| # taz.de -- Bettina Stark-Watzinger über Bafög-Reform: „Es geht nicht immer… | |
| > Die Bundesministerin für Bildung und Forschung über die Reform des Bafög, | |
| > Probleme bei der Digitalisierung und Chancen geflüchteter | |
| > Ukrainer*innen in Deutschland. | |
| Bild: „Was wir gerade im Umgang mit Ukrainern lernen, kann eine Blaupause sei… | |
| taz am wochenende: Frau Stark-Watzinger, zwischen Kiew und Berlin gab es | |
| einige Spannungen. Wie ist Ihr Verhältnis zur ukrainischen Generalkonsulin | |
| Iryna Tybinka? | |
| Bettina Stark-Watzinger: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Vor Kurzem | |
| war eine ukrainische Delegation hier in Berlin, und ich habe diese Woche | |
| mit dem ukrainischen Bildungsminister Shkarlet gesprochen. Die Ukraine | |
| braucht unsere Unterstützung, und wir sind in einem guten Austausch. | |
| Ein Streitpunkt ist, [1][wie stark ukrainische Schüler:innen in das | |
| deutsche Bildungssystem integriert werden]. Generalkonsulin Tybinka hatte | |
| ja gefordert, sie nach ukrainischem Lehrplan zu unterrichten. | |
| Was wir wiederholt hören ist: Wir wollen wieder nach Hause. Und die | |
| Rückkehr in die Heimat muss auch das Ziel sein. Viele ukrainische Kinder | |
| und Jugendliche sind aber auch traumatisiert und sollten jetzt | |
| schnellstmöglich an unseren Schulen wieder etwas Normalität erleben. | |
| Gleichzeitig müssen wir dafür Verständnis haben, dass die Ukraine die | |
| Rückkehr der geflüchteten Kinder und Jugendlichen erwartet. Deswegen müssen | |
| wir die Balance wahren und den Schülerinnen und Schülern sowohl Unterricht | |
| in unseren Schulen als auch digitalen Unterricht auf Ukrainisch | |
| ermöglichen. | |
| Von ukrainischer Seite besteht auch der Wunsch, dass deutsche Schulen im | |
| kommenden Schuljahr ukrainische Abschlüsse anbieten. Wie realistisch ist | |
| das? | |
| Das verstehen wir und sind deshalb dabei, die zahlreichen Details zu | |
| klären: Wer koordiniert die Abschlussprüfungen? Wer nimmt sie ab? Welche | |
| Räume stehen dafür bereit? Darüber bin ich mit meinem ukrainischen | |
| Amtskollegen und den Ländern im Gespräch. | |
| Was wäre Ihr Wunsch? | |
| Ich wünsche mir, dass alle Schüler, die kurz vor ihrem Abschluss stehen, | |
| diesen Abschluss auch in Deutschland machen können. Denn er ist | |
| Grundvoraussetzung, um eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnehmen zu | |
| können. Das sollten wir ihnen unbedingt ermöglichen. | |
| Aktuell lernen mehr als 90.000 ukrainische Schüler:innen an deutschen | |
| Schulen. KMK-Präsidentin Karin Prien rechnet damit, dass es bald 400.000 | |
| sein werden. Woher soll das zusätzliche Personal kommen? | |
| Eine Möglichkeit ist, ukrainische Lehrerinnen und Lehrer einzubinden. Wer | |
| sich aktuell bei den Ländern bewirbt, wird schnell und pragmatisch im | |
| Unterricht eingesetzt. Zudem werden gezielt Lehrkräfte im Ruhestand | |
| angesprochen, um die Schulen in der jetzigen Situation zu unterstützen. Die | |
| Hilfsbereitschaft vor Ort ist groß. Aber wir wissen: Den Lehrermangel zu | |
| beseitigen, ist ein Marathon für die Länder. Wir müssen jetzt die | |
| Berufsabschlüsse von ukrainischen Lehrern schnell anerkennen. Und wir | |
| müssen mit Hybridmodellen arbeiten, wenn wir dem Personalmangel an | |
| Schulen begegnen wollen. | |
| Hybridmodelle? | |
| Menschen in reglementierten Berufen können sofort als vollwertige | |
| Arbeitskräfte eingesetzt werden und fehlende Qualifikationen | |
| berufsbegleitend nachholen. Ein solches Hybridmodell ist bereits im | |
| Pflegebereich vorgesehen. Das könnte ein Vorbild für andere Berufe sein. | |
| Bei den ukrainischen Lehrkräften geht es darum, dass sie nicht nur als | |
| Hilfskräfte, sondern regulär angestellt werden können. | |
| Sollen solche Angebote der schnellen Integration nur für Ukrainer:innen | |
| gelten? Sonst kann man ja zu Recht behaupten, es gibt [2][Geflüchtete | |
| erster und zweiter Klasse]. | |
| Diese Angebote haben natürlich mit dem rechtlichen Status zu tun, den | |
| Ukrainerinnen und Ukrainer von Beginn an genießen. Dank der sogenannten | |
| Massenzustrom-Richtlinie der EU – ein furchtbarer Begriff – können wir | |
| beispielsweise bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen flexibler agieren. | |
| Dass wir grundsätzlich mehr Arbeitskräfteeinwanderung brauchen, ist | |
| unbestritten. Als Bundesregierung werden wir das Einwanderungsrecht | |
| entsprechend weiterentwickeln. Was wir gerade im Umgang mit Ukrainern | |
| lernen, kann eine Blaupause sein. | |
| Den Personalmangel an Schulen können Sie nicht allein mit geflüchteten | |
| Pädagog:innen decken. | |
| Beim Fachkräftemangel steuern wir generell auf ein großes Problem zu. Mit | |
| Blick auf den Lehrerberuf müssen wir ihn attraktiver machen, damit wieder | |
| mehr junge Menschen ein Lehramtsstudium beginnen. Gleichzeitig müssen wir | |
| sicherstellen, dass es genügend Studienplätze gibt und auch die immens hohe | |
| Abbrecherquote von über 20 Prozent sinkt. | |
| Wie wollen Sie den Beruf attraktiver machen? Schlecht bezahlt werden | |
| Lehrer:innen ja nicht. | |
| Es geht nicht immer ums Geld. | |
| Sondern? | |
| Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine Aufgabe mit sehr großer | |
| Verantwortung, die mehr Respekt verdient. Denn das Vorurteil lautet: Lehrer | |
| haben vor allem viel Urlaub. Die Attraktivität des Berufs steigt auch, wenn | |
| wir Schulen zu modernen Räumen machen. Mit gutem Ganztagsangebot und | |
| multiprofessionellen Teams. Der Pädagoge muss nicht das Digitalkonzept | |
| schreiben oder die IT-Infrastruktur betreuen. Das muss professionell | |
| abgedeckt sein, damit Pädagogen das machen können, wozu sie Pädagogen | |
| geworden sind: nämlich Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen. | |
| An sozial benachteiligten Schulen wird beklagt, dass die ihnen zugewiesenen | |
| Stellen oft nichts bringen, weil es kein Personal dafür gibt. | |
| Es muss allen klar sein, dass es höchsten Respekt verdient, jungen Menschen | |
| bessere Chancen zu geben. Deswegen sollten diese Schulen besonders gut | |
| ausgestattet werden. In diesem Jahr wollen wir im Gespräch mit den Ländern | |
| die Grundlagen für das Startchancen-Programm legen. Davon werden bis zu | |
| 4.000 Schulen profitieren. Der Personalmangel ist kein Grund, die Aufgabe | |
| nicht anzugehen. | |
| Zuständig für Ausbildung und Einstellung von Lehrer:innen sind die | |
| Länder. Sehen Sie den Bund hier stärker in der Verantwortung? | |
| Ich sehe den Bund bei großen Themen mit in der Verantwortung, die nicht am | |
| besten vor Ort entschieden werden können. | |
| Auch bei der Ausbildung von Lehrkräften? | |
| Hier sind wir bereits engagiert und haben das auch bei der | |
| Lehrerfortbildung vor. Besonders beim Thema Digitalisierung sollte sich der | |
| Bund stärker einbringen können. Warum brauchen wir in jedem Land eigene | |
| Schulserver? Warum müssen sich Lehrkräfte fragen, ob sie bestimmte Software | |
| im Unterricht überhaupt anwenden dürfen? Es geht mir um Standards. Es gibt | |
| in unserem Land ja auch überall die gleichen Steckdosen. | |
| Von den 6,5 Milliarden Euro aus dem Digitalpakt waren zu Jahresbeginn erst | |
| 2,4 Milliarden beantragt und 1,2 Milliarden ausgegeben. Warum läuft es so | |
| schleppend? | |
| Das ärgert nicht nur mich, sondern auch viele Eltern. Die denken sich: Wie | |
| kann es sein, dass die Ukraine das so schnell hinbekommt mit der | |
| Digitalisierung und wir nicht. Wir haben jetzt immerhin erreicht, dass sich | |
| die Schulträger mit uns an einen Tisch setzen und über die konkreten | |
| Probleme vor Ort sprechen. Da stellen wir schon fest: Die Schulen und auch | |
| Schulträger sind teils überfordert, bei der Beantragung der Mittel gibt es | |
| unnötige Hürden. Wir lernen jetzt für den Digitalpakt 2.0 – da wollen wir | |
| es besser machen. | |
| Sie haben diese Woche im Bundestag eine [3][Reform des Bafög] vorgestellt. | |
| Mehr Studierende sollen Bafög erhalten, die Beiträge um 5 Prozent steigen. | |
| Leider frisst die Inflation die höheren Fördersätze auf. Wäre das kein | |
| guter Zeitpunkt, das Bafög zu dynamisieren, also automatisch ansteigende | |
| Lebenshaltungskosten anzupassen? | |
| Sie dürfen nicht vergessen, dass wir den Wohnzuschlag um etwa 11 Prozent | |
| erhöht haben. Zusammengenommen steigen die Förderungen damit um etwa 8 | |
| Prozent. Dazu kommt der Heizkostenzuschuss von 230 Euro. Dynamisierung hört | |
| sich gut an, aber es kommt auch noch ein zweiter Teil der Bafög-Reform. | |
| Beispielsweise wollen wir mit der Einführung der Kindergrundsicherung das | |
| Bafög elternunabhängiger machen und den Studienfachwechsel vereinfachen. | |
| Außerdem machen wir das Bafög jetzt krisenfest. | |
| Das heißt? | |
| Wir erweitern das Bafög um einen Notfallmechanismus. Damit können Schüler | |
| und Studierende Bafög bekommen, wenn sie in einer Krisensituation etwa | |
| ihren Nebenjob verlieren und normalerweise keinen Anspruch auf Bafög haben. | |
| Sollte noch einmal eine Situation wie zu Beginn der Pandemie eintreten, | |
| fallen sie nicht ins Bodenlose. | |
| Finden Sie, dass das Bafög zum Leben reichen muss? | |
| Grundsätzlich ja. Hinzuverdienst darf sich aber auch lohnen. | |
| Die Zahl der Bafög-Empfänger:innen sinkt seit Jahren. Zuletzt erhielten | |
| nur mehr 11 Prozent der Studierenden Bafög. Was ist Ihr Ziel? | |
| Das Ziel ist, den Trend umzukehren. Wahrscheinlich steigen die Zahlen bald | |
| auch schon deshalb, weil wir das Bafög jetzt für ukrainische Geflüchtete | |
| öffnen. | |
| 14 May 2022 | |
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