# taz.de -- Machtkampf nach Wahldebakel in NRW: AfD pinkelt sich selbst ans Bein | |
> Mehrere Mitglieder des AfD-Bundesvorstands fordern den Abgang von | |
> Parteichef Tino Chrupalla. Der will aber nicht weichen. | |
Bild: Mann, der auf Niederlagen starrt: Seit Chrupalla Parteichef ist, hat die … | |
BERLIN taz | Nach dem Wahldebakel der AfD in NRW ist der offene Lagerkampf | |
in der extrem rechten Partei ausgebrochen. 5,4 Prozent hat die AfD im | |
vorläufigen Endergebnis erzielt, das sind 2 Prozentpunkte weniger als noch | |
2017, fast wäre die Partei aus dem Landtag geflogen. Es ist die zehnte | |
AfD-Wahlniederlage in Folge, sowohl im Osten als auch im Westen – alle | |
fallen in die Amtszeit des Parteivorsitzenden und Fraktionschefs Tino | |
Chrupalla. | |
Genau das machen sich dessen parteiinterne Gegner*innen, insbesondere | |
die hessische Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglied Joana Cotar, am | |
Tag nach der Niederlage nun zunutze. Cotar macht das wohl auch, um sich | |
selbst als Kandidatin für den Parteivorsitz zu positionieren: „Mit Tino | |
Chrupalla endet die Erfolgsgeschichte der AfD“, sagte Cotar in einer | |
gemeinsamen Pressemitteilung mit weiteren Mitgliedern des Bundesvorstands. | |
Der sächsische Politiker bilde weder die gesamte Partei ab, noch überzeuge | |
er bei den Wähler*innen. Chrupalla dürfe als Bundessprecher beim Parteitag | |
Mitte Juni in Riesa nicht noch einmal antreten, forderte sie. | |
Um maximalen Schaden anzurichten, veröffentlichte Cotar ihren | |
Frontalangriff minutengenau zum Beginn der Pressekonferenz von Chrupalla, | |
auf der dieser die Niederlage in Nordrhein-Westfalen erklären sollte. | |
Chrupalla konterte, indem er seinerseits ankündigte, mit einem Team als | |
Bundessprecher anzutreten, das alle Strömungen repräsentieren solle. Nach | |
den Wahlschlappen stehe man jetzt vor der Aufgabe, mit einer inhaltlich | |
noch vagen „Initiative West“ mehr Disziplin einzufordern und einen klar | |
hierarchisierten Bundesvorstand ohne große Konflikte und bisherige | |
„persönliche Animositäten“ zu schaffen, so Chrupalla. | |
Die offene Kritik versuchte Chrupalla [1][mit einem leicht verhaspelten | |
Scherz zu kontern]: „Diese Kakofonie erzeugen immer wieder dieselben | |
Personen. Wie früher beim Camping: Es haben sich immer diejenigen beschwert | |
darüber, dass es nass im Zelt ist, die selbst ins Zelt hinein gepinkelt | |
haben.“ Er sei früher regelmäßig mit der Jungen Union zelten gewesen, so | |
Chrupalla auf die Rückfrage, wo er denn campen gehe. | |
## Höcke-Kandidatur weiter in der Diskussion | |
Inhaltlich sprach Chrupalla auf der Pressekonferenz erneut von fehlender | |
„Unterscheidbarkeit“, wie er es auch schon nach dem verpassten Wiedereinzug | |
in Schleswig-Holstein tat. Also mehr Ost-Kurs. Dort ist die Partei völkisch | |
dominiert, aber damit überwiegend auch erfolgreich in Regionen, wo | |
rassistische Positionen normalisierter sind als im Westen und die AfD nicht | |
systematisch ausgegrenzt wird. | |
Ob dieses Konzept tatsächlich auf den Westen übertragbar ist, stellen | |
jedoch viele in der AfD infrage. Zuletzt etwa am Sonntagabend der | |
[2][NRW-Landeschef Martin Vincentz], der davon sprach, dass der mit der | |
Parteispitze liebäugelnde Rechtsextremist [3][Björn Höcke kurz vor den | |
Wahlen] nicht unbedingt zum Erfolg beigetragen hätte. Die Frage, ob Höcke | |
Teil seines Teams sein könne, ließ Chrupalla offen. Er wolle keine | |
öffentlichen Personaldiskussionen. Unterordnen aber wollte Chrupalla sich | |
keinesfalls, sagte er: „Wenn Herr Höcke meint, als Parteichef antreten zu | |
müssen, so muss er gegen Tino Chrupalla antreten.“ | |
Es war damit zu rechnen, dass nach der NRW-Wahl unmittelbar vor dem | |
richtungsweisenden Parteitag in Riesa der Lagerkampf zwischen völkisch | |
geprägten Ost-Vertretern und vermeintlich Gemäßigten, mit Schwerpunkt im | |
Westen, weiter an Fahrt aufnimmt. Gleichwohl traf die Kritik einen wunden | |
Punkt: Alexander Wolf, ebenfalls im Bundesvorstand sowie Vizechef der AfD | |
Hamburg, nutzte Chrupallas derzeit offene Flanke – dessen [4][gute | |
Verbindungen nach Russland] inklusive Besuch bei Lawrow vor anderthalb | |
Jahren. Wolf sagte: „Ein allzu großes Verständnis für die russische | |
Position im Ukrainekrieg wird nirgendwo mehrheitlich akzeptiert.“ Der Kurs | |
von Chrupalla sei ein Irrweg, der die Partei nach dem Rausfliegen aus dem | |
Landtag in Schleswig-Holstein fast eine weitere Landtagsfraktion gekostet | |
hätte, so Wolf: „‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ ist eine Kirchentagsparo… | |
nicht die Position der AfD.“ | |
Plausibel kann in der AfD allerdings derzeit niemand erklären, wie die AfD | |
künftig Wahlpleiten verhindern will. Chrupallas Vorstoß einer „Initiative | |
West“ ist bisher ebenso unkonkret wie die Forderung nach einer „Offensive | |
West“ seiner parteipolitischen Gegner*innen, die aber immerhin neues | |
Spitzenpersonal fordern können. | |
Allerdings fehlt es der Partei derzeit an durchdringenden Inhalten und | |
strahlkräftigem Spitzenpersonal: Prominentere Mitglieder kündigten bisher | |
keine Kandidatur an. Alexander Gauland ist zu alt. Alice Weidel will nach | |
allem, was man hört, nicht als Parteichefin kandidieren. Beatrix von Storch | |
ist nach einer [5][Affäre um Wahlbetrug auf einem Berliner | |
Delegiertenparteitag] ihrerseits angezählt. Und eine Kandidatur von Höcke | |
würde die Partei wohl vollends zu einer östlichen Regionalpartei | |
degradieren. Die übrigen gehandelten Namen wie Peter Boehringer oder | |
Rüdiger Lucassen sind in der Breite der Bevölkerung eher unbekannt. | |
Kurzum: Die AfD findet keine Mittel gegen ihren fortschreitenden | |
Bedeutungsverlust. Während zuletzt im Saarland und Schleswig-Holstein noch | |
die heftig zerstrittenen Landesverbände als Erklärung für die schlechten | |
Ergebnisse herhalten konnten, ist die Gesamtkrise der AfD nach der Wahl im | |
bevölkerungsreichsten Bundesland NRW nicht zu übersehen. Die Verluste | |
zeigen: Die AfD dringt trotz Krisenlage nicht durch. Die unentschlossene | |
AfD-Haltung in der Russlandfrage schadet, ebenso wenig kann die AfD keine | |
Nicht-Wähler*innen motivieren. Dass nun das offene Hauen und Stechen | |
innerhalb der Partei wieder losgeht, wird wohl ebenfalls nicht gerade | |
helfen. | |
16 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/ARD_BaB/status/1526140194331697152 | |
[2] https://twitter.com/tilsteff/status/1525923882837979137 | |
[3] /Miese-Umfragewerte-der-AfD/!5854115 | |
[4] /Die-AfD-und-der-Krieg-in-der-Ukraine/!5844230 | |
[5] /Wahl-von-AfD-Delegierten-annulliert/!5850365 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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