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# taz.de -- Biologe über Bartgeier in Bayern: „Manche schaffen es halt nicht…
> Im Juni 2021 sind in Bayern erstmals Bartgeier ausgewildert worden. Nun
> ist einer von ihnen gestorben – auch für Projektleiter Toni Wegscheider
> unerwartet.
Bild: Wally bei einem ihrer frühen Flüge über dem Nationalpark Berchtesgaden
taz: Wally ist tot. Wann haben Sie es erfahren?
Toni Wegscheider: Am Samstagnachmittag habe ich einen Anruf der Kollegen
des [1][LBV]-Suchtrupps vor Ort bekommen. Wir hatten schon seit Tagen in
der Gegend gesucht, aus der wir das letzte Sendersignal erhalten hatten.
Das war am Südhang des Mauerschartenkopfs im Wettersteingebirge, etwa auf
1500 Metern Höhe. Seit 16. April hat sich der Sender ja nicht mehr bewegt.
Leider haben wir dann aber nicht nur den Sender, sondern auch die Reste von
Wally vorgefunden. Also das, was Kolkraben, Füchse und Co. noch von ihr
übrig gelassen haben: den Großteil des Skeletts und des Gefieders.
Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?
Es hat mich schon ganz schön mitgenommen – gerade auch, weil es so
unerwartet kam. Eigentlich waren wir fest davon ausgegangen, dass wir nur
den Sender finden. Der hat ja eine Sollbruchstelle, so dass er für
gewöhnlich nach ein paar Jahren abfällt. In diesem Fall dachten wir halt,
Wally hätte ihn schon früher verloren.
Vor ziemlich exakt einem Jahr haben Sie Wally und Bavaria, ein weiteres
Bartgeierjunges, [2][im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert]. Die erste
Auswilderung von Bartgeiern auf deutschem Boden. Und eigentlich ist doch
bis jetzt alles ganz gut gelaufen?
Es hätte nicht besser laufen können. Ich bin immer wieder gefragt worden:
Gibt es noch etwas, was ihr verbessern könnt? Aber ich wüsste nicht was –
außer vielleicht so Kleinigkeiten wie die Einstellung des Winkels der
Webcam. Die beiden Geier waren topfit und selbstständig.
Am Anfang haben Sie sie ja noch mit Futter versorgt.
Das stimmt, aber schon seit Oktober letzten Jahres haben sie diese
Futterplätze gar nicht mehr angeflogen. Die haben beide selber genügend Aas
gefunden – interessanterweise auch unabhängig voneinander. Es ist also
genau das eingetreten, was wir erreichen wollten. Es war wirklich toll, das
zu beobachten.
Wally war 13 Monate alt. Kommt es oft vor, dass Bartgeier in diesem Alter
sterben?
Man weiß es gar nicht so genau, weil wir bei den meisten Bartgeiern im
Alpenraum gar nicht mitbekommen, in welchem Alter sie sterben. Wir vermuten
aber, dass die Sterblichkeit der jungen Geier vergleichsweise niedrig ist.
Seit 2008 werden die Tiere vor der Auswilderung besendert. Und von diesen
Tieren wissen wir, dass 88 Prozent schon mal das kritische erste Jahr
überlebt haben. Aber das ist natürlich nur eine relativ kleine Gruppe, über
die wir wirklich verlässliche Zahlen haben.
Was für Todesursachen sind denkbar?
Ich will da gar nicht spekulieren. Soweit wir das beurteilen können, sind
jedenfalls keine menschlichen Gefahrenquellen in der Umgebung. Das ist ja
ein völlig verlassenes Naturschutzgebiet. Da sind beispielsweise keine
Seilbahnkabeln, die ihr zum Verhängnis hätten werden können. Auch für
Wilderer ist das Terrain dort viel zu unzugänglich. Aber es sind schon die
unterschiedlichsten Todesursachen bei Bartgeiern nachgewiesen worden: Da
sind Tiere in der Luft beim Kampf von Steinadlern getötet, von einer
Kreuzotter gebissen oder von einer Lawine verschüttet worden. Oder sie
haben eine Bleivergiftung erlitten, weil die Gams, deren Aas sie gefressen
haben, mit bleihaltiger Munition geschossen worden ist. In Spanien sind
letztes Jahr drei kreisende Bartgeier im Gewitter vom Schalldruck eines
Donners erschlagen worden. Das muss man sich mal vorstellen! Nicht von
einem Blitz, sondern nur von der Wucht des Donners. Denen hat es die
Ohrmuscheln und die Herzen zerrissen. Unwetter oder Lawinen können wir
allerdings bei Wally wegen des Todeszeitpunkts ausschließen.
Gab es Anzeichen, dass sie krank gewesen sein könnte?
Nein, alles deutete daraufhin, dass sie in einer Top-Kondition war. Die
Vitaldaten, die wir über den Sender erhalten haben, waren bestens. Und eine
Kollegin von mir hat sie noch vier Tage vor ihrem Verschwinden wunderschön
fliegen sehen. Und in den letzten zwei Tagen hat sie ja noch 380 Kilometer
zurückgelegt. Das macht kein Geier, der krank oder verletzt ist oder
hungert. Da werden die Bewegungsradien eher kleiner. Natürlich gibt es
Krankheiten wie die Vogelgrippe, die ganz schnell gehen können, aber eine
solche Infektion wäre bei einem einzelgängerischen Vogel wie dem Bartgeier
sehr ungewöhnlich.
Wird man die Todesursache herausfinden können?
Ich glaube, die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Es gibt zwar kein
Weichgewebe mehr, das man untersuchen kann, aber auch an den Knochen könnte
man beispielsweise Verletzungen durch eine Adlerkralle feststellen. Oder
Chemikalien, Umweltgifte – was wir untersuchen können, werden wir
untersuchen. Und selbst wenn wir die Todesursache nicht definitiv bestimmen
können, dann werden wir zumindest ein paar Möglichkeiten ausschließen
können.
Wird man denn aus Wallys Schicksal etwas für die künftigen Auswilderungen
lernen können?
Natürlich ist für uns jetzt das Ergebnis dieser Untersuchung sehr wichtig.
Sollte sich da beispielsweise doch eine menschliche Ursache nachweisen
lassen, müsste man überlegen, was für Konsequenzen man daraus ziehen kann
und muss. Ich rechne aber eher nicht damit. Und dann muss man halt auch
sehen: Irgendwann haben wir keine Einflussmöglichkeiten mehr. Und so soll
es auch sein, es sollen ja wieder Wildvögel werden. Und da wird es immer
wieder welche geben, die überleben, und welche, die es leider nicht
schaffen.
Wie geht es Bavaria?
Soweit wir wissen, bestens. Die hat uns ja im Herbst sehr überrascht, weil
wir sie eigentlich für die Behäbigere der beiden gehalten hatten. Aber dann
ist sie am 17. Oktober ohne erkennbaren Auslöser zu ihrem Erstflug
aufgebrochen und direkt von Berchtesgaden fast bis Wien geflogen. Das war
schon spektakulär. Zur Zeit befindet sie sich aber wieder hier im Umfeld
des Nationalparks.
Können wir erwarten, dass Bavaria passend zu ihrem Namen auch der erste
Bartgeier seit über 140 Jahren sein wird, der sich wieder in Bayern
niederlässt?
Da wage ich noch keine Prognose. In einem Jahr kann man das vielleicht
besser einschätzen. Aber momentan ist sie mitten in der Wanderphase. Da
kann sie jederzeit der Rappel packen und sie fliegt plötzlich in die
Steiermark oder in die Schweiz und findet dort ein Männchen, bei dem sie
bleibt. Aber da zwei Drittel der Bartgeier der Heimat treu bleiben, könnte
es durchaus sein.
Schon nächste Woche, am 9. Juni, werden Sie in derselben Felsnische wieder
zwei Bartgeier auswildern. Wer sind die beiden?
Es sind wieder zwei Weibchen. Wie Wally und Bavaria kommen sie aus der
[3][Zuchtstation Guadalentín]. Das eine ist eine Schwester von Wally, das
andere eine Cousine von Bavaria. Am Montag sind sie im Nürnberger
Tiergarten angekommen. Von dort kommen sie nächste Woche zu uns in den
Nationalpark.
Und wie heißen die beiden?
Das weiß ich auch noch nicht. Eine Namenspatenschaft übernimmt ein sehr
großzügiger Spender des LBV, für den anderen Namen hat der Berchtesgadener
Anzeiger einen Leserwettbewerb ausgeschrieben. Nächsten Donnerstag wissen
wir mehr.
31 May 2022
## LINKS
[1] https://www.lbv.de/
[2] /Die-Wiederkehr-der-Bartgeier/!5790590
[3] https://4vultures.org/blog/watch-guadalentin-the-centre-that-breeds-the-mos…
## AUTOREN
Dominik Baur
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