# taz.de -- Regierungsumbildung in Österreich: ÖVP wieder wie vor Kurz | |
> Der neue österreichische Kanzler Karl Nehammer baut sein Kabinett um, | |
> Farbe und Name der ÖVP werden gleich miterneuert. Kritik hagelt es | |
> trotzdem. | |
Bild: Karl Nehammer | |
WIEN taz | Ein Superministerium und zwei neue Staatssekretariate sind das | |
Ergebnis der Regierungsumbildung, die durch die Rücktritte von | |
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin | |
Margarete Schramböck (beide ÖVP) am Montag ausgelöst wurde. | |
Schon am Mittwochvormittag wurden die neuen Regierungsmitglieder von | |
Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt. Aus dem ersten Kabinett | |
von [1][Sebastian Kurz] ist jetzt niemand mehr im Amt. Dass Bundeskanzler | |
Karl Nehammer (ÖVP) aber jetzt aus dem Schatten seines Vorgängers treten | |
und für die ÖVP neu durchstarten kann, wird von den vielen in Frage | |
gestellt. | |
Zwei Ministerinnen sind weg und werden durch zwei Männer ersetzt. Der | |
bisherige Vorsitzende des ÖVP-Bauernbundes [2][Norbert Totschnig] übernimmt | |
die Landwirtschaft, die Wirtschaftsagenden wandern zu Martin Kocher | |
(parteilos), der bisher nur Arbeitsminister war und jetzt als | |
„Superminister“ gilt. Er bekommt mit der Leiterin der Fachgruppe Hotellerie | |
in der Wirtschaftskammer Susanne Kraus-Winkler eine Staatssekretärin für | |
das wichtige Tourismusressort. Der bisher im Wirtschaftsministerium | |
angesiedelte Bereich Digitalisierung wandert zu Finanzminister Magnus | |
Brunner, der dafür mit Florian Tursky einen neuen Staatssekretär bekommt. | |
Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm wird durch die Zuständigkeiten für | |
Zivildienst und Regionales aufgewertet. | |
Beides war, ebenso wie der Tourismus, vorher von Köstingers | |
Kraut-und-Rüben-Ministerium verwaltet worden. Die enge Vertraute von Kurz | |
hatte durch diese Multizuständigkeit immer eine Sonderstellung. Jetzt | |
regiert wieder die Zweckmäßigkeit. Dadurch setzt sich Nehammer von Kurz, | |
der die alte Tante ÖVP in „neue Volkspartei“ umgetauft und türkis | |
eingefärbt hatte, erkennbar ab. | |
## Alles neu macht der Nehammer – auch Logo und Name der ÖVP | |
Aus dem Namenslogo verschwindet jetzt auch das Wörtchen „neue“ und die | |
türkise Farbe wird etwas blasser. Dass, wie in der Ära vor Kurz, in der ÖVP | |
wieder die Bünde und die Länderchefs das Sagen haben, streitet Nehammer ab. | |
Dass der Abgang einer Tirolerin (Schramböck) und einer Bauernbündlerin | |
(Köstinger) durch die Ernennung eines Tiroler Bauernbündlers abgegolten | |
wurde, sei reiner Zufall. Er sei in seiner Personalauswahl völlig frei | |
gewesen. Die Opposition konnte dem runderneuerten ÖVP-Team erwartungsgemäß | |
wenig abgewinnen. | |
FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach vom „letzten Aufgebot“ und warf dem | |
Bundespräsidenten vor, einen Neuwahlauftrag zu verweigern. Neuwahlen | |
wünscht sich auch die SPÖ, die derzeit in den Umfragen mehrere | |
Prozentpunkte vor der ÖVP liegt. Außerdem kritisiert sie die Vermengung von | |
Arbeit und Wirtschaft in einem Ministerium. Da würden die | |
Arbeitnehmerinteressen denen der Unternehmen untergeordnet. | |
Bundespräsident Van der Bellen, der schon mehr Minister vereidigen musste, | |
als jeder seiner Vorgänger, gab sich diesmal angesichts der multiplen Krise | |
besonders nachdenklich: „Die Bevölkerung erwartet sich, dass Sie die großen | |
Herausforderungen angehen und lösen.“ Darunter die Abhängigkeit von | |
russischem Erdgas, die Klimakrise und die Sicherheit. Dass auch die | |
Pandemie trotz derzeit sinkender Infektionszahlen noch nicht vorbei ist, | |
wurde durch die Abwesenheit des designierten Landwirtschaftsministers | |
deutlich. Totschnig war gerade Covid-positiv getestet worden. | |
Während in Wien das Protokoll regierte, ging es in Bregenz um den Bestand | |
der schwarz-grünen Landesregierung. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) | |
musste ein von der Opposition im Landtag eingebrachtes Misstrauensvotum | |
abwehren. Gegen ihn ermittelt die Wirtschafts- und | |
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen einer [3][Inseratenaffaire]. | |
Der ÖVP-Wirtschaftsbund im Ländle hatte jahrelang über Inserate in | |
Parteizeitungen die Landes-ÖVP alimentiert. Wallner, der von einem anonymen | |
Zeugen beschuldigt wird, selbst Anzeigen gekeilt und politische | |
Gegenleistungen in Aussicht gestellt zu haben, wollte die Daten auf seinem | |
Diensthandy ausgerechnet an dem Tag löschen lassen, als er von den | |
Ermittlungen erfuhr. Seine Begründung, das sei ein seltsamer Zufall, klingt | |
auch für die Grünen nicht glaubwürdig. Sie stimmten mit großem Unbehagen | |
gegen den Misstrauensantrag, um die Koalition zu retten. Es gehe darum, | |
eine lückenlose Aufklärung zu garantieren. Und die sei mit einem | |
Untersuchungsausschuss möglich. Einen Kopf auszutauschen ermögliche auch | |
keine Weichenstellungen für die Zukunft. | |
11 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/oesterreich-sebastian-kurz-ruecktritt-1… | |
[2] https://www.derstandard.de/story/2000135588165/landwirtschaftsminister-norb… | |
[3] https://www.dossier.at/dossiers/inserate/ | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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