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# taz.de -- Virtual Reality in der JSC Berlin: Bilderritt in den Zwischenzustand
> Bei einer VR-Installation in der Julia Stoschek Collection werden
> Schamanismus und Hochtechnologie zusammengedacht. Geht das gut?
Bild: Schamanismus und Virtual Reality in der JSC Berlin: „Piña, Why is the …
Medienkunst hat an sich schon eine spirituelle Komponente. Denn bei ihr
breitet sich Licht aus, halb Teilchen, halb Welle. Und das Empfängerorgan,
das menschliche Auge, das verknüpft ist mit dem Kognitionsapparat von
Gehirn und Nervenzellen, kreiert daraus Wissen, Information und
Handlungsanleitung. Mit genau diesen Zusammenhängen spielt [1][„Piña, Why
is the Sky Blue?“ des Duos Stephanie Comilang und Simon Speiser].
Es empfiehlt sich, bei dieser hybriden Installation aus VR-Elementen,
Videodokumentation und grafischen Arbeiten zuerst die VR-Brille
überzustreifen und in den spekulativen dreidimensionalen Raum einzudringen
– und später erst das Video zu sehen. Im VR empfängt eine weibliche Gestalt
die Eintreffenden. Sie präsentiert sich in einem Zwischenzustand zwischen
Schlaf und Wachheit, zwischen Ertrinken in einem nicht näher benannten
Ozean und einem Treiben in einem Medium, das mal flüssig, mal gasförmig
erscheint.
Mit dieser Figur Piña durchstreift man Landschaften, betritt Häuser und
Hütten. Thema ist gespeicherte Information. Speicherquellen können Bücher
sein, ganze Bibliotheken, durch die man schwebt, aber auch Ornamente, die
eingewebt sind in Textilien oder ausgelegt als Mosaike oder auch
abgeschritten werden können in Ritualen. Auch mündliche Überlieferungen
sind eine Aufbewahrungspraxis, allerdings nicht an Objekte gebunden,
sondern den Prozess des Erzählens und Zuhörens.
Zuweilen, wenn die Drohne im VR über Gebirgslandschaften dahingleitet, mag
man sogar in den Höhenzügen Informationsmuster erkennen. Der nächste
Schritt, sich vorzustellen, in schamanistischen Praktiken und durch
Kommunikation mit längst toten Ahnen Wissen zu genieren, fällt dann gar
nicht mehr schwer. Ja, er erscheint logisch.
Stephanie Comilang, eine Wandernde zwischen den Philippinen und Kanada, und
Simon Speiser, zwischen Ecuador und Deutschland pendelnd, beschreiten in
ihrer Arbeit einen so naheliegenden wie erstaunlich selten begangenen Weg.
Sie verknüpfen spirituelle Praktiken mit den immateriellen Prozessen
digitaler Kommunikation. Sie docken zugleich an ewigen Sehnsuchtsorten an:
An Träumen von Gerechtigkeit, von Frieden, von Zusammenleben und Austausch
und vor allem von Bedürfnissen, die nicht immer an Wachstum, an ein
Immer-mehr, Immer-besser gebunden sind.
## Den eigenen Zustand gespiegelt
Das berührt eine Saite, die gerade jetzt besonders schwingt, in Zeiten, in
denen Europa Krieg als verhältnismäßig nahe Bedrohung erlebt, in der die
Klimaveränderungen bereits spürbar sind und die Energiekrise an steigenden
Preisen ablesbar ist. Und so lässt man sich ein auf die Wanderungen, erst
im virtuellen Raum, später im Video. Man sieht auf den Kissen im Raum der
[2][Julia Stoschek Collection] auch andere Menschen lungern, die
beglückt, beseligt, ein bisschen betäubt vielleicht auch, in die
Installation eintauchen. In ihren Gesichtern sieht man den eigenen Zustand
gespiegelt.
Diesen Zustand allerdings kann man nur schwer beschreiben. Ist man jetzt
tatsächlich in ein Meer von Wissen eingetaucht? Oder ist alles nur
Illusion? Die Wissensträgerinnen, denen man begegnet, es handelt sich dabei
ausschließlich um Frauen, sind Aktivistinnen, die sich teils ganz konkreten
sozialen und politischen Problemen zuwenden, die dabei aber auch auf
spirituelle Praktiken und schamanistische Rituale zurückgreifen.
Das bezaubert einerseits. Denn jahrhundertelange Verbindung von Mensch,
Tier und Pflanze wird beschworen, zeitliche Distanz zwischen entfernten
Generationen und Lebenszyklen überwunden und das Ideal eines ewigen
Gleichgewichts suggeriert. So recht begehbar, von Ostberlin aus, der
Leipziger Straße mit ihrem herben DDR-Charme, wo sich die Ausstellung
befindet, scheint dieser Weg dann aber doch nicht zu sein.
## Dystopische Grundtönung
Wenn man dies nämlich skaliert, sich allein die Bewohnerschaft eines dieser
Plattenbauten ringsum vorstellt, die jetzt allesamt VR-Brillen überstreifen
und mit Piña wandern oder gar die Ciberamazonas in Peru und die Black
Power Schamaninnen auf den Philippinen aufsuchen, dort also in Scharen
einfallen wie gewöhnliche Tourist*innen, dann erfährt dieses Bild eine
schwer dystopische Grundtönung. Piña, gedacht als künstliche Intelligenz,
spricht den und die Einzelne*n an. Das mag man als egalitär ansehen. Es
ist aber vor allem elitär.
Als Faszinosum freilich bleibt, dass man im Video Schamaninnen sieht, die
VR-Brillen aufhaben wie man selbst. Der technologisch induzierte Bilderritt
wirkt dann verwandt mit ritualbasierten und auf Substanzenkonsum beruhenden
Bewusstseinstrips. Comilang & Speiser stellen hochinteressante
Verknüpfungen her. Sie gestalten allerdings nur eine Oberfläche.
1 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.jsc.art/exhibitions/pina-why-is-the-sky-blue
[2] https://www.jsc.art/
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Virtual Reality
Berlin Ausstellung
Schamanismus
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Filmfestival
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Musik
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