# taz.de -- Bafög-Reform im Bundestag: Etwas Lob, viel Kritik | |
> Im Bundestag steht die Bafög-Reform zur Debatte. Die Bildungsministerin | |
> will die Finanzhilfe in Notsituationen für mehr Studierende ermöglichen. | |
Bild: Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) öffnet in Notlagen das … | |
BERLIN taz | Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Am Mittwochmittag trat | |
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vor die Presse, um | |
Details für den neuen Notfallmechanismus für Studierende vorzustellen – | |
also unmittelbar, nachdem ihre Bafög-Reform gerade mehrere Stunden | |
kontrovers im Bundestag debattiert wurde. | |
Es hatte den Anschein, als wollte Stark-Watzinger versuchen, die | |
Studierenden mit einer guten Nachricht von der Kritik am Bafög abzulenken. | |
Am Dienstag erst hatte der Paritätische Wohlfahrtverband gemeldet, dass | |
rund [1][30 Prozent der Studierenden von Armut] betroffen sind, und | |
dringende Nachbesserungen beim Bafög angemahnt. Und auch die acht | |
Sachverständigen im Bundestag übten scharfe Kritik an der jüngsten | |
Bafög-Reform. | |
Die Bundesregierung plant, die Wohnpauschale auf 360 Euro im Monat und die | |
Fördersätze um fünf Prozent zu erhöhen. Auch die Freibeträge bei Einkommen | |
der Eltern sollen um 20 Prozent steigen und Studierende künftig Vermögen | |
bis zu 45.000 Euro besitzen dürfen. Zudem will die Ampel das Förderalter | |
auf 45 Jahre heraufsetzen. | |
Dadurch sollen wieder mehr Studierende Bafög erhalten. Aktuell werden nur | |
elf Prozent der Studierenden gefördert. Mit der Reform will Stark-Watzinger | |
[2][eine „Trendwende“] einläuten. In einer zweiten Bafög-Reform sollen | |
weitere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden, etwa | |
Erleichterungen beim Studienfachwechsel. | |
## Expert:innen sind sich einig | |
Es ist ein Punkt, den sich Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen | |
Studentenwerks, schon jetzt gewünscht hätte. Ebenso wie die Verlängerung | |
der Bafög-Zahlungen über die Regelstudienzeit hinaus. Die aktuelle Reform | |
bezeichnete Anbuhl vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und | |
Technikfolgenabschätzung am Mittwoch deshalb als „Licht und Schatten“. | |
Die Erhöhung der Freibeträge lobte er. Doch bei den Fördersätzen sieht er | |
dringenden Handlungsbedarf. „Es gibt unter Studierenden eine Form der | |
strukturellen Armut“, so Anbuhl. Das habe zuletzt die Pandemie offen | |
gelegt. Er empfahl, die Bedarfssätze künftig empirisch zu ermitteln. | |
Die zu niedrigen Fördersätze sind einer der Kritikpunkte, bei denen sich | |
[3][die Sachverständigen] – darunter die Studierendenverbände fzs und RCDS, | |
der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Initiative Arbeiterkind und der | |
Deutsche Gewerkschaftsbund – einig sind. „Die Erhöhungen reichen nicht mal | |
aus, um die Inflation auszugleichen“, stellte Hochschulpräsidentin Ulrike | |
Tippe fest. Mehrere Sachverständige forderten eine regelmäßigere Anpassung | |
der Sätze. | |
Einigkeit herrschte weitgehend auch in der Analyse, dass diese 27. | |
Bafög-Novelle die notwendigen strukturellen Reformen ausspare. „Wenn alle | |
ihr Grundrecht auf Bildung durchsetzen sollen, muss man diese Reform als | |
unzureichend bezeichnen“, sagte Lone Grotheer vom fzs. HRK-Vertretreterin | |
Tippe bedauerte, dass das Versprechen der Ampel, das Bafög | |
elternunabhängiger zu machen, derzeit „nicht auf der Agenda des | |
Ministeriums“ stehe. Und Katja Urbatsch von Arbeiterkind verwies auf die | |
Verschuldungsängste bei finanziell schwachen Familien. | |
## Angst vor Verschuldung | |
Die Ampelregierung hatte im Koalitionsvertrag versprochen, den Anteil des | |
Darlehens, den Bafög-Empfänger:innen nach dem Studium zurückzahlen müssen, | |
zu verringern. In der aktuellen Reform kommt der Punkt aber nicht vor. | |
Manchen geht das ohnehin nicht weit genug. Im Bildungsausschuss wurde | |
deshalb auch die Forderung laut, Bafög wieder als Vollzuschuss zu gewähren, | |
der nicht zurückgezahlt werden muss. | |
Das fordert auch Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der | |
Linkspartei im Bundestag. „Die geplanten Bafög-Änderungen lösen nicht das | |
Problem, dass 30 Prozent der Studierenden unter der Armutsgrenze leben“, | |
sagte Gohlke der taz. „Die realen Lebenshaltungskosten und Mietpreise | |
blendet die Regierung weiterhin aus“. | |
In den Blick nimmt die Bundesregierung nun aber Studierende in Not. Wie | |
Bildungsministerin Stark-Watzinger am Mittwoch mitteilte, sollen | |
Studierende und auch Schüler:innen in einer „bundesweiten Notlage“ – wie | |
der Pandemie – unkompliziert Bafög erhalten, auch wenn sie ansonsten keinen | |
Anspruch darauf hätten. Voraussetzung ist allerdings, dass der Bundestag | |
vorher eine solche Notlage beschlossen hat. | |
Stark-Watzingers Vorgängerin Anja Karliczek (CDU) hatte die Öffnung des | |
Bafög in der Notlage noch [4][vehement abgelehnt]. Im Vergleich zu ihr kann | |
Stark-Watzinger möglicherweise nun ein paar Sympathiepunkte sammeln. Die | |
Kritik an der Bafög-Reform wird deshalb aber kaum verstummen. | |
18 May 2022 | |
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[2] /Kabinett-beschliesst-Bafoeg-Erhoehung/!5843502 | |
[3] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw20-pa-bildung-bafoeg-8… | |
[4] /Kritik-an-Nothilfe-fuer-Studierende/!5689198 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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