# taz.de -- Rechtsstreit um „Judensau“-Relief: Eine echte Luthersau | |
> Am Montag entscheidet der Bundesgerichtshof über das Schmährelief | |
> „Judensau“. Eine strafbewehrte Beschimpfung darf der Kirche nicht erlaubt | |
> sein. | |
Bild: Blick auf die sogenannte „Judensau“ an der Stadtkirche in der Luthers… | |
Am Montag verhandelt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision auf | |
[1][Abnahme des Schmähreliefs „Judensau“] von der Wittenberger Stadtkirche. | |
Der Aktivist und Rentner Michael Düllmann, selbst Jude, war vor Gericht | |
gezogen, nachdem seine langen und intensiven Bemühungen, mit der Gemeinde | |
ins Gespräch zu kommen, keine Resonanz gefunden hatten. 2019 war dann seine | |
Klage zuerst vom Landgericht und danach auch in zweiter Instanz im Februar | |
2020 [2][vom OLG Naumburg abgewiesen worden]. | |
Für die evangelischen, besonders die lutherischen Kirchen in Deutschland | |
ist es ein kulturelles und geistliches Armutszeugnis, dass ein Gericht | |
jetzt darüber entscheiden soll, ob eine unzweifelhaft antijüdische | |
Schmähung auch weiterhin nicht nur irgendeine, sondern die zentrale Kirche | |
des Luthertums „zieren“ darf. Das schon im Mittelalter im Innenraum der | |
Kirche zur agitatorischen Belehrung der Christen angebrachte Relief ist an | |
Widerwärtigkeit und Bösartigkeit nicht zu überbieten: Es zeigt eine Sau, an | |
deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden | |
identifiziert werden. Eine durch einen Hut als Rabbiner zu identifizierende | |
Figur hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After. | |
Der große Reformator Martin Luther, Prediger an der Stadtkirche, war von | |
dieser Darstellung so fasziniert, dass er sie 1543 in seinem antijüdischen | |
Pamphlet „Vom Schem Hamphoras“ eigens würdigte. Schem Hamphoras bedeutet | |
den für Juden heiligen und darum unaussprechlichen Namen Gottes. Gut zwei | |
Jahrzehnte nach Luthers Tod wurde über der Sau die Inschrift „Rabini Schem | |
Ha Mphoras“ angebracht. Es war die Übergangszeit vom Mittelalter in die | |
Moderne. Der Antijudaismus wurde modernisiert zum Antisemitismus. Luthers | |
Ratschläge „wider die teuflischen Juden“ lesen sich [3][wie eine Anleitung | |
zu den Pogromen 1938]. Die sogenannte Judensau ist also tatsächlich eine | |
Luthersau. | |
Das alles wird vom Vorstand der Wittenberger Kirchengemeinde und seinen | |
Unterstützern nicht bestritten. Doch was folgt daraus? Man hätte das | |
Schmährelief einfach weiter verfallen lassen können, tat aber das | |
Gegenteil: Noch rechtzeitig zum großen Lutherjubiläum 2017 wurden das | |
Relief und seine Überschrift vergoldet, auch mit öffentlichen Geldern. | |
Neben dem Wittenberger Stadtrat inklusive AfD und Linker setzt sich auch | |
Friedrich Schorlemmer, langjähriger Prediger an der Stadtkirche, für den | |
Verbleib der „Luthersau“ ein: „Dieser Stachel im Fleisch muss bleiben. Es | |
muss in schmerzhafter Erinnerung bleiben, was in dieser Luther-Kirche | |
passiert ist. Ich fände es eine Schande, die ‚Judensau‘ einfach | |
wegzumachen“, [4][sagte er im Dezember 2017 dem SZ-Magazin]. | |
## „Stachel im Fleisch“ der Christenheit? | |
Schorlemmer scheint seiner eigenen Forderung nicht zu vertrauen. Sonst | |
hätte er längst dafür sorgen können, dass die schmerzhafte Erinnerung, also | |
die „Judensau“, ins Innere der Stadtkirche geholt und dort in einem | |
aufklärenden Kontext präsentiert werden könnte. Alle Veranstaltungen und | |
Gottesdienste im Angesicht der niederträchtigen antijüdischen Skulptur, das | |
wäre ein „Stachel im Fleisch“ der Christenheit. Wäre! Tatsächlich aber i… | |
die Sau an der Kirchenwand ein „Stachel im Fleisch“ der Jüdinnen und Juden, | |
die die „schmerzhafte Erinnerung“ an Antisemitismus und Holocaust durch | |
Luthers Kirchengefolgschaft nur als Hohn empfinden können. | |
Für die demokratische Gesellschaft stellt sich darum die Frage, ob sie | |
bereit ist, das sture Festhalten der Wittenberger Gemeinde an ihrem | |
Schmährelief einfach zu akzeptieren. Warum sollte der Wittenberger Kirche | |
die strafbewehrte verbale Beschimpfung „Du Judensau“ erlaubt sein, nur weil | |
sie in Stein geschlagen ist und unter Denkmalschutz steht? Es darf auch für | |
die Kirche kein Sonderrecht auf antijüdische Darstellungen geben. | |
## Respektloses Mahnmal | |
Man stelle sich einmal vor, ich beleidigte einen anderen Menschen mit dem | |
inkriminierten Schimpfwort und überreichte ihm dazu einen Zettel, der | |
darüber aufklärte, dass sechs Millionen Juden „unter dem Zeichen des | |
Kreuzes starben“, so die Inschrift einer Bodenplatte unter dem | |
Schmährelief. Ein Unding. Doch genau auf dieser schiefen Ebene argumentiert | |
der Vorstand der Wittenberger Stadtkirche: Ein „Mahnmal“, das vor circa 35 | |
Jahren noch zu DDR-Zeiten auf Initiative der Jungen Gemeinde in den Boden | |
unterhalb des Schmähreliefs installiert wurde, relativiere den | |
beleidigenden Charakter der Kirchensau und hebe ihn auf. | |
Auch wenn die damalige Intention Respekt verdient, ergibt eine genaue | |
Betrachtung heute einen klaren Befund: Das „Mahnmal“, das in der Größe und | |
Anmutung eines Gullydeckels unten im Boden vor der Kirchenwand eingelassen | |
ist, seine Kreuzästhetik und [5][seine Botschaft sind doppeldeutig und | |
respektlos]; ein klares Bußwort über den Antisemitismus und die | |
Mitverantwortung der lutherischen Kirchen für den Holocaust sucht man | |
vergeblich. | |
## Aus Gemeinde suspendieren | |
Die bisherigen Gerichtsinstanzen haben dennoch ohne genaue Prüfung die | |
Behauptung der Kirchengemeinde übernommen, dass durch das | |
Bodenplattenmahnmal der antijüdische Charakter des Schmähreliefs eine | |
ausreichende Distanzierung erfahren habe. Man wird sehen, ob auch der | |
Bundesgerichtshof diese Wittenberger Camouflage übernimmt. Immerhin hat der | |
BGH seinen Sitz in Karlsruhe, also außerhalb der sachsen-anhaltinischen | |
Einflusszone. Wichtiger aber ist, dass gesamtgesellschaftlich die | |
Aufmerksamkeit für antisemitische Propaganda zugenommen hat. | |
Und zu hoffen ist, dass zumindest ein Gerichtsurteil für die Entfernung des | |
Schmähreliefs von der Kirchenwand sorgt. Hilfreich könnte sein, wenn die | |
Evangelische Kirche in Deutschland ihre Distanzierung von Luthers | |
Antisemitismus ernst nehmen und die Wittenberger Gemeinde aus ihrer | |
Gemeinschaft suspendieren würde, jedenfalls so lange, wie diese die Sau | |
weiterhin ihren bösartigen Hass von der Kirche verkündigen lässt. | |
27 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /!5423724/ | |
[2] /Urteil-zur-Judensau-in-Wittenberg/!5658022 | |
[3] /Prozess-um-Judensau-in-Wittenberg/!5583504 | |
[4] https://sz-magazin.sueddeutsche.de/glaube-und-religion/schweinerei-84350 | |
[5] https://linksabbieger.net/2020/03/24/den-judenhass-verhuellen/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Hentschel | |
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