Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Russischer Oppositioneller über Öl und Gas: „Die Fossilen sind …
> Wladimir Sliwjak ist Umweltschützer und Träger des Alternativen
> Nobelpreises. Er träumt von Russland als Supermacht der Erneuerbaren.
Bild: Hat Russland nicht freiwillig verlassen: Wladimir Sliwjak
taz am wochenende: Herr Sliwjak, Sie sind einer der Gründer der
Umweltorganisation Ecodefense. Wenn man die Nachrichten aus Russland und
der Ukraine hört, könnte man sich fragen, ob es derzeit nicht wichtigere
Dinge zu verteidigen gibt als die Natur.
[1][Wladimir Sliwjak]: Das Erste, was wir derzeit brauchen, ist Frieden.
Auch wir bei Ecodefense sind voll darauf konzentriert, diesen Krieg zu
stoppen. Umweltarbeit steht da an zweiter Stelle.
Hat das fossile Wirtschaftssystem in Russland diesen Krieg erst möglich
gemacht?
Der Krieg ist zu einem großen Teil nur möglich, weil Russland wegen der
hohen Preise für fossile Brennstoffe so viel Geld aufgehäuft hat. Allein in
diesem Jahr sind es bisher etwa 50 Milliarden Euro. Das ist nicht nur
fossiler, sondern auch nuklearer Brennstoff, über den aber in Europa
niemand reden will. Dabei erlaubt der es Russland, Länder wie Ungarn, die
Slowakei, Tschechien oder Bulgarien wirklich zu kontrollieren. Das ist
viel wichtiger für Putins geopolitische Ansprüche.
Wie stark wäre Russland ohne Öl und Gas? Es gibt die Auffassung, Russland
wäre eigentlich nur eine Tankstelle mit Atomwaffen.
Russland braucht beides für seine Macht: die Ressourcen und die hohen
Preise. Der Export von fossilem und nuklearem Brennstoff bringt Putin nicht
nur Geld, sondern Einfluss auf Länder, die für ihn wichtig sind. Bei
niedrigen Ölpreisen wäre selbst das heutige Russland kein so aggressiver
geopolitischer Spieler wie jetzt.
Wie arbeiten Sie als Umweltschutzorganisation in diesen Tagen in Russland?
Theoretisch betrachtet: Solange du nicht im Gefängnis bist, kannst du
arbeiten. Aber praktisch ist seit Sommer 2021 die Situation für jede Art
von Aktivismus gegen fossile Energien oder für den Klimaschutz in Russland
so gefährlich geworden, dass du jeden Tag darauf vorbereitet sein musst,
ins Gefängnis zu gehen. Viele von uns leben inzwischen wie ich im Westen,
in Russland machen Freiwillige einen Teil der nationalen Arbeit, ohne
Geld und nicht im Rahmen unserer offiziellen Organisation. Bis zum Krieg
war mein Heimatland ein autoritärer Staat. Jetzt sieht es wie eine
faschistische Diktatur aus.
Gibt es direkten Druck auf Ecodefense in Russland?
Wir haben 2013 ein wichtiges geopolitisches Vorhaben von Wladimir Putin
gestoppt: das Atomkraftwerk in Kaliningrad. Mit den beiden Reaktoren dort
wollte Putin die Nachbarländer des Baltikums und Polen von Russland beim
Strom abhängig machen. Hätte das Erfolg gehabt, gäbe es heute nicht so
aktiven Widerstand gegen den Krieg etwa von Litauen. Bald danach hat uns
die Regierung auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt, unsere
Konten eingefroren und hohe Strafen gegen uns verhängt.
Können Sie nach Russland zurück? Oder werden Sie Ihre Arbeit auf Dauer aus
dem Exil machen?
Für das, was ich in diesem Interview fordere, gehe ich in Russland für 10
bis 15 Jahre ins Gefängnis. Also ist mir dieser Weg verbaut. Derzeit ist es
unmöglich, dort aktivistisch zu sein. Ich will definitiv zurück nach
Russland, ich wollte das Land nie endgültig verlassen. Aber gegen Krieg,
fossile Energien, Atomkraft und für Klimaschutz arbeiten kann ich nur, wenn
ich nicht im Gefängnis sitze. Also ist die Antwort klar.
Ende 2021 haben Sie den „A[2][lternativen Nobelpreis]“ bekommen. Stärkt
oder schwächt das Ihre Position, weil es so aussieht, als bekämen Sie als
„ausländischer Agent“ Ehre und Geld?
Der Preis hilft, wir arbeiten ja viel mit internationalen Partnern. Wir
leiden schon seit acht Jahren unter der Repression, das ändert nichts. Die
Propaganda sagt, wir versuchten die russische Wirtschaft zu zerstören. Aber
wir haben immer gesagt, Russland sollte aufhören, Öl, Kohle und Gas
auszubeuten und über Klimaschutz und einen Umbau der Wirtschaft nachdenken.
Das wäre nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für die russische
Wirtschaft.
Das sieht die Wirtschaft anders, wenn sie komplett auf fossile Energien
ausgerichtet ist.
Ja, das ist in Russland so. Im Kusnezker Becken in Sibirien, wo die meiste
Kohle abgebaut wird, gibt es eine sehr hohe Abhängigkeit von der Kohle.
Wenn der Abbau da enden sollte, verlieren Hunderttausende ihren Job. Wir
sagen seit Jahren der Regierung: Die Nachfrage nach Kohle geht zurück; wenn
ihr nicht vorbereitet seid, sitzen hier Hunderttausende auf der Straße. Es
war sehr schwierig, das in die Medien und in die Politik zu bringen. Aber
kurz vor der Pandemie hat sich das geändert. Plötzlich merkte Russland,
dass die EU es ernst meint mit der Energiewende und mit dem
Außenhandelszoll CBAM, der geplanten Steuer auf Produkte, die mit hohem
CO2-Aufwand zum Beispiel in Russland hergestellt werden. Plötzlich machten
sich viele Oligarchen große Sorgen. Sie gingen zu Putin und sagten: Wir
sollten da etwas tun, das wird Probleme geben. Plötzlich hörten sie uns zu.
Wie wird das angekündigte Embargo hinsichtlich Kohle und Öl Russland
treffen?
Das Embargo tut Russland wirklich weh. Putin kann Öl, Gas oder Kohle nicht
in den Osten verkaufen, um den Westen zu ersetzen. Der Grund ist einfach:
Es fehlt dafür die Infrastruktur. Sie zu bauen dauert vier bis fünf Jahre.
Schon bei Kohle ist das in den letzten Jahren ein großes Problem. Russland
könnte doppelt so viel Kohle fördern, aber die Eisenbahnlinie, die die
Kohle abtransportiert, ist komplett ausgelastet.
Wird das Embargo Putins Politik ändern?
Das kann man nur hoffen. Aber die Chancen sind mit Embargo besser als ohne.
Ein Embargo wird die Wirtschaft sehr treffen und das Putin-Regime
schwächen. Dann können die Russen ihr Regime ändern. Es wird nicht von
selbst zusammenbrechen.
Gibt es dafür genügend Druck aus der Bevölkerung? Hier entsteht oft der
Eindruck, die Bevölkerung sei so von der Propaganda beeinflusst, dass sich
nicht viel ändern kann.
Es stimmt, die Propaganda ist wirklich ein Problem. Allerdings glauben die
Leute nicht, was Putin oder das Fernsehen ihnen erzählen. Sie kümmern sich
nicht wirklich darum, ob es einen Krieg in der Ukraine gibt. Sie wollen
ihre Ruhe. Es gibt keinen großen Rückhalt für Putin, aber die Propaganda
schafft es, Angst zu verbreiten.
Ist der Westen zu langsam beim Embargo?
Absolut, ja. Man muss verstehen: Die Situation heute ist kein Zufall.
Spätestens seit 2014 hat Putin einen großen Krieg geplant und spezifisch
diese europäische Abhängigkeit geplant und vorangetrieben. Damit Länder wie
Deutschland, Tschechien oder die Slowakei sagen: Ein Embargo hinsichtlich
Gas oder Uran ruiniert unsere Wirtschaft.
Wie viel Verantwortung für den Konflikt sehen Sie beim Westen?
Die größte Verantwortung liegt bei Putin. Der Krieg war seine Entscheidung,
die Geschichte mit der Provokation durch die Nato ist kompletter Blödsinn.
Aber ein Teil der Verantwortung liegt auch bei der EU. Spätestens seit 2014
war klar, wer Putin ist.
Und die Verantwortung Deutschlands?
Das war Naivität der politischen Führung und Gier in der Wirtschaft. Putin
war ein so angenehmer Lieferant: verlässlich und billig. Er konnte mehr
liefern, wenn du es brauchtest, er machte viel Geld, sie machten alle viel
Geld. Angela Merkel war vielleicht nicht naiv, aber zu nah am Big Business.
Es gibt die Theorie vom „Ressourcenfluch“. Demnach sind fossile Rohstoffe
für Länder häufig ein Grund nicht für Wohlstand, sondern für schlechte
Regierungen und Korruption. Trifft das auf Russland zu?
Ja, das stimmt: Unsere fossilen Ressourcen sind ein Fluch für Russland.
Seit Jahrzehnten leben wir von so viel Öl, Kohle, Gas und Uran, es gab kein
Interesse an irgendeinem realen ökonomischen Umbau oder einer politischen
Verbesserung. In den neunziger Jahren war der Ölpreis niedrig und Russland
arm. 2000 kam Putin an die Macht, die Ölpreise sprangen nach oben und Putin
stoppte alle Projekte zum Umbau. Warum sollten wir auch etwas ändern? Wir
haben ja viel Geld und leben gut. Die Infrastruktur ist alt, aber sie
funktioniert.
Können Sie sich ein Russland vorstellen, dessen Wirtschaft nicht auf dem
Export von Kohle, Öl, Gas und Uran beruht?
Das kann ich mir vorstellen, ja. In Russland gibt es eine Menge
erneuerbarer Energien. Wir könnten eine Supermacht der Erneuerbaren sein.
Das größte Problem ist die Organisation der Energiewirtschaft.
Gäbe es in einem postfossilen Russland dann Windprom oder Solarprom statt
Gazprom?
Die Staatskonzerne und Monopole sind kein guter Weg, sie töten jeden
Wettbewerb. Das System funktioniert nicht. Da braucht es ein anderes Regime
als Putin, Leute, die verstehen, dass ein grundlegender Umbau der
Wirtschaft nötig ist. Wir kritisieren im Westen zu Recht, dass es mit der
Energiewende nicht schnell genug geht. Aber sie passiert in Russland nicht
mal in Ansätzen.
28 May 2022
## LINKS
[1] /Alternativer-Nobelpreis-fuer-Aktivisten/!5804898
[2] /Alternative-Nobelpreise/!5804798
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Alternativer Nobelpreis
G7
Annalena Baerbock
Erneuerbare Energien
Ungarn
Schwerpunkt Flucht
Energiewende
fossile Energien
Nord Stream 2
Alternativer Nobelpreis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Treffen der G7-Außenminister:innen: Weniger Protestierende als erhofft
In Münster findet die G7-Außenminister:innenkonferenz statt. Die
Demos gegen russische Uranlieferungen und für den Frieden waren eher klein.
Treffen der G7-Außenminister:innen: Protest gegen russisches Uran
Umweltverbände protestieren gegen russische Brennstofflieferungen in
Münster. Zeitgleich findet dort die Außenminister:innenkonferenz
statt.
Mediatorin über Energiewenden-Probleme: „Vom Ich zum Wir kommen“
Signe Stein vermittelt, wenn es Streit wegen Energiewende-Projekten gibt.
Manchmal hilft es da, sich ein negatives Szenario auszumalen.
EU-Boykott von russischem Öl: EU ringt um ein Embargo „light“
Keine Einigung in der EU: Deutschland und Polen treiben das Ölembargo an –
die Niederlande, Ungarn und Griechenland bremsen.
+++ Nachrichten zum Ukraine-Krieg +++: EU sucht nach Öl-Embargo-Kompromiss
Die EU-Kommission legt einen neuen Vorschlag für ein Öl-Embargo gegen
Moskau vor. Selenski fordert unterdessen mehr Waffen, etwa Raketenwerfer.
Streit um Solarpark: Energiewende? Nicht auf meiner Koppel
In Brandenburg soll ein riesiger Solarpark entstehen. In der Gemeinde gibt
es aber Streit zwischen Befürwortern und Gegnern.
Deutschland und Katar: Auf einen liberaleren Kurs lenken
Der Besuch des Emirs von Katar wurde im Nahen Osten mit Skepsis beobachtet.
Und mit der Hoffnung, Berlin werde positiv auf Doha einwirken.
Umweltaktivist Sliwjak über Russland: „Putin fürchtet junge Generation“
Waldimir Sliwjak erhält für seinen Einsatz bei der Organisation
„Ecodefense“ den Alternativen Nobelpreis. Ein Gespräch über Ängste des
Kreml – und Nord Stream 2.
Alternative Nobelpreise: „AkteurInnen des Wandels“
Die PreisträgerInnen des „Alternativen Nobelpreises“ 2021 stehen fest. Sie
haben sich für Frauen, Indigene und Klimaschutz eingesetzt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.