# taz.de -- Antisemitismus an Stadtkirche Wittenberg: Vom Schandmal zum Mahnmal | |
> Der BGH hat entschieden: Die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche | |
> muss nicht beseitigt werden. Der jüdische Kläger scheitert. | |
Bild: Hier hat schon Luther gepredigt: Stadtkirche in Wittenberg | |
Karlsruhe taz | Das [1][antisemitische Sandsteinrelief an der Stadtkirche | |
von Wittenberg] (Sachsen-Anhalt) kann bleiben. Das entschied der | |
Bundesgerichtshof (BGH) an diesem Dienstag. Die evangelische | |
Kirchengemeinde habe sich ausreichend von der Hetzplastik distanziert. | |
An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther | |
gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Metern Höhe eine | |
antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die | |
an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur | |
[2][deshalb als „Judensau“] bezeichnet. | |
Seit einigen Jahren klagt der Bonner Jude Michael Düllmann gegen die | |
Wittenberger Kirchengemeinde. Sie solle das antisemitische Machwerk | |
beseitigen, das ihn und alle Juden beleidige. Er hatte jedoch weder beim | |
Landgericht Dessau noch beim Oberlandesgericht Naumburg Erfolg. Nun lehnte | |
auch der BGH seine Revision ab. | |
„Der Kläger kann nicht verlangen, dass die Beklagte das beanstandete | |
Sandsteinrelief beseitigt“, sagte der Vorsitzende BGH-Richter Stephan | |
Seiters. Es fehle an der „gegenwärtigen“ Rechtsverletzung. | |
## Rechtswidriger Zustand wurde beseitigt | |
Der BGH stellte fest, dass die „Judensau“-Plastik an sich durchaus | |
rechtsverletzend war. „Sie diente dazu, Juden verächtlich zu machen, zu | |
verhöhnen und auszugrenzen“, betonte Richter Seiters. Wie schon bei der | |
Verhandlung vor zwei Wochen sprach er von „in Stein gemeißeltem | |
Antisemitismus“. Es sei „kaum eine bildliche Darstellung denkbar, die in | |
höherem Maße im Widerspruch zur Rechtsordnung steht“. | |
Im November 1988 habe die evangelische Kirchengemeinde jedoch den | |
rechtswidrigen Zustand beseitigt, so der BGH, indem sie eine künstlerisch | |
kommentierende Bodenplatte und einen informierenden „Schrägaufsteller“ | |
unter dem Relief anbrachte. Damit habe sich die Kirchengemeinde von der | |
diffamierenden und judenfeindlichen Aussage des Reliefs distanziert. | |
Düllmanns Anwalt Christian Rohnke hatte in der Verhandlung zwar kritisiert, | |
die künstlerische Bodenplatte enthalte „wirres Geschwurbel“ und der | |
Informationstext sei „verharmlosend und relativierend“. Dazu sagte Richter | |
Seiters nun: „Es kommt nicht darauf an, ob man die Distanzierung auch | |
anders oder besser hätte machen können. Entscheidend ist, ob sich die | |
Kirchengemeinde ausreichend distanziert hat“. Dies nahm der BGH an. | |
## Eine „Möglichkeit der Aufklärung“ | |
Aus der Sicht eines verständigen Betrachters sei 1988 das Schandmal in ein | |
Mahnmal umgewandelt worden, argumentierte Richter Seiters. Es sei nun ein | |
„Zeugnis für die Jahrhunderte währende judenfeindliche Geisteshaltung der | |
christlichen Kirche“ und biete die „Möglichkeit der Aufklärung“. | |
Der BGH verlangte also weder eine Beseitigung der Plastik noch eine | |
Nachbesserung des Mahnmals. Es gebe nicht nur eine einzige Möglichkeit, die | |
Rechtsverletzung zu beseitigen, die Auswahl bleibe der Kirche überlassen. | |
Nach der Verhandlung sagte der Wittenberger Pfarrer Alexander Garth, er | |
könne Kläger Düllman durchaus verstehen, ihm sei die Distanzierung auch | |
nicht deutlich genug. „Wir müssen nachlegen“ erklärte der Pfarrer, „wir | |
müssen etwas installieren, was lauter spricht als das Schandmal oben. Wir | |
brauchen etwas, das als Bild um die Welt geht.“ Er wolle aber dem kreativen | |
Prozess nicht vorweggreifen. | |
Kläger Düllman war nicht zur Urteilsverkündung angereist. Bei der | |
Verhandlung vor zwei Wochen hatte er aber angekündigt, er werde im Falle | |
einer Niederlage das Bundesverfassungsgericht anrufen. | |
14 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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