| # taz.de -- Auswilderung von Bartgeiern: Flugstunden im Nationalpark | |
| > Einst hat der Mensch den Bartgeier in den Alpen ausgerottet. Jetzt kehrt | |
| > der riesige Greifvogel zurück. Nächste Station: Bayern. | |
| Bild: Bis zu 2,90 Meter Flügelspannweite: Bartgeier | |
| München taz | Die Bartgeier kommen. Mit dem Flugzeug. Am 9. Juni ist es | |
| soweit, und das ist tatsächlich eine große Sache, denn in Deutschland sind | |
| die imposanten Vögel schon seit über 100 Jahren ausgestorben. Bis zu 2,90 | |
| Meter Flügelspannweite, da kann kein anderer Greifvogel in Europa | |
| mithalten. Der Steinadler etwa, derzeit noch der größte in den bayerischen | |
| Alpen ansässige Vogel, kommt nur auf 2,30 Meter. | |
| Jetzt also soll der Bartgeier in seiner alten bayerischen Heimat wieder | |
| eine neue finden. Im Nationalpark Berchtesgaden haben sie bereits eine | |
| große Felsnische auf 1.200 Metern Höhe vorbereitet. 20 Meter lang, | |
| herrliche Aussicht. Aus einer speziellen Zuchtstation in Spanien, der | |
| größten ihrer Art, werden also am 9. Juni zwei junge Bartgeier in den | |
| [1][Tiergarten Nürnberg] gebracht, der ebenfalls auf die Nachzucht von | |
| Bartgeiern spezialisiert ist. Hier werden die beiden Küken von den Experten | |
| beringt und und mit kleinen Sendern versehen, bevor sie tags darauf nach | |
| Berchtesgaden gebracht werden – diesmal mit dem Auto. | |
| Die Bezeichnung Küken sollte einen dabei nicht in die Irre führen: mit | |
| kleinen flauschigen Bällchen hat das nichts mehr zu tun, was die Helfer des | |
| [2][Landesbunds für Vogelschutz (LBV)] dann da den Berg hinauftragen und in | |
| die vorbereiteten Nester setzen. „Letztlich sind die Vögel bereits | |
| ausgewachsen und wiegen so sechs bis sieben Kilo“, erklärt Toni | |
| Wegscheider, der die Auswilderung für den LBV in Berchtesgaden leitet. „Die | |
| sind etwa so groß wie ein Schwan.“ | |
| Und das ist auch gut so. Denn mit ihren rund 90 Tagen sind die Tiere auf | |
| der einen Seite zwar aus dem Gröbsten raus und brauchen keine Wärme von | |
| ihren Eltern mehr. Auf der anderen Seite können sie aber noch nicht fliegen | |
| – was bedeutet, dass sie noch ein bisschen Zeit haben, sich die Umgebung | |
| gut einzuprägen und als ihre Heimat abzuspeichern. So ist es | |
| wahrscheinlich, dass sie auch später hierher zurückkehren. Was allerdings | |
| noch Aufgabe der Eltern wäre und nun der Mensch übernehmen muss, ist das | |
| Füttern. Bis in den Spätsommer hinein werden die Vogelschützer täglich | |
| Futter auslegen. | |
| ## Wieder 300 Bartgeier in den Alpen | |
| Dass das Unterfangen gelingt, daran hat Wegscheider jedoch keine Zweifel. | |
| Denn auch wenn es in Deutschland – von gelegentlichen Überfliegern mal | |
| abgesehen – seit ihrer Ausrottung keine Bartgeier mehr gibt, so ist das | |
| Wiederansiedlungsprojekt alpenweit schon sehr gut erprobt. In Frankreich, | |
| der Schweiz, Österreich und Italien, überall wurden die Tiere seit Ende der | |
| 1980er Jahre mit großem Erfolg ausgewildert. Auf rund 300 Exemplare wird | |
| die Population in den Alpen mittlerweile schon geschätzt. 1998 schlüpfte | |
| dann erstmals wieder ein Bartgeier in freier Wildbahn. Mittlerweile | |
| schlüpfen jährlich 30 bis 40 Tiere, während nur noch 20 ausgewildert | |
| werden. | |
| Dabei hat es sich als absolut notwendig erwiesen, die Geier noch als Küken | |
| auszusetzen, um sie auf ihre neue Heimat zu prägen. In den 1970ern hat man | |
| noch den Fehler gemacht, wilde, erwachsene Bartgeier in Afghanistan | |
| einzufangen und in der Schweiz auszusetzen. Keine gute Idee. „Das | |
| Experiment ist krachend gescheitert“, berichtet Toni Wegscheider. „Die sind | |
| verhungert und verschollen.“ Inzwischen ist man schlauer und weiß, wie es | |
| geht. Wegscheider selbst war schon bei etlichen Auswilderungsaktionen in | |
| Österreich und der Schweiz dabei. | |
| Jetzt also Bayern. In Berchtesgaden sollen in den nächsten zehn Jahren | |
| jährlich zwei oder drei Geierküken ausgewildert werden. Sobald die | |
| „Kleinen“ sich selbst versorgen können, machen sie sich auf Wanderschaft. | |
| In einem Gebiet von rund 10.000 Quadratkilometern sind sie in den nächsten | |
| Jahren unterwegs. Sollten sie in dieser Zeit keinen Partner finden und in | |
| dessen Heimat sesshaft werden, dürften sie mit fünf, sechs Jahren in die | |
| Region um Berchtesgaden zurückkehren und sich dort niederlassen – so lange, | |
| bis sie dort mit einem Artgenossen, der wiederum auf seiner Wanderschaft | |
| vorbeikommt, eine Beziehung eingehen. Eine Beziehung, die dann ein Leben | |
| lang halten wird. | |
| ## Vogelschützer wollen Trittsteine schaffen | |
| Und das kann lange dauern. „Ein Weibchen hier ganz in der Nähe, die Alexa, | |
| ist 1988 ausgewildert worden“, erzählt Wegscheider. „Die brütet immer noc… | |
| die ist topfit.“ In Gefangenschaft würden Bartgeier über 50 Jahre alt. | |
| Zumindest 40 Jahre dürften auch in freier Wildbahn realistisch sein, | |
| schätzt der Biologe. | |
| Mit rund tausend Tieren dürfte der Bestand in den Alpen gesichert sein. Ein | |
| Ziel, das in zehn bis zwanzig Jahren erreicht sein könnte. Letztendlich | |
| geht es den Geierschützern um einen durchgehenden Korridor von den Pyrenäen | |
| bis in die Türkei. „Wir wollen mit unserem Projekt Trittsteine schaffen, wo | |
| die Geier sich komplett über ihr Gebiet austauschen können“, erklärt | |
| Wegscheider. „Dann passt auch die Genetik wieder.“ | |
| Ein solcher Trittstein soll nun auch Berchtesgaden werden. Welche tragende | |
| Rolle ihnen dabei zukommt, wissen die beiden Jungvögel in Spanien freilich | |
| noch nicht. Sie wissen noch nicht einmal voneinander, sitzen in | |
| abgetrennten Gehegen. Erst am 9. Juni werden sie sich in Nürnberg | |
| kennenlernen. Auch das Geheimnis ihres Geschlechts wird erst dann anhand | |
| einer vor dem Abflug genommenen Blutprobe gelüftet werden können. | |
| Immerhin: Über den Migrationshintergrund der beiden ist man sich schon | |
| jetzt im Klaren. Denn wer aufgrund der spanischen Herkunft glaubt, es müsse | |
| sich um zwei der noch in den Pyrenäen beheimateten Geier handeln, irrt. Die | |
| Sache ist komplizierter. „Die Spanier sind Asiaten“, sagt nämlich Toni | |
| Wegscheider, und das hat nichts mit mangelnden Geografiekenntnissen zu tun. | |
| Tatsächlich geht keines der in den Alpen wieder angesiedelten Tiere auf die | |
| Bestände zurück, die in Europa überlebt haben, zum Beispiel in | |
| Griechenland, auf Korsika oder eben in den Pyrenäen. Grundstock für die | |
| heutige Alpenpopulation waren 15 asiatische Wildfänge, die vor ein paar | |
| Jahrzehnten in verschiedenen europäischen Zoos saßen. | |
| ## Bartgeier sind Knochenfresser | |
| Aber ob nun Asiaten oder Europäer, die Vögel sind sich ohnehin sehr | |
| ähnlich, haben nirgends eine eigene Unterart gebildet. Und es sind diese | |
| Tiere, die Menschen wie Toni Wegscheider so unglaublich faszinieren: | |
| „Allein durch diese Größe, diese unglaublich majestätische Gestalt mit den | |
| geschwungenen, falkenartigen Flügeln und dem langen markanten Schwanz“, | |
| schwärmt er. | |
| Und die interessanten Verhaltensweisen: dass sie Knochen auf Felsenplatten | |
| zerschellen lassen, um sie dann schlucken zu können, oder dass sie sich | |
| selbst in rotem Schlamm mit großem Enthusiasmus rötlich färben. „Niemand | |
| weiß, warum die das machen. Ein superfaszinierendes Tier!“ Es begleitet | |
| Wegscheider seit Anfang seiner Karriere. Schon sein erstes Praktikum im | |
| Studium war bei einem Bartgeierprojekt in Österreich. „Als ich da vor 20 | |
| Jahren als Futterträger die gefrorenen Schafköpfe für die Geier den Berg | |
| raufgetragen hab’, hätte ich nie gedacht, dass ich später mal praktisch vor | |
| meiner Haustür Leiter einer Geieraussiedlung sein darf. Das hätte ich mir | |
| nicht schöner aussuchen können.“ | |
| Lämmergeier hat man den Bartgeier früher auch genannt. Und da schwingt | |
| schon mit, was dem harmlosen Vogel letztlich um die vorletzte | |
| Jahrhundertwende herum zum Verhängnis wurde: die Mär, er mache sich über | |
| die Tiere der Bauern her. Sogar Babys soll er sich das eine oder andere Mal | |
| geschnappt haben. Ist natürlich totaler Unsinn; in Wirklichkeit ist der | |
| Bartgeier ein reiner Aas-, genau genommen sogar ein Knochenfresser. Vor | |
| allem die Überreste mittelgroßer Säuger wie Schaf, Gams oder Steinbock | |
| verspeist er. Abgeknallt wurde er trotzdem. | |
| Jetzt wird man sich auch in den bayerischen Alpen wieder an ihren Anblick | |
| gewöhnen müssen. Nein: dürfen. Denn das Schöne an dem großen Vogel ist aus | |
| Sicht von Naturliebhabern nicht nur, dass er so harmlos ist, sondern auch, | |
| dass er sich gerne zeigt. „Bartgeier sind sehr neugierig“, erzählt Toni | |
| Wegscheider. „Sie fliegen regelmäßig in sehr geringer Höhe über Bergsteig… | |
| hinweg und schauen, was die da machen.“ Vermutlich dasselbe: schauen, was | |
| die da machen. | |
| 2 Jun 2021 | |
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| [1] https://tiergarten.nuernberg.de/entdecken/aktuell/detail/news/2021-02-05-au… | |
| [2] https://www.lbv.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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