verbreiten sich im Raum. „Irgendwie lecker, aber auch ein | |
| bisschen flach“, sagt mein Testschnüffler. Mir schwant, [2][dass | |
| Do-it-yourself nicht immer die beste Idee ist]. Mein Parfum riecht wie ein | |
| simples Duschgel. | |
| 26 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.riffreporter.de/de/international/trinkwasser-wirtschaft-bolivie… | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=Z_VUvZuQWeM | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
| ## TAGS | |
| Parfum | |
| Geruch | |
| Individualismus | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Parfum | |
| Parfum | |
| Geruch | |
| Parfum | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Marketing in der Parfumindustrie: Natürlich synthetisch | |
| Neue Düfte entstehen heute im Labor. Viele Landwirte in Grasse geben auf, | |
| Rosen oder Jasmin anzubauen, doch eine Landwirtin stemmt sich dagegen. | |
| Werbung für Parfum: Erotik und Ekstase | |
| Parfumwerbung will etwas verkaufen, das man nicht sehen kann. Also muss ein | |
| Versprechen her. Früher Eleganz, inzwischen geht es viel um nackte Haut. | |
| Allergien gegen Duftstoffe: Flüchtige Gefahr | |
| Duftstoffe sind Chemikalien und werden gesetzlich geregelt. Man bekommt sie | |
| damit aber nicht so recht zu packen. Für Allergiker ist das ein Problem. | |
| Großmutter über Gerüche: „Meine Kindheit riecht sehr erdig“ | |
| Unsere Autorin hat mit ihrer Großmutter über Geruch und Erinnerung | |
| gesprochen, über Bohnerwachs, Trümmer und das Älterwerden. | |
| Wie Menschen riechen: Parfümiert Euch! | |
| Muss man Körpergeruch aushalten wie Schamhaare? Nein! Parfum ist schon in | |
| der Weihnachtsgeschichte ein Geschenk des Himmels. |