# taz.de -- Umweltaktivist Sliwjak über Russland: „Putin fürchtet junge Gen… | |
> Waldimir Sliwjak erhält für seinen Einsatz bei der Organisation | |
> „Ecodefense“ den Alternativen Nobelpreis. Ein Gespräch über Ängste des | |
> Kreml – und Nord Stream 2. | |
Bild: „Die, die können, machen trotzdem weiter“: Sliwjak erhält am Mittwo… | |
taz: Herr Sliwjak, hört uns der russische Geheimdienst FSB gerade zu? | |
Wladimir Sliwjak: Da wir verschlüsselt über „Signal“ sprechen, habe ich d… | |
Hoffnung, dass wir allein sind. Würden wir normal telefonieren, würden sie | |
mit ziemlicher Sicherheit zuhören. | |
Warum hat das Regime Angst vor Ihnen? | |
Der FSB beobachtet fast jeden politischen Aktivisten, also auch | |
Umweltaktivisten. Das ist nicht schwierig, weil es insgesamt nicht mehr | |
viele von uns gibt. Seit 2014 das Gesetz über ausländische Agenten in Kraft | |
trat, haben viele zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Arbeit | |
eingestellt. Die Szene ist zerstört. | |
Wie organisiert man eine soziale Bewegung in so einem | |
gesellschaftspolitischen Klima? | |
Die, die können, machen trotzdem weiter. Aber wir wachen jeden Morgen in | |
der Erwartung auf, dass jemand kommt und uns festnimmt, vor Gericht bringt | |
oder unsere Unterlagen konfisziert und unsere Arbeit monatelang lahmlegt. | |
Ist das in der Vergangenheit passiert? | |
Die von mir 1989 mitgegründete Organisation Ecodefense war 2014 die erste | |
Umweltorganisation auf der Liste der ausländischen Agenten. Mehr als | |
dreißgmal mussten wir vor Gericht, mehr als zwanzigmal bekamen wir eine | |
Geldstrafe. Wir sind eine Non-Profit-Organisation, wir können das nicht | |
bezahlen. Die Regierung hat uns tief verschuldet. | |
Welche Konsequenzen hat das? | |
Wenn du zum Beispiel versuchst auszureisen, aber eine hohe Geldstrafe offen | |
hast, hindern sie dich daran. Wir versuchen, vor Gericht gegen die Strafen | |
vorzugehen, wann immer es geht. Es kam schon vor, dass Richter uns privat | |
mitteilten, dass sie keine Rechtsverletzung unsererseits sahen und uns gern | |
Recht zusprechen würden, aber es nicht konnten, weil sie eine Anweisung | |
hatten. So läuft es in Russland: Wenn die Regierung entscheidet, dass du | |
schuldig bist, bist du schuldig. | |
Wovor hat Präsident Putin am meisten Angst? | |
Vor der jungen Generation. Dass sie die Kontrolle übernehmen und eine neue | |
Klimaagenda setzen. Der große Konflikt zwischen dem Staat und der | |
Zivilgesellschaft liegt auch im Generationenwechsel. Die alte Generation | |
versteht die Klimakatastrophe nicht, interessiert sich nicht für die Umwelt | |
und hat Angst, die Kontrolle zu verlieren. Das Ausmaß der Repression zeigt, | |
dass wir am Beginn eines Ablösungsprozesses von führenden Köpfen der | |
Gesellschaft stehen. | |
Warum ist gerade die junge Generation so bedrohlich? | |
Primär, weil es viele sind. Vor drei, vier Jahren traten die Jungen auf den | |
Plan und fingen an, von den Politikern zu verlangen, dass sie Verantwortung | |
übernehmen. Außerdem haben sie mehr Unterstützung in der Zivilgesellschaft. | |
Und es ist nicht so einfach, junge Menschen zu stoppen. Sie sind | |
unerschrockener, sehen ihre Zukunft vor sich und haben Ideale. Die Alten | |
denken vielleicht an ihre Pension oder wollen ihren Job nicht verlieren, | |
sie sind nicht mutig genug, um sich der Regierung zu widersetzen. | |
In Deutschland ist die junge Generation ausgesprochen friedlich, während | |
die heutigen Altautonomen in ihrer Jugend mit Helmen und Steinen auf Demos | |
gingen. | |
In den 70er, 80er Jahren war das in einigen Ländern eben der Weg, den man | |
ging. Wir hatten das in Russland nicht, wir hatten die Sowjetunion, die | |
keine abweichende Meinung erlaubte. Nach dem Kollaps hatten wir eine Zeit | |
lang Meinungs- und Pressefreiheit, aber das waren nur zehn, fünfzehn Jahre. | |
In der Zeit liefen die Demos friedlich, Gewalt war kein Thema. | |
Aber dann …? | |
Der Beginn der demokratischen Bewegung war schnell wieder weg, weil das | |
Land in eine tiefe ökonomische Krise stürzte. Ab Mitte der 90er hatten wir | |
keine Massendemos mehr. Erst als die Jungen aktiv wurden, kam das wieder. | |
Da fing die Polizei wieder an, die Demonstrant*innen zu attackieren. | |
Wenn Zehntausende oder Hunderttausende auf die Straße gehen, macht ihnen | |
das Angst, dann werden sie gewalttätig. Jetzt sind wir wieder auf dem Weg | |
in eine Diktatur. | |
Es muss sehr frustrierend sein, sich zu engagieren, wenn man so wenig | |
Freiräume hat. | |
Es ist wie in dem berühmten Zitat von Martin Niemöller: „Als die Nazis die | |
Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als | |
sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja | |
kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich | |
geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es | |
keinen mehr, der protestieren konnte.“ Das ist ziemlich genau, was gerade | |
bei uns passiert. Als sie die politische Opposition holten, reagierte die | |
Gesellschaft nicht. Dann holten sie die Umweltaktivisten, dann die Medien. | |
Jetzt geht die Regierung gegen jeden vor, der in irgendeine Aktivität | |
involviert ist. Sie wollen, dass du deine Klappe hältst. | |
Appellieren Sie noch an die Regierung oder haben Sie das aufgegeben? | |
Man kann von der Regierung nichts Gutes erwarten. Es bringt nichts, Briefe | |
zu schreiben oder Petitionen an sie zu richten. Das einzig Sinnvolle ist, | |
die Gesellschaft zu informieren, über die Klimakrise aufzuklären und daran | |
zu glauben, dass sie irgendwann aktiv wird. Im Moment lebt die Gesellschaft | |
in großer Angst. Ich bewundere alle Klimaaktivist*innen, die in dieser | |
gefährlichen Umgebung arbeiten. Der Preis, den ich bekomme, gilt uns allen. | |
Bringt die Auszeichnung Sie noch mehr in Gefahr? | |
Das ist nicht vorhersehbar. Man weiß nie, was in Russland in den nächsten | |
drei Monaten passiert. | |
Wie lange wollen Sie sich das noch antun? | |
Bei Ecodefense haben wir vereinbart, hier weiter zu arbeiten, so lange es | |
geht. Wenn es absolut nicht mehr geht, versuchen wir, aus dem Ausland | |
weiterzumachen. Wenn die Regierung unsere Arbeit verhindern will, muss sie | |
unsere Organisation schließen, wir werden das nicht selbst machen. Russland | |
ist einer der wichtigsten Orte der Erde, an dem man gegen Kohle und | |
Atomkraft, für Klimagerechtigkeit, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit | |
einstehen muss. | |
Welche Haltung gegenüber Russland erwarten Sie von der deutschen | |
Bundesregierung? | |
Die neue Regierung muss zuerst den Import russischer Kohle stoppen. | |
Russland ist die größte Quelle für deutsche Kohlekraftwerke, aber die Kohle | |
bringt schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen mit sich. | |
Die Bundesregierung muss auch den Export von Atommüll stoppen. 2019 und | |
2020 wurde tonnenweise Uranabfall aus Gronau in NRW nach Russland gebracht, | |
wo er für immer bleiben wird. | |
Über den Kohleausstieg herrscht weitgehend Einigkeit in der neuen | |
Koalition. Bei Gas sieht es anders aus. Russland ist abhängig von | |
Gasexporten. Wie sollte Deutschland sich verhalten? | |
Es ist klar, dass wir nicht morgen hundert Prozent erneuerbare Energien | |
haben werden. Aber Nord Stream 2 ist eine schlechte Idee. Allein die Löcher | |
in der Pipeline tragen stark zur Klimakrise bei. Für Russland ist der | |
Export nicht nur wegen des Geldes wichtig, genauso wichtig ist die | |
geopolitische Einflussnahme. Fossile Brennstoffe sind für Putin eine Waffe | |
in internationalen Beziehungen. Es wäre dumm anzunehmen, dass Russland | |
einfach einer von vielen Gasversorgern ist, das entspricht nicht der Natur | |
dieses politischen Regimes. Seine Methode ist Erpressung. Ich möchte | |
deutsche Politiker davor warnen zu vergessen, mit wem sie es zu tun haben. | |
Präsident Putin wird deine Schwäche nutzen, sobald du sie zeigst. | |
1 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Nord Stream 2 | |
Russland | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
klimataz | |
Umweltschutz | |
GNS | |
Alternativer Nobelpreis | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Atomausstieg | |
Repression | |
Klimakonferenz in Dubai | |
Alternativer Nobelpreis | |
Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Russischer Oppositioneller über Öl und Gas: „Die Fossilen sind ein Fluch“ | |
Wladimir Sliwjak ist Umweltschützer und Träger des Alternativen | |
Nobelpreises. Er träumt von Russland als Supermacht der Erneuerbaren. | |
Nach Autofahrt in eine Mahnwache: Ermittlungen gegen Demonstrierende | |
Ein Mitarbeiter der Urananreicherungsanlage in Gronau gefährdet mit seinem | |
Auto protestierende Menschen. Doch die Polizei nimmt nicht ihn ins Visier. | |
Repression gegen Oppositionelle: Treiber des Wandels | |
Je freier die Zivilgesellschaft agieren kann, desto fortschrittlicher die | |
Gesellschaft. Doch wie steht es um die Freiheit des „Civic Space“ weltweit? | |
Klimakonferenz in Glasgow: Die Kurve nach unten drücken | |
Glasgow zieht eine Zwischenbilanz der Klimapolitik. Viele Versprechen | |
wurden gebrochen. Aber es gibt Entwicklungen, die Hoffnung machen. | |
Alternative Nobelpreise: „AkteurInnen des Wandels“ | |
Die PreisträgerInnen des „Alternativen Nobelpreises“ 2021 stehen fest. Sie | |
haben sich für Frauen, Indigene und Klimaschutz eingesetzt. | |
Waldbrände in Russland: Flammeninferno über Sibirien | |
In Sibirien wüten die schlimmsten Brände seit Jahrzehnten. Das liegt nicht | |
nur am Klimawandel, sondern auch an falschen politischen Entscheidungen. |