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# taz.de -- Mediatorin über Energiewenden-Probleme: „Vom Ich zum Wir kommen�…
> Signe Stein vermittelt, wenn es Streit wegen Energiewende-Projekten gibt.
> Manchmal hilft es da, sich ein negatives Szenario auszumalen.
Bild: Mehr Windräder mehr Konflikte? Bauarbeiten an einem Windpark in Ostfries…
taz am wochenende: Frau Stein, warum führt die Energiewende zu Streit?
Signe Stein: Weil sie radikale Veränderungen mit sich bringt. Wir müssen
unser Leben und unser Verhalten grundsätzlich umgestalten, um dem
Klimawandel zu begegnen. Diese Veränderungen ziehen sich durch alle
möglichen Lebensbereiche – und kommen alle auf einmal.
Sie arbeiten seit 2006 als Moderatorin und Mediatorin in der
Bürgerbeteiligung, ab 2018 auch zum Thema Energiewende. Was unterscheidet
das Thema von anderen?
Es braucht bei Konflikten um den Ausbau Erneuerbarer Energien andere
Methoden. Im klassischen Wirtschaftsbereich, etwa im Bauwesen, hat man es
mit Streit über zu spät gelieferte Fliesen und Bauverzögerungen zu tun, im
Gemeinwesen zum Beispiel über zerstrittene Nachbarn wegen Lärm und Müll. Da
kommen zwei, drei Konfliktparteien zusammen. Bei Verfahren rund um die
Energiewende, also vor allem beim Bau von Solarparks oder Windkraftanlagen,
sind sehr viel mehr Personen beteiligt, da wird mit sogenannten
Großgruppenverfahren gearbeitet.
Wie sieht das aus?
Es gibt keine einheitlichen Richtlinien für Beteiligungsverfahren. In der
Regel beginnt alles damit, dass ein Unternehmen auf einer Fläche zum
Beispiel einen Windpark bauen möchte. Ein sogenannter Projektierer erstellt
dann Pläne, dem Eigentümer der Fläche wird ein Angebot gemacht, die
Gemeinde und die lokale Bevölkerung werden informiert. In einigen Fällen
gründet sich [1][recht schnell eine Bürgerinitiative dagegen]. Manchmal
wird aber schon vorher ein Bürgerbeteiligungsverfahren angestoßen. So ein
Verfahren wird meist von einer Agentur begleitet, die Moderator:innen
und – im Konfliktfall – auch Mediator:innen bereitstellt. Beide sind
der Allparteilichkeit verpflichtet.
Gab es schon Versuche, Sie zu vereinnahmen?
Immer! Bei jeder Mediation versuchen die Kontrahenten, mich als Mediatorin
für sich zu gewinnen. Da heißt es dann: „Aber Sie verstehen doch, worum es
uns geht, Sie würden doch auch keinen Solarpark vor Ihrer Haustür haben
wollen!“ Meine persönlichen Interessen spielen aber keine Rolle.
Stichwort Allparteilichkeit: Wer finanziert Sie als Mediatorin?
Es heißt ja, von wem ich Geld bekomme, dem bin ich auch verpflichtet.
Deshalb versucht man, eine Finanzierung über alle beteiligten Gruppen auf
die Beine zu stellen. Für die Kommunen ist das schwierig, weil ihre
Haushaltspläne für zwei Jahre aufgestellt werden, die Gelder zweckgebunden
sind und meist kein Posten für Mediation vorgesehen ist. In Brandenburg hat
das Land deshalb einen Fördertopf für Anschubfinanzierungen bereitgestellt.
Welche Gegenargumente gegen Energieprojekte begegnen Ihnen?
Beim Bau von Windrädern höre ich auf dem Land öfter: Warum sollen wir
unsere Landschaft verschandeln, und das Windrad verschattet auch noch
unsere Häuser, während die Städter davon profitieren? Leute sehen zunächst
keine Vorteile für sich oder ihre Gemeinde. Und der Nutzen auf nationaler
und letztlich globaler Ebene erklärt sich nicht von selbst.
Ein Stadt-Land-Konflikt?
Einerseits ja, aber es gibt auch Leute, deren Grundstücke sich plötzlich
für viel Geld verpachten lassen, weil sie sich für eine Anlage eignen,
während der Nachbar leer ausgeht. Und der Windpark bringt der Gemeinde Geld
ein. Da kann es auch zu Konflikten innerhalb der lokalen Bevölkerung
kommen.
Und dann gibt es vielerorts Städter, die zu Ländlern werden, in Teilzeit
oder Vollzeit, in schön hergerichteten Bauernhäusern mit Garten …
Genau, und auch da entstehen Ambivalenzen. Es gibt die, die auf der
Ökowelle surfen und Klima und Natur schützen wollen, gleichzeitig aber
jedes Wochenende 100 Kilometer mit dem Auto hin- und herfahren. Ihnen geht
es dann [2][um den Rotmilan, den Schwarzstorch oder den Seeadler, die durch
den Bau von Windrädern gefährdet sein könnten]. Eigentlich geht es manchen
dabei aber auch um den Wertverlust ihres Grundstücks, nur sprechen sie das
nicht so gern aus, weil es ihrem am Gemeinwohl orientierten Selbstbild
widerspricht.
Bei Gegnern spricht man oft von den Nimbys, ein Akronym für „Not in my
backyard“ – „Nicht in meinem Garten“.
Die Menschen auf dem Land sagen: Die Zugezogenen kommen hierher, sind die
ganze Woche nicht da, kennen das Dorfleben überhaupt nicht und wollen jetzt
den Windpark verhindern, weil sie Tiere und Pflanzen schützen wollen. Für
uns aber ist es wichtig, in unserer strukturschwachen Region eine
wirtschaftliche Entwicklung zu sehen. In den neuen Bundesländern kommt auch
das Ost-West-Thema immer wieder hoch. Dann heißt es: Ihr kommt hierher,
kauft hier alles auf. Das hatten wir doch schon mal!
Stoßen Sie bei so viel Abwehr auch an Ihre Grenzen?
Ja, aber dafür gibt es Kollegen, mit denen ich mich austausche. Wichtig ist
ja: Diese Personen haben auch Gründe, warum sie so denken und handeln. Ich
will herausarbeiten: Was sind die Befürchtungen? Was kann man den Menschen
anbieten, damit ihre Vorbehalte oder Sorgen vielleicht nicht gleich ganz
verschwinden, aber zumindest kleiner werden? Es geht darum, vom Ich zum Wir
zu kommen.
Was ist das Schwerste?
Die Menschen an einen Tisch zu bekommen. Erst wenn das geschafft ist, kann
eine Mediation auch Wirkung zeigen. Freiwilligkeit ist da ein Muss.
Haben Sie einen Trick, um Vertrauen aufzubauen?
Es gibt zum Beispiel die Kopfstandmethode. Da spielt man zuerst das
negative Szenario durch und fragt, was wäre das Schlimmste, das passieren
kann? Die Antwort ist meist: Man zerstreitet sich, und jeder geht seiner
Wege. Dann die Gegenfrage: Wie sieht ein positives Szenario aus? Wir gehen
aufeinander zu und sprechen miteinander. Und was muss dafür passieren?
Das überlegt man gemeinsam.
Welche Rolle spielen die Unternehmen?
Manchmal richten sie ein Dorffest aus, mit Grillwürstchen und Limo. Da gibt
es dann ein Informationsangebot, aber Leute, die fürchten ihr Gesicht zu
verlieren, können eben auch sagen: Ich geh da wegen des Würstchens hin.
Manchmal braucht es so eine Brücke, über die man gehen kann.
Was gibt es außer Würstchen noch für Anreize?
Den Gemeinden steht Geld zu, sobald da ein Windpark steht. Das ist
gesetzlich geregelt. Die Höhe der Summe richtet sich nach den Erlösen des
Betreibers, da kann es um mehrere zehntausend Euro im Jahr gehen.
„Wind-Euro“ wird es umgangssprachlich genannt. Die Gelder sind zwar
zweckgebunden und müssen für umwelt- oder klimaschutzorientierte Projekte
ausgegeben werden. Aber oft haben sie einen doppelten Nutzen. Ein neues
Umwelt-Schulungszentrum oder ein Naturschwimmbad können auch eine
touristische Funktion erfüllen.
5 Jun 2022
## LINKS
[1] /Streit-um-Solarpark/!5855545
[2] /Klimachef-des-Nabu-wirft-hin/!5852509
## AUTOREN
Nora Belghaus
## TAGS
Erneuerbare Energien
Energiewende
Schwerpunkt Klimawandel
Windräder
Thüringer Wald
BDI
Wasserstoff
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Energiewende
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