# taz.de -- Filmfestspiele von Cannes: Zwischen Show und Ernst | |
> Cannes 3: Das Festival eröffnete mit einer französischen Komödie, | |
> erkundete dann den Mord an Aldo Moro – und empfing eine Botschaft von | |
> Selenski. | |
Bild: Echte oder falsche Zombies in „Coupez!“, dem Eröffnungsfilm des Fest… | |
Auf dem renommiertesten Filmfestival der Welt kann es zur Eröffnung | |
durchaus mal einen Zombiefilm geben. Kurz vor der Pandemie tat das in | |
Cannes noch der US-Amerikaner [1][Jim Jarmusch mit seiner Zombiekomödie | |
„The Dead Don’t Di]e“, jetzt hat sein französischer Kollege Michel | |
Hazanavicius die Komödie „Coupez!“ nachgelegt, in der Zombies ebenfalls | |
eine Rolle spielen. Die Geschichte ist bei ihm jedoch vielschichtiger | |
angelegt. | |
Man beobachtet ein Filmteam, das einen Zombiefilm dreht, bei dem nicht | |
alles nach Plan läuft. Irgendwann tauchen neben den Zombiedarstellern | |
„richtige“ Zombies auf und greifen an. Die Sache nimmt ihren blutigen Lauf. | |
Auch diese Geschichte erweist sich bald darauf als weitere Ebene im Film, | |
denn von da an erzählt „Coupez!“ die Vorgeschichte des Zombiefilms. Ein so | |
albernes wie geschicktes Spiel mit den Möglichkeiten und Schwächen des | |
Kinos, in dem man gegen Ende erfährt, wie es zu den diversen Pannen im | |
anfangs gezeigten Film kam, Fehler, über die man sich zunächst gewundert | |
hat, die im Nachhinein dann ihre Komik erhalten. | |
Mit „Coupez!“, der ursprünglich „Z (comme Z)“ heißen sollte, nach | |
Beschwerden aus der Ukraine aber umbenannt wurde, hat [2][Hazanavicius, der | |
durch die Stummfilmhommage „The Artist“ (2012)] bekannt wurde, eine | |
japanische Vorlage verfilmt, „One Cut of the Dead“ von Shin’ichirô Ueda … | |
dem Jahr 2017. | |
Hazanavicius folgt dem Original, baut aber zusätzlich die Komplikationen in | |
seine Geschichte ein, die sich ergeben können, wenn ein französischer | |
Filmemacher für japanische Auftraggeber arbeitet. Kulturelle | |
Missverständnisse und heutige Fragen der damit verbundenen Wokeness streift | |
er ganz beiläufig. Ein unerwarteter, auf intelligente Weise unterhaltender | |
Auftakt. | |
## Bis heute nicht vollständig aufgeklärt | |
Ernster geht es hingegen beim [3][italienischen Regisseur Marco Bellocchio] | |
zu, der mit „Esterno notte“ eine Miniserie zur Entführung und Ermordung des | |
früheren Ministerpräsidenten Aldo Moro gedreht hat. Nach seinem Spielfilm | |
„Buongiorno, notte“ von 2003 geht Bellocchio in dieser Fernsehproduktion, | |
die außer Konkurrenz in Cannes Premiere feierte, über fünfeinhalb Stunden | |
der Frage nach, wer eigentlich hinter der Ermordung Moros durch die Roten | |
Brigaden steckte. | |
Der Fall gilt als bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Moro hatte sich | |
als Ministerpräsident in den siebziger Jahren, als das Land von | |
Terroranschlägen von links wie rechts erschüttert wurde, um eine | |
Zusammenarbeit seiner Partei, der Democrazia Cristiana (DC), mit der linken | |
Partito Comunista Italiano (PCI) bemüht und sich damit in beiden Lagern | |
viele Feinde gemacht. | |
Bellocchio nimmt sich Zeit, um einzelne Protagonisten ausführlich zu | |
betrachten. Steht in der ersten Episode Moro selbst, mit stiller Demut und | |
Ruhe von Fabrizio Gifuni gespielt, noch im Zentrum, verschwindet er nach | |
seiner Entführung praktisch aus der Serie und kehrt erst am Schluss in die | |
Handlung zurück. | |
Dazwischen konzentrieren sich die einzelnen Folgen auf Beteiligte wie den | |
Innenminister Francesco Cossiga (Fausto Russo Alesi), der ein politischer | |
Ziehsohn Moros war, Moros Frau Eleonoara Chiavarelli (Margherita Buy), | |
die zunehmend an der Unterstützung durch die DC-Parteifreunde Moros | |
zweifelt, oder die Terroristin Adriana Faranda (Daniela Marra), die den | |
Plan, Moro zu ermorden, ablehnt. Meistens langsam erzählt, zeigt Bellocchio | |
die Gewalt der Demonstrationen oder der Entführung Moros, bei der dessen | |
fünf Begleiter von den Roten Brigaden ermordet wurden, umso heftiger in | |
dynamischen Bildern. Großes politisches Kino. | |
Noch ernster ging es schließlich bei der Eröffnungszeremonie zu, bei der | |
neben den prominenten Gästen auf der Bühne ein weiterer prominenter Gast | |
aus der Ukraine per Video zugeschaltet wurde: der Präsident Wolodimir | |
Selenski. Dieser richtete an das Galapublikum die Worte: „Jeden Tag sterben | |
Hunderte von Menschen. Sie werden nach dem Schlussapplaus nicht wieder | |
aufstehen.“ Seine Frage „Wird das Kino schweigen oder darüber reden?“, | |
verband er mit dem Appell: „Wir brauchen einen neuen Chaplin, der beweist, | |
dass das Kino heutzutage nicht schweigt.“ | |
Die Botschaft hinterließ bei aller Dringlichkeit einen zwiespältigen | |
Eindruck: Zwar war es vom Festival richtig, mit Selenski ein Zeichen gegen | |
den Krieg zu setzen. Dennoch wirkte er zwischen den Reden von Hollywoodstar | |
Forest Whitaker, der eine Ehrenpalme erhält, und dem Einzug der Jury mit | |
ihrem Präsidenten, dem französischen Schauspieler Vincent Lindon, fast wie | |
ein weiterer Starauftritt. Die Grenze zwischen Ernst und Show verschwamm | |
darüber. | |
18 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Filmfestspiele-in-Cannes/!5592767 | |
[2] /Film-The-Artist/!5102207 | |
[3] /Mafia-Kronzeuge-im-Film-Il-Traditore/!5702271 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Film | |
Festival | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Zombies | |
Italien | |
Wolodymyr Selenskij | |
Cannes Cannes | |
Filmfestival Cannes | |
Kolonialgeschichte | |
Spielfilm | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Filmfestspiele von Cannes: Verbrechen und gerechte Strafe | |
Cannes 6: Bei den Filmfestspielen gibt es Einblicke in die Arbeitswelt der | |
Polizei. Auch eine satirische Abrechnung mit der Oberschicht ist zu sehen. | |
Filmfestspiele von Cannes: Berge ohne Verklärung | |
Cannes 5: Die Filmfestspiele beobachten Heranwachsende im Gebirge und in | |
New York. Die Erinnerungen an die Kindheit sind grandios. | |
Filmfestspiele von Cannes: Kampfjets am Himmel | |
Cannes 4: Beim Filmfestival tobt auf der Leinwand der Erste Weltkrieg. Über | |
den Besucherköpfen blasen derweil Kampfjets die Trikolore in die Luft. | |
Thriller „The Innocents“ im Kino: Kleiner Kinder Spiele | |
In Eskil Vogts perfide fesselndem „The Innocents“ zeigen sich | |
Schutzbefohlene von einer unheimlich mächtigen Seite. Ein Kinderfilm ist es | |
nicht. | |
Paolo Sorrentinos Film „Die Hand Gottes“: Maradona rettet Leben | |
Fußball, Tod und Filmemachen: Der Spielfilm „Die Hand Gottes“ von Paolo | |
Sorrentino erzählt vom Heranwachsen des neapolitanischen Regisseurs. | |
Sorrentinos Film "Il Divo": Eidechse der Macht | |
Dunkel funkelt die Selbstherrlichkeit. Um den italienischen Politiker | |
Giulio Andreotti geht es in Paolo Sorrentinos Burleske "Il Divo - Der | |
Göttliche". |