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# taz.de -- Pro und Contra: Retten Zoos die Artenvielfalt?
> Zoos retten Arten höchstens zufällig, kritisiert der Zoogegner. Der
> Zoodirektor widerspricht: Tiergärten haben eine große Bedeutung für die
> Biodiversität - als Werbeträger und als Forschungslabore.
Bild: Verloren Geglaubte leben (durch Zoos?) länger: Wisente sollen in Deutsch…
PRO
Zoos sind unersetzbar, findet Zoochef Dag Encke, wenn es um den Versuch
geht, die Artenvielfalt zu retten - auch wenn sie dieses Ziel natürlich
allein nicht erreichen können. Zoos sind einer der stärksten öffentlichen
Resonanzkörper für das Thema Tier- und Artenschutz. Und sie steuern
entscheidendes Know-how zur Bewahrung der Arten bei. Keine andere
Institution hat so viel Wissen darüber, wie man aus winzigen Restbeständen
einer Tierart wieder vitale Populationen erzeugt.
Zoos hatten aufgrund ihrer erfolgreichen Zuchtprogramme die Hoffnung, eine
Arche Noah werden zu können. Sie dachten, alle bedrohten Arten erhalten und
für die Zukunft bewahren zu können. Mittlerweile sind unzählige Tierarten
für immer verschwunden. Die Arche kentert - doch die Zoos sitzen immerhin
noch mit einer beachtlichen Zahl rettbarer Arten im Beiboot.
Dafür gibt es gute Gründe. Die Zoos sind nicht nur Artenspeicher, sondern
auch Wissensspeicher. Ein Großteil unseres heutigen Kenntnisstands über die
Biologie von Wildtieren basiert auf Erkenntnissen, die in Zoos gewonnen
wurden. Keine andere Institution erreicht mit dem Thema Biodiversität ein
so großes Publikum wie Zoos - weltweit rund 600 Millionen Menschen.
Deshalb sind Zoos ein wichtiger Baustein im weltweiten Aktionsplan zur
Erhaltung der Biodiversität. Ihre Arbeit ist untrennbar verbunden mit der
Arbeit im Freiland, und umgekehrt sind viele Freilandprojekte untrennbar
verbunden mit Zoos.
Zootiere sind Symbole für die Biodiversität und stehen für die
Schutzbedürftigkeit der Natur: Das Zootier ist der Botschafter der
Biodiversität. Der Eisbär steht für Klimaschutz, Gorilla und Orang-Utan
stehen für die Rettung der Regenwälder, der Delphin für Meeresschutz. Die
Begeisterung der Menschen für diese charismatischen Zootiere ist der
Schlüssel dafür, das Bewusstsein für die ungeheuren Verluste zu schärfen,
vor denen wir stehen.
Zootiere fungieren als Schirmart (umbrella species) für Lebensräume. Der
Schirm, den sie über Lebensräume spannen, funktioniert etwa so: In der
Mongolei haben Zoos Urwildpferde wiederangesiedelt, wo sie ausgerottet
waren. Dort spielt die nun auf 115 Pferde angewachsene Herde vielleicht
keine spürbare ökologische Rolle. Aber für diese Ansiedlung wurden 90.000
Hektar Land unter Schutz gestellt - von dem alle anderen Lebewesen,
Pflanzen wie Tiere, profitieren. Für Pferde geben Menschen Geld und
engagieren sich. Für Nagetiere, Spinnen und Insekten, die ökologisch
gesehen jedes Großtier in den Schatten stellen, wird sich nie eine
vergleichbare Lobby bilden. Diese "kleinen Ökoriesen" werden durch den
Schutz der großen Charismatiker von der Zerstörungskraft des Menschen
abgeschirmt.
Das Zootier ist aber auch ein großer Umweltpädagoge. Erst beliebte Stars im
Zoo können in den Köpfen der Menschen ein komplexeres Verständnis der Natur
wecken. Sie erziehen Menschen zu multikausalem Denken. Ein Beispiel: Die
Überlebensnotwendigkeit der Akazien, ihre unersetzliche ökologische
Funktion, findet erst Beachtung, wenn man es anhand der Giraffe deutlich
macht. Ohne die Aufforstung zerstörter Savannen und Wüsten wäre eine
Ansiedlung von Giraffen sinnlos.
Viele Zootiere geben leuchtende Beispiele, wie aus verloren geglaubten
Tierarten wieder stabile Zoopopulationen und hernach sogar wieder stabile
Wildpopulationen entstanden sind. Prominente Vertreter dieser
Erfolgsgeschichten sind unter anderen die Wisente in Osteuropa, Säbel- und
Mendesantilopen in Nordafrika, Goldene Löwenäffchen in Südamerika,
Przewalskipferde in Ostasien, Bartgeier in Mittel- und Südeuropa.
Dennoch: für den Baiji, den chinesischen Flussdelfin, kam jede Hilfe zu
spät. Im Dezember 2006 wurde er als functionally extinct kategorisiert,
ausgelöscht.
Dennoch spielt der Zoo eine wichtige Rolle bei der Rettung der
Biodiversität - durch vier Aufgaben. 1. als Erholungsstätte für eine
zunehmend urbanisierte Bevölkerung; 2. als umweltpädagogische
Bildungseinrichtung; 3. als Forschungseinrichtung für tiermedizinische und
Grundlagenforschung an Wildtieren; 4. als Naturschutzzentrum, dessen Wirken
durch die vorgenannten Aufgaben definiert ist und durch In-situ-Arbeit,
also Freilandprojekte, ergänzt werden muss.
Die wenigsten Zoobesucher können die Vielschichtigkeit der Arbeit eines
modernen Zoos während ihres Besuchs sehen. Aber der Eintritt für den Zoo
ist auch eine Investition in den Erhalt der Biodiversität.
CONTRA
Ein Zoo ist ein Wirtschaftsunternehmen, das mit dem Zeigen eingesperrter
Wildtiere Geld verdient, findet Biologe und Umweltpädagoge Rainer
Borcherding. Es ist ein netter Effekt, wenn dieses Unternehmen nebenbei
Umweltbildung betreibt. Oder durch Erhaltungszucht die ein oder andere
seltene Tierart vor dem Aussterben bewahrt. Trotzdem muss man fragen
dürfen: Können nur Zoos Erhaltungszuchten gefährdeter Arten leisten? Und
kann die Käfigzucht grundsätzlich etwas am Problem des Artenschwunds
ändern?
Die Zootierhaltung hat eine sehr unrühmliche Vergangenheit. Noch im 19.
Jahrhundert reichte sie bis zum Zurschaustellen pittoresk aussehender
Eingeborener aus Übersee. Zoos waren immer auch Orte der Qual. Dort
warteten möglichst exotische und publikumsträchtige Tiere in engen Käfigen
auf ihr Ende - unter den Augen gaffender Besucher. Es war kein Zufall, dass
die letzten Exemplare aussterbender Arten oft in Zoos vegetierten. Für
Zoodirektoren und Tierfänger war es ein gutes Geschäft, die Letzten einer
Art hinter Gitter zu bringen.
Natürlich wäre es im Interesse der Zoos gewesen, alle Tiere möglichst lange
am Leben zu erhalten und zu vermehren. Doch dies hätte Platz, Pflegeaufwand
und Know-how erfordert. Noch heute werden Wildfänge von Korallenfischen,
Vögeln und nicht zuletzt Delfinen in Zoos "verbraucht". Der Grund: Eine
Nachzucht der Tiere gelingt nicht oder ist schlicht zu teurer.
Natürlich stimmt auch das: Viele Tierarten pflanzen sich heute in Zoos
fort. Ohne die engagierte und aufwendige Erhaltungszucht in Zoos wären
einige Tierarten längst von diesem Globus verschwunden. Der Europäische
Wisent ist ein Musterbeispiel für erfolgreiche Erhaltungszucht. Von 57
überlebenden Zootieren im Jahr 1923 ist der Bestand mittlerweile auf 3.000
angestiegen. Mehrere hundert besiedeln heute wieder in Freiheit ihre
ehemaligen Heimatwälder. Das ist schön.
Doch täglich sterben etwa 100 Tierarten aus. Heute, morgen, und übermorgen
wieder. Alle Erhaltungszuchten der Welt zusammen beschützen derzeit etwa
500 Arten von Wirbeltieren vor dem Aussterben - 1 Prozent aller
Wirbeltiere. Gemessen an der Gesamtzahl der verschwindenden Arten, ist die
Erhaltungszucht freilich nur ein Tröpfchen auf den heißen Stein.
Vor allem bunten Tropenvögeln wird die Ehre zuteil, in Gefangenschaft
einige Jahre vor dem Aussterben bewahrt zu werden. Egal ob Zoo oder
Hobbyzüchter, man möchte sein Produkt vorzeigen und Lob für die Arbeit
ernten. Graue Mäuse aller Art und wirbellose Krabbeltiere gehen unterdessen
ungezüchtet in die ewigen Jagdgründe ein, egal wie faszinierend oder
genetisch außergewöhnlich sie sein mögen. Erhaltungszucht ist ein
unsystematisches Hobby wohlmeinender Privatleute. Für Zoos ist sie eine
Mischung aus Marketing und Gutmenschentum - aber garantiert nicht Ziel des
Zoobetriebs.
Jede Wildtierzucht hat ein grundsätzliches Problem: Nur ständige natürliche
Auslese sichert die Überlebensfähigkeit einer Art im Freiland. Im Käfig ist
es nicht menschenmöglich, zu entscheiden, welche Exemplare in der Natur
herausselektiert worden wären. Man pflegt auch Kümmerlinge durch, die in
der Natur besser verstorben wären - besonders wenn es nur noch 20
Individuen einer Art gibt. An diesem Punkt beginnt der genetische Weg vom
Wild- zum Haustier. Käfigtiere entfernen sich genetisch und im Verhalten
mit jeder Generation von dem, was sie als Wildtier waren.
Von der Rettung einer Art kann man nur sprechen, wenn sie nach absehbarer
Zeit in ihren natürlichen Lebensraum zurückkehren kann. Dies trifft auf
Wildtiere wie den Wisent zu, bei denen ungezügelte Verfolgung das
Verschwinden in freier Natur verursacht hat. Ist die Jagd beendet, können
sie zurückkehren. Erhaltungszucht ist nur sinnvoll, wenn parallel
Biotopschutz erfolgt. Wer sollte bis zum Jüngsten Tag die Pflegekosten für
einen skurrilen Käfighocker bezahlen, wenn keine Aussicht besteht, die
Käfigtür je wieder zu öffnen?
Vielleicht Zoos, weil bunte Tiere gut fürs Geschäft sind. Aber ohne ihren
Lebensraum ist eine Art nur ein Schatten ihrer selbst - eine ausgestopfte
Mumie im Museum. Nachhaltige Beiträge zum Erhalt der Biodiversität leisten
nur Projekte zum Schutz tropischer Wälder und anderer Naturlandschaften.
Jede Aktivität, die von der Notwendigkeit des Biotopschutzes ablenkt, ist
kontraproduktiv. Danke für den Wisent - aber Artenvielfalt kann nur durch
Biotopschutz erhalten werden, nicht im Zoo.
25 May 2008
## TAGS
Schwerpunkt Artenschutz
Wisent
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