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# taz.de -- Klettern in Nordspanien: Unter Geiern in Felsennischen
> Zwischen der Ebene von Lleida und den Pyrenäen reiht sich ein Felsmassiv
> ans andere. Es ist ein Mekka für Spitzenkletterer und Amateure.
Bild: Beim Aufstieg
Nur selten verirren sich Touristen in die dünn besiedelte Provinz Lleida im
nordspanischen Hinterland. Doch die, die kommen, finden, was sie suchen:
steile Felsen und jede Menge Abenteuer. „Lleida bietet unendliche
Möglichkeiten für Kletterer“, sagt einer, der es wissen muss: Der
35-jährige Dani Andrada ist einer der besten Felskletterer weltweit. Alle
Kontinente hat der gebürtige Madrider bereist, um dann in den urtümlichen
Felslandschaften Kataloniens die perfekte Spielwiese zu finden. „Ich
entdecke hier auch nach zehn Jahren noch immer unberührte Felswände“,
begeistert sich Andrada.
Zwischen der Ebene von Lleida, wo intensiver Obstanbau betrieben wird, und
den Pyrenäen reiht sich ein Felsmassiv ans andere. Die Flüsse haben tiefe
Schluchten gegraben, in denen nicht nur zahlreiche Greifvögel nisten,
sondern auch Kletterrouten in allen Längen und Schwierigkeitsgraden locken.
„Hier sind einige der schwersten Routen weltweit entstanden“, sagt der
Norweger Magnus Midtboe. Der mehrfache Jugendweltmeister sucht wie viele
Kletterprofis regelmäßig die Herausforderung der Kalkfelsen in Lleida, die
„steiler, länger und härter als anderswo in Europa“ seien.
Dass sich heute in der Gegend die wichtigen Protagonisten der
Sportkletterszene ein regelmäßiges Stelldichein geben, ist dem
sympathischen Spanier Andrada zuzuschreiben. In einer Höhle nahe dem Ort
Santa Linya hat er 26 Routen eingerichtet, deren Schwierigkeitsgrad bis 9b
nach der dort gültigen französischen Kletterskala reicht. Dies entspricht
dem 12. Grad einer deutschen Skala. Heute hat Andrada zwei, der
US-Amerikaner Chris Sharma drei dieser 9b-Routen auf dem
Erstbegehungskonto.
Sharma folgte wie viele andere dem Ruf seines Freundes Andrada nach Lleida
und ließ sich vergangenen Sommer im Dörfchen Sant Llorenç nieder. „Hier
habe ich das Gefühl von Heimat“, sagt der 29-Jährige, der bereits vor über
einem Jahrzehnt als Revolutionär seines Sports gefeiert wurde. Doch auch
weniger Trainierte finden zahlreiche Klettergebiete in der Provinz Lleida.
Vor allem der Kalkgebirgszug Montsec lockt schon von Weitem. Wie ein Reptil
streckt sich die charakteristische Sedimentfalte unter der sengenden Sonne
aus und zieht eine über vierzig Kilometer lange, nahezu schnurgerade Linie
vor den Pyrenäen. Der für den Massentourismus noch unentdeckte „trockene
Berg“ gilt Einheimischen als Paradies für Abenteuersport aller Art:
Paragliding vor der spektakulären Kulisse der Hochpyrenäen, Wildwasserkajak
und Canyoning in den zwei tiefen Schluchten, die den langen Bergrücken
zerschneiden, sowie anspruchsvolle Mountainbiketouren. Der Kletterszene ist
der Montsec nicht nur wegen der Höhe seiner Südwand - der tiefste Punkt
liegt auf 400, der höchste auf 1.600 Höhenmetern -, sondern vor allem wegen
der langen Begehungstradition ein Begriff. Längst bevor das Klettern zum
Wettkampfsport wurde, machten sich hier einige Unbeirrbare daran, die
steilen Wände zu erklimmen.
Manel Cortès war einer der umtriebigen jungen Menschen, die in der düsteren
Zeit der Franco-Diktatur einem neuen Lebensstil frönten. Mit Hanfseilen und
Klemmkeilen, die sie aus Holz herstellten, wagten sich die Pioniere im Jahr
1958 zunächst an die Felsen um den Stausee von Sant Llorenç, dann an den
höheren Montsec und seine gewaltigen Schluchten Terradets und Mont-Rebei.
„Der heute 75-jährige Cortès mit der ledrigen, braungebrannten Haut kann
von großen Abenteuern erzählen, die „von viel lebensgefährlichem
Dilettantismus“ geprägt gewesen seien. Gefährlich war das Treiben in
doppelter Hinsicht: Der von Cortès Ende der fünfziger Jahre gegründete
Kletterverband Lleida wurde anfangs als regimefeindliche Organisation
eingestuft.
Über die „Cade“-Route an der 580 Meter langen Wand der Schlucht des
Terradets-Passes wurde der Montsec 1959 erstmals bestiegen. Wer sie
nachklettert, kann heute, fünfzig Jahre später, nur Respekt empfinden.
Heute sind die 21 Seillängen mit Bohrhaken ausgestattet. Dennoch macht sich
in den steilen Abschnitten weit über der Straße hängend das Abenteuergefühl
von damals breit. Es hallt wie in einem Amphitheater, wenn sich ein Stein
unter den Füßen löst und in die Tiefe rauscht.
In der Mont-Rebei-Schlucht, dem zweiten tiefen Einschnitt, den die Erosion
in den Montsec gewetzt hat, bleibt das Klettern bei seinen Ursprüngen. Nur
ein schmaler, in den Fels gehauener Steig führt in die teilweise nur
zwanzig Meter enge Kluft, unten gluckst das Wasser, nur wenig Sonnenlicht
dringt ein. Bohrhaken sucht man hier vergeblich. Die Gurte wiegen schwer,
wenn man mit Klemmkeilen, unzähligen Bandschlingen und Karabinerhaken den
Marsch zum Fuß des Felsen antritt. Dafür kann man in der unter Naturschutz
stehenden Felsspalte die Zivilisation vergessen, während oben Gänse-,
Schmutz- und Bartgeier und mit etwas Glück sogar seltene Habichtadler ihre
Kreise ziehen.
Auf dem Hochplateau des Montsec angekommen, entschädigt ein atemberaubender
Blick auf die Pyrenäen und über die Ebene von Lleida alle Mühen. „Als Kind
sah ich oft den Montsec im Abendlicht leuchten und wusste: Dort will ich
einmal hinauf“, erinnert sich Manel Cortès, der zwei Bücher über den von
ihm so geliebten Berg veröffentlicht hat.
Von der Seeterrasse der Bar in Sant Llorenç blickt der alte Mann auf die
Felswand, an der die Geschichte des Kletterns in der Provinz Lleida und
seine eigene Felslaufbahn begann. Heute blinken hier Tausende von Bohrhaken
in den Wänden, über denen mehr Geier gleiten als je zuvor. „Die Zeiten
haben sich geändert“, sagt Cortès. Inzwischen wird auch im Klettergebiet
Sant Llorenç bis zum Schwierigkeitsgrad 9a geklettert. Doch manches blieb
unverändert: In der Dorfbar zapft der alte Jaume noch immer im
Schneckentempo das Bier und hört sich seit vierzig Jahren die Geschichten
nach Kletterschluss an. Man isst „Pa amb tomaquet“, das katalanische
Tomatenbrot, und lässt den Wein in kräftigem Strahl aus dem „Porró“
genannten Trinkgefäß direkt in den Mund schießen. Wie früher liegen in
einer staubigen Ecke die handgezeichneten Felsskizzen, die nur zum Teil
durch moderne Kletterführer auf Hochglanzpapier ersetzt wurden. „Einst gab
es fünf, sechs Routen an jeder Wand - heute habe ich den Überblick
verloren“, klagt der alte Jaume.
Dass sich mit Chris Sharma der vielleicht weltbeste Sportkletterer
ausgerechnet in seinem kleinen Weiler niederließ, scheint dem Wirt nur
natürlich. Dass mit dem Kletterstar oft auch das Fernsehen in den
verlassenen Winkel kommt, auch. Sein nüchternes Fazit: „Zu irgendetwas
müssen die Felsen ja gut sein - und sei es nur, dass sich die Jungs die
Hörner abstoßen können.“
31 Aug 2010
## AUTOREN
Annika Müller
## TAGS
Reiseland Spanien
Schwerpunkt Artenschutz
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