| # taz.de -- Ausstellung über Schamanismus: Beuys oder nicht Beuys | |
| > Der Dortmunder Hartware Medienkunstverein nähert sich dem | |
| > „Technoschamanismus“. Der Aktionskünstler hatte sich ihm verschrieben. | |
| Bild: Schamanische Gestalt stapft durch virtuelle Wälder: Sahej Rahal, „Fina… | |
| Das große Mysterium des Todes – und damit des Lebens – ist seit jeher | |
| Hauptantrieb des menschlichen Strebens und der Kunst. Werke aktueller | |
| Medienkunst offenbaren das nicht immer gleich, weil ihre Beweggründe unter | |
| einer Oberfläche komplexer Technologie liegen, die viele Menschen erst mal | |
| zurückschrecken lässt. | |
| Doch Inke Arns, Direktorin des Hartware Medienkunstvereins (HMKV) in | |
| Dortmund, war sich sicher, dass es sich lohnt, mit einer Ausstellung genau | |
| solch komplexer Werke einer Frage nachzugehen, die die Kunstkritikerin Tess | |
| Thackara 2017 gestellt hat: Warum [1][haben schamanische Praktiken gerade | |
| ein Comeback in der zeitgenössischen Kunst]? | |
| „Technoschamanismus“ heißt die Schau im Dortmunder U und läuft als Teil d… | |
| Programms „Beuys 2021“. Wie Joseph Beuys, der in diesem Jahr hundert | |
| geworden wäre, sich mit osteuropäisch-asiatischen Vorstellungen von | |
| Schamanismus verband, wie er glaubte, selbst ein Schamane zu sein, ein | |
| Mittler zwischen den Welten (auch zwischen Leben und Tod), dem spürte im | |
| Sommer bereits die [2][Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“] im | |
| Schloss Moyland nach. | |
| Der HMKV nutzt das Jubiläumsbrimborium um den 1986 verstorbenen Künstler, | |
| schließt aber nicht direkt an sein Werk oder seine Begrifflichkeiten an, | |
| sondern reibt sich eher daran. | |
| ## Kritik an Beuys Schamanenfigur | |
| „Beuys wird heute insbesondere aus der Perspektive der Anthropologie und | |
| der Postcolonial Studies für die ‚Essentialisierung schamanistischer | |
| Rituale und seine Verhandlung von kultureller Differenz etwa zu Native | |
| Americans‘ kritisiert“, schreibt Inke Arns in einer Einleitung zur | |
| Ausstellung. „Die Schamanen-Figur ist aufgrund des kolonialen Ballastes | |
| eine grundsätzlich problematische, da Beuys durch seine Kunst Stereotype | |
| und Zuschreibungen weiterführte und dadurch verfestigte (man denke nur an | |
| den Begriff ‚Ostmensch‘).“ | |
| Der HMKV sucht deshalb andere Bezüge: den Philosophen Bruno Latour, der | |
| gegen die Trennung von Gesellschaft und Natur, Subjekt und Objekt, | |
| Produktionssystem und Umwelt argumentiert, den russischen Kosmismus oder | |
| die Transhumanismusforschung der Silicon-Valley-Konzerne. Und zuguterletzt | |
| wurde der Begriff des „Technoschamanismus“ einer dekolonial ausgerichteten | |
| brasilianischen Software- und DIV-Bewegung entlehnt, die mit Wissen der | |
| Vorfahren an einer Heilung des Planeten arbeiten will. | |
| Wer bis hierhin schon Schwierigkeiten hatte, gedanklich zu folgen, hat eine | |
| Ahnung davon bekommen, was sie oder ihn in der Ausstellung erwartet. In | |
| ihrem Konzept klafft nämlich eine absurd große Lücke zwischen den | |
| Erklärtexten an der Wand, die nach dem aktuellen Trend in einfacher Sprache | |
| gehalten sind, und den den Arbeiten inhärenten Diskursen. | |
| Allein um ein Kunstwerk wie „Transformella“ von J. P. Raether zu verstehen, | |
| braucht es eigentlich ein Proseminar in Transhumanismus. Der | |
| Einleitungstext im Magazin, das irgendwann im November zur bereits | |
| laufenden Ausstellung erscheinen soll, versucht es so: „Transformella, | |
| Protektorama und Schwarmwesen sind nur einige der vielen fiktionalen | |
| Identitäten und hysterisch-subversiven Drag-Charaktere, die der Künstler | |
| umsorgt. | |
| ## Das Augmented-Reality-Headset ist schwer und drückt | |
| Als SelfSisters gehören sie zu drei Lebenslinien von sich konstant | |
| ortsspezifisch weiterentwickelnden aLifveForms, die | |
| globalisierte/kapitalistische Waren- und Produktionsströme erforschen.“ | |
| Alles klar? | |
| Um „Transformella“ zu erforschen, bekommen Besucher*innen, nach einem | |
| kurzen Kampf der Mitarbeiterin mit der Technik (sie muss zum Starten eine | |
| Handbewegung ausführen, die offenbar nur schwer erkannt wird), ein | |
| Augmented-Reality-Headset auf den Kopf. Es ist sehr schwer und drückt bald | |
| auf Nase und Schläfen. | |
| Wenn man die kleineren und größeren skulpturalen Elemente J. P. Raethers | |
| damit im genau richtigen Winkel ansieht, dann werden sie von einer | |
| virtuellen Realität überschrieben, die uns erzählt, wie bald – oder | |
| möglicherweise jetzt schon – Tech-Start-ups das Leben in einen | |
| Verwertungskreislauf bringen könnten: Kohlendioxid aus der Luft filtern, | |
| [3][In-Vitro-Fleisch züchten], Abstammung mittels DNA rekonstruieren und | |
| Diamanten aus der Asche Verstorbener herstellen. | |
| „Transformella“ einmal zu durchlaufen dauert 20 Minuten. Damit ist es eine | |
| der am leichtesten zu konsumierenden Arbeiten in der Schau. Schätzungsweise | |
| drei bis fünf Nachmittage müsste man hier verbringen, um alles, | |
| hauptsächlich Videoarbeiten, zu sehen. Diese Informationen sollen die | |
| Ausstellung übrigens nicht abwerten, bloß die Frage stellen, an welche Art | |
| Publikum sie sich eigentlich richtet. | |
| ## Demokratische Teilhabe ist kein Anliegen der Schau | |
| Es können eigentlich nur Akademiker*innen mit sehr viel Zeit sein. Die | |
| Schau behandelt wichtige politische, ethische und philosophische Probleme | |
| und hat nicht weniger als die Rettung des Planeten sowie die Versöhnung mit | |
| unserer Existenz zum Ziel. Das Demokratische, das Joseph Beuys in seiner | |
| Kunst stets unbedingt einlösen wollte, geht ihr allerdings ab. | |
| So hat die Schau ihre stärksten Momente unbedingt in Arbeiten, die die | |
| großen Fragen durch sinnliche und spielerische Erforschung thematisieren: | |
| Da beobachten wir dann endlich Beuys – mit Hirtenstab und Filzbahnen in | |
| einer Aufzeichnung seiner berühmten Aktion „I Like America and America | |
| Likes Me“, bei der er 1974 mehrere Tage mit einem Kojoten in einer New | |
| Yorker Galerie verbrachte. | |
| Wir folgen Tabita Rezaire, die in ihrer Videoinstallation „Mamelles | |
| Ancestrales“ Steinkreise in Westafrika auf das in sie eingeschriebene | |
| Wissen unserer Vorfahren über den Kosmos untersucht. Wir betrachten mit | |
| Anja Dornieden & Juan David González Monroy wie hypnotisiert indonesische | |
| Affendompteure, die ihre Tiere mit Masken ausstatten, um sie das Rätsel und | |
| die Absurdität unserer Existenz aufführen zu lassen. | |
| Einerseits erscheint das fremd. Andererseits wird klar: Ihre Fragen – | |
| unsere Fragen: immer dieselben. Deshalb haben schamanische Praktiken ein | |
| Comeback in der zeitgenössischen Kunst. | |
| 27 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Max Florian Kühlem | |
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