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# taz.de -- Betroffener zu Missbrauch in der Kirche: „Das war doch ein Mann G…
> Als Ministrant wurde Richard Kick von einem Kaplan missbraucht. Lange
> wurde der Fall verschleppt. Gespräch mit einem, der trotzdem
> weiterkämpft.
Bild: „Der Kaplan war ja sogar mit meinem Vater in einer Schafkopfrunde“: R…
taz: Herr Kick, ist es in Ordnung, wenn wir über das reden, was Ihnen als
Kind widerfahren ist?
Richard Kick: Ja. Ich habe mir das ja gut überlegt, ob ich mit meiner
Geschichte an die Öffentlichkeit gehe. Ich habe auch meine Frau und meinen
28 Jahre alten Sohn gefragt, was sie davon halten. Mein Sohn hat nur
gesagt: Wenn nicht du, Papa, wer dann?
Sie waren damals Ministrant in einer Pfarrgemeinde im Münchner Umland.
Genau. Es begann, als ich acht Jahre alt war. Da ist der Kaplan mit uns in
den Sommerferien eine Woche ins Zeltlager gefahren. Er war der einzige
Erwachsene, es waren auch keine älteren Jugendlichen dabei, die bei der
Aufsicht geholfen hätten. Und da habe ich bald gemerkt, dass er ein Auge
auf mich geworfen hat. Es ging los, dass er kontrolliert hat, ob die
Badehose noch feucht ist, dann sollte ich mich ausziehen und so weiter. Zum
einen hat er sich immer mehr in mein Vertrauen eingeschlichen, zum anderen
kam dann eben auch die Forderung, was ich jetzt mit ihm zu tun hätte. Und
von da an hat er mich regelmäßig sexuell missbraucht. Das ging rund vier
Jahre lang – im Zeltlager, bei Ausflügen, aber auch in der Sakristei.
Haben Sie mitgekriegt, ob es noch andere Opfer gab?
Ich glaube zu dieser Zeit war ich zumindest sein bevorzugtes Opfer. Danach
hat er sich dann, wie ich inzwischen weiß, einen anderen, jüngeren Buben
als neues Opfer ausgesucht.
War Ihnen als Achtjähriger klar, dass das, was dieser Mann mit Ihnen
machte, ein Verbrechen war?
Zumindest, dass das nicht okay ist, das habe ich schon gemerkt. Das spürt
auch ein Kind.
Aber sich an Ihre Eltern zu wenden, war keine Option für Sie?
Nein, die hätten mir sowieso nicht geglaubt, geschweige denn, geholfen. Das
war doch ein Mann Gottes! Ich weiß von einem anderen Betroffenen, der ist
nach Hause zu seiner Großmutter gegangen und hat gesagt: „Du, Oma, der
Kaplan, der macht was mit mir.“ Da hat die nur gesagt: „Sei staad, sonst
schmier i dir oane.“ Das wäre in meinem Fall auch nicht anders gelaufen.
Der Kaplan war ja sogar mit meinem Vater in einer Schafkopfrunde. Und der
war natürlich stolz darauf, dass dieser Mann zu uns ins Haus kommt.
Wann haben Sie denn zum ersten Mal mit jemandem darüber gesprochen?
Da war ich schon über 50. Als 2010 nach den damaligen Missbrauchsskandalen
die Medienberichterstattung so groß war, saß ich einmal auf dem Sofa vor
dem Fernseher, und plötzlich sind mir die Tränen runtergelaufen. Meine Frau
hat mich gefragt, was mit mir los sei, und ich hab’ gesagt: Die sprechen ja
von mir. Das ist mir ja genau so passiert. Und dann kam das alles wieder
hoch, was ich jahrzehntelang verdrängt hatte. Etwas später habe ich dann
eine Traumatherapie begonnen und zum ersten Mal angefangen zu verstehen,
warum so vieles in meinem Leben schiefgelaufen ist: warum ich das Gymnasium
mit 14 abgebrochen und keinen Beruf erlernt habe; warum ich als junger Mann
rund 15 Jahre lang alkohol- und tablettenabhängig war; warum ich
jahrzehntelang regelmäßig mit Suizidgedanken gespielt habe.
Sie hatten das zuvor nie in einen Zusammenhang gebracht?
Nein. Ich hielt mich einfach nur für einen Loser, der es halt nicht auf die
Reihe bringt.
Wann sind Sie dann auf die Kirche zugegangen?
Kurz darauf habe ich den Dekan meiner Heimatgemeinde angesprochen. Der war
wirklich erschüttert, vor allem auch weil er den Täter kannte, der damals
noch immer im Dekanat lebte. Den hat er auch gleich nach unserem Treffen
mit den Vorwürfen konfrontiert, woraufhin dieser gesagt haben muss, er
könne sich zwar an nichts erinnern, aber man könne ja über alles reden und
Geld spiele keine Rolle. Aber natürlich wollte ich diesen Mann weder
treffen noch Geld von ihm nehmen. Im nächsten Schritt habe ich mich dann
direkt an die Erzdiözese in München gewandt.
Die hatte eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer?
Nein, ich habe bei der Telefonzentrale angerufen, und da hieß es dann:
„Wos? Missbraucht san S’ word’n? Da muss i erstmoi an Kollegen fragen, wer
da für Eahna zuständig ist.“
Aber dann hat man sich doch noch Ihres Falles angenommen?
Ja, ich hatte auch einen kurzen Briefwechsel mit [1][Kardinal Reinhard
Marx] und war gemeinsam mit anderen Betroffenen bei einem Gespräch mit ihm.
Aber weitere Briefe wurden von ihm nicht mehr beantwortet. Dafür wurde ich
dann 2011 von Prälat Wolf zur Zeugeneinvernahme geladen …
… Prälat Lorenz Wolf, der bis zu seiner Entpflichtung im März eine große
Nummer im Erzbistum und dessen höchster Kirchenrichter war.
[2][Genau der.] Da saß ich dann vor ihm und zwei anderen Priestern in
Schwarz wie vor einem Tribunal. Die haben mich ausgefragt und wollten
intimste Dinge von mir wissen, über die ich damals noch nicht wirklich
reden konnte. Meine Traumatherapie war damals noch nicht so weit
fortgeschritten. Und wer erzählt schon gern wildfremden Männern, noch dazu
Priestern, dass man den Kaplan oral befriedigen musste und wie das
abgelaufen ist?
Die Vernehmung fand im Rahmen des kircheninternen Verfahrens gegen Ihren
Peiniger statt. Wurden Sie über dessen Fortgang auf dem Laufenden gehalten?
Überhaupt nicht. Erst im letzten Jahr konnte ich Akten einsehen. Das
Verfahren ist ja jahrelang verschleppt worden. Und der Täter ist dann 2019
in allen Ehren mit Blasmusik und Fahnenabordnung beerdigt worden.
Was war in der Zwischenzeit passiert?
Eigentlich nichts. 2012 hatte Wolf seinen Abschlussbericht fertiggestellt.
Aber erst nach fünf Jahren wurde der Fall von Kardinal Marx nach Rom
gemeldet. Daraufhin kam dann nach sechs Wochen die Antwort von [3][Gerhard
Müller, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation,] dass der Vatikan
die Verjährungsfrist nicht aufheben werde, da die Taten schon so lange in
der Vergangenheit lägen. Er legte allerdings Marx nahe, selbst
disziplinarische Maßnahmen gegen den Täter zu ergreifen. Das hat er aber
nicht getan. Und ich habe bis heute keine schlüssige Antwort bekommen,
warum der Fall fünf Jahre lang in München liegengeblieben ist und warum
Marx den Täter am Ende ungeschoren davonkommen hat lassen.
In den Akten findet sich auch ein sogenanntes Eindruckszeugnis, das Wolf
von Ihrer Vernehmung angefertigt hat. Darin wird Ihnen unter anderem
vorgeworfen, Sie hätten die Kriterien eines Opfers einstudiert, seien
regelrecht ins Dozieren gekommen.
Diesen Vermerk habe ich zum ersten Mal Ende letzten Jahres zu Gesicht
bekommen. Da habe ich schon schlucken müssen. Der hat mich ja wirklich
diskreditiert, hat geschrieben, dass ich lügen würde und aggressiv sei.
Wolf war für mich einer der perfidesten Spieler in dieser Runde. Und ich
bin heute der festen Überzeugung, dass er und seine Praktiken der Grund
sind, warum sich hier im Erzbistum so wenige Betroffene zu Wort melden. Ich
habe einmal gesagt, den Wolf sollte man wie einen räudigen Hund vom Hof
jagen. Gut dass er nun von seinen Ämtern entpflichtet worden ist.
[4][Nach dem Gutachten, das die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl im Januar
vorgelegt hat,] hat sich Kardinal Marx [5][erschüttert, erschrocken und
beschämt gezeigt] und versprochen, das Thema zur Chefsache zu machen. All
das hört man aber schon seit über zehn Jahren von ihm. Sind Sie
zuversichtlich, dass sich diesmal wirklich etwas tut?
Natürlich bin ich weiterhin skeptisch. Trotzdem will ich Marx zugutehalten,
dass er vielleicht doch ein Herz hat und langsam merkt dass es anders gehen
muss. Dass Betroffene sich wirklich angenommen fühlen und willkommen fühlen
müssen.
Sie haben mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass Sie Empathie von Seiten des
Kardinals vermissen.
Das stimmt, und zwar geht es darum, dass Marx empathisch und proaktiv auf
die Betroffenen zugeht. Er war immer auf dem Standpunkt, es könnten ja
jederzeit alle zu ihm kommen. Aber so geht das nicht: Er muss mit offenen
Armen auf die Betroffenen zugehen. Wir hatten da in den letzten Wochen
harte Diskussionen, und inzwischen habe ich die Hoffnung, dass er es
verstanden hat. Und nach einigen Treffen, bei denen wir hart um unsere
Positionen gerungen haben, habe ich inzwischen tatsächlich auch den
Eindruck: So ganz empathielos ist er vielleicht doch nicht.
Wie erklären Sie sich denn sein bisheriges Verhalten?
Ganz ehrlich? Ich glaube, er hat einfach Schiss vor der Auseinandersetzung.
Er hat uns nicht nur einmal gesagt, dass er ein harmoniebedürftiger Mensch
sei. Das nehme ich ihm auch ab. Und ich verstehe, dass das Ganze auch für
ihn nicht leicht ist. Ich habe letztens einen Priester getroffen, der mir
sein Leid geklagt hat: Er habe diesen Beruf aus Leidenschaft ergriffen, sei
gern Seelsorger gewesen und habe gern vorne am Altar gestanden. Aber
inzwischen gehöre er zu den Kinderfickern. Das habe ich auch dem Kardinal
erzählt. Und da schaute er mich an und meinte: „Herr Kick, jetzt wissen
Sie, wie es mir geht.“ Marx möchte gern oberster Seelsorger sein und den
Glauben verkündigen. Um das andere soll sich die Verwaltung kümmern. Aber
als Erzbischof ist er eben auch deren Chef.
Bei einer Podiumsdiskussion haben Sie jüngst zu Marx gesagt, Sie hätten
zehn Jahre darauf gehofft, dass er Ihnen hilft, jetzt seien Sie gekommen,
ihm zu helfen. Wie haben Sie das gemeint?
Wir vom Betroffenenbeirat helfen ihm, indem wir ihm jetzt ganz konkret
sagen, was wir wollen, was wir brauchen, was zu tun ist. Und dafür ist er
uns, glaube ich, auch dankbar. Bis jetzt funktioniert das auch ganz gut. Es
ist einiges angestoßen worden, und ich bin guter Dinge, dass da 2022 noch
mehr passiert. Aber es ist noch ein steiniger Weg.
Was sind die wichtigsten Dinge, die jetzt passieren müssen?
Zentral ist für uns die Einrichtung einer Ombudsstelle, so dass sich
Betroffene über eine Hotline an eine neutrale Stelle mit psychologisch
ausgebildeten Leute wenden können, die ihre Interessen dann gegenüber dem
Bistum vertreten. Bislang müssen sie sich ja quasi als Bittsteller direkt
an die Kirche wenden. Außerdem fordern wir beispielsweise umfassende
Akteneinsicht für alle Betroffenen.
Wie sieht es mit den Entschädigungszahlungen aus?
Das Auszahlungssystem muss stark reformiert werden. Hier bestimmen momentan
ein paar überforderte Ehrenamtliche aufgrund von Fragebögen recht
willkürlich, wer wie viel bekommt. Oft wird zu wenig oder zu spät
ausbezahlt. Und die Deutsche Bischofskonferenz hat die Maximalsumme einfach
mal auf 50.000 Euro festgesetzt. Mit welcher Begründung, bitte? Das finde
ich eine Riesensauerei. Da muss nachgebessert werden.
Das Gutachten hat auch den Vorgängern Marx’ schweres Fehlverhalten
vorgehalten. Sie haben Priester, die Kinder missbraucht haben, geschützt,
sogar wieder in der Seelsorge eingesetzt. Zwei der früheren Erzbischöfe
leben noch: Joseph Ratzinger und Friedrich Wetter. Was erwarten Sie von
diesen?
Mit seinen Einlassungen, in denen er sich selbst am Ende noch als Opfer
dargestellt hat, dessen theologisches Werk man zerstören wolle, hat sich
Ratzinger alias Benedikt XVI. am meisten geschadet. Und das ist gut so. Der
Mann ist alt und wird bald einem anderen Richter gegenüberstehen. Wetter
dagegen war ja immerhin der einzige Bischof, der sich entschuldigt und klar
Fehler eingestanden hat.
Sind Sie noch in der Kirche?
Nein. Aber ich bin erst 2014 ausgetreten. Das war zu der Zeit, als ich Marx
mehrfach angeschrieben hatte und keine Antwort mehr erhalten habe.
Stattdessen bekam ich eine Mahnung, ich solle meine offene Kirchensteuer
begleichen, sonst würde ich gepfändet. Da habe ich Marx und seinem
damaligen Generalvikar geschrieben, ob sie sich nicht schämten. Es gab
natürlich keine Antwort. Da bin ich ausgetreten.
Glauben Sie noch an Gott?
Ja. Vielleicht nicht gerade an den dreifaltigen Gott der katholischen
Kirche, aber ich glaube, dass da jemand ist, der mich durchs Leben führt.
24 May 2022
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## AUTOREN
Dominik Baur
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