# taz.de -- Antisemitismus an Stadtkirche Wittenberg: BGH verhandelt zu Relief | |
> Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit einer antisemitischen Plastik | |
> in Wittenberg: Reicht Kontextualisierung, um sie dort zu lassen? | |
Bild: Antisemitisches Relief an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg | |
Freiburg taz | Muss das antisemitische Schmährelief an der Stadtkirche | |
Wittenberg beseitigt werden? Darüber verhandelte am Montag der | |
Bundesgerichtshof. Geklagt hatte der konvertierte Bonner Jude Michael | |
Düllmann, der sich von der Schmähung persönlich beleidigt sieht. | |
An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther | |
gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Meter Höhe [1][eine | |
antisemitische Skulptur] angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, | |
die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die | |
Skulptur deshalb als „Judensau“ bezeichnet. | |
Anfang 2020 entschied das Oberlandesgericht Naumburg, dass das Relief im | |
heutigen Kontext [2][nicht mehr beleidigend ist.] Die von der Kirche | |
vorgenommene „Kommentierung“ der Plastik neutralisiere die ursprüngliche | |
Wirkung. Schon 1988, also noch zu DDR-Zeiten, hatte die Kirchengemeinde am | |
Fuße der Plastik eine künstlerisch gestaltete Bodenplatte als Mahnmal | |
angebracht. Später wurde diese durch eine Informationsstele ergänzt. | |
Kläger Düllmann hält das alles für unzureichend und ging in Revision. Sein | |
Anwalt Christian Rohnke sagte in Karlsruhe: „Bei einer so schweren | |
Beleidigung muss ich als Verantwortlicher mein Äußerstes tun, um die | |
Wirkung zu beseitigen. Das hat die evangelische Kirchengemeinde aber nicht | |
getan.“ Im Gegenteil, so Anwalt Rohnke, „der Text auf der Bodenplatte ist | |
wirres Geschwurbel, das niemand versteht.“ Seit 1988 steht dort: „Gottes | |
eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den | |
Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter | |
einem Kreuzeszeichen.“ | |
## „In Stein gemeißelter Antisemitismus“ | |
Zudem kritisierte Anwalt Rohnke den Text auf der Informationsstele, auf der | |
es unter anderem heißt: „Schmähplastiken dieser Art, die Juden in | |
Verbindung mit Schweinen zeigen – Tiere, die im Judentum als unrein gelten | |
– waren besonders im Mittelalter verbreitet.“ Rohnke hält das für | |
„verharmlosend und relativierend“, so als sei Derartiges früher normal | |
gewesen. | |
Für die Kirchengemeinde betonte Anwältin Brunhilde Ackermann, man habe sich | |
die Entscheidung nicht leicht gemacht, das Relief zu belassen. „Das war | |
letztlich aber ein klares Bekenntnis, dass Erinnerungskultur sein muss“. | |
Erinnern sei nun mal am eindrücklichsten möglich am historischen Ort. Die | |
Kirche habe sich auch unmissverständlich distanziert. „Man darf die | |
Erinnerungskultur nicht auf dem Altar des Zeitgeists opfern“, forderte | |
Anwältin Ackermann. | |
Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters betonte, das Relief sei „in Stein | |
gemeißelter Antisemitismus“. Juristisch komme es darauf an, ob es sich | |
durch die Ergänzungen der Kirchengemeinde in eine Art Mahnmal verwandelt | |
hat. Das Urteil wird am 14. Juni verkündet. | |
Nach der Verhandlung sagte der neue Wittenberger Pfarrer Matthias Keilholz: | |
„Der Text der Bodenplatte ist vielleicht zu undeutlich.“ Die Gemeinde denke | |
über eine klarere Botschaft nach. | |
31 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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