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# taz.de -- Missbrauchsskandal in München: Durchsuchung im Erzbistum
> In München wird die Staatsanwaltschaft beim Kardinal vorstellig – auf der
> Suche nach einem „Giftschrank“. Eine Zeitenwende im Missbrauchsskandal?
Bild: Auch der Amts- und Wohnsitz von Kardinal Reinhard Marx sollen durchsucht …
München taz | Wie groß ist das Ausmaß des [1][Missbrauchskandals in der
katholischen Kirche] tatsächlich? Wie viel wurde vertuscht, wie viele Täter
gedeckt, welche Verbrechen erst durch das bewusste Wegsehen der
Verantwortlichen ermöglicht? Gut ein Jahr, nachdem eine Anwaltskanzlei
[2][ein Gutachten im Auftrag des Erzbistums München-Freising]
veröffentlicht hat, sind viele Fragen immer noch offen. Die Vermutung, dass
vielleicht nicht unbedingt die katholische Kirche selbst prädestiniert für
die Rolle der Chefermittlerin ist, liegt nahe. Und doch blieb es bisher
weitgehend ihr überlassen, den eigenen Stall auszumisten.
Jetzt gab es eine Aktion der bayerischen Justiz, die manche Betroffene
hoffen lässt. Am 16. Februar, so berichtet die Süddeutsche Zeitung (SZ),
habe die Staatsanwaltschaft München I Räumlichkeiten des Erzbistums
durchsucht. Sowohl im Ordinariat als auch im Erzbischöflichen Palais, also
dem Amts- und Wohnsitz von Kardinal Reinhard Marx, sollen die Ermittler
vorstellig geworden sein.
Bei der Aktion sei es allerdings nicht um Vorwürfe gegen den Erzbischof
gegangen, sondern um die Vermutung, es gebe im Bistum einen „Giftschrank“,
in dem heikle Unterlagen zu Missbrauchsfällen weggesperrt seien. Hier habe
man sich wohl vor allem Erkenntnisse zu einem speziellen Fall aus dem
Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl erhofft. In dem Gutachten
waren 497 Opfer und 235 mutmaßliche Täter identifiziert worden. Die
Dunkelziffer dürfte freilich wesentlich höher sein.
## Betroffene hoffen auf Signalwirkung
Greifbare Ergebnisse hat die Durchsuchung laut SZ zwar nicht gebracht, als
bedeutsam wird sie von Betroffenen dennoch betrachtet. Immer wieder war in
der Vergangenheit kritisiert worden, dass die bayerische Justiz zu
nachsichtig sei, wenn es um Straftaten von Kirchenmännern gehe.
Auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hatte zuletzt immer
wieder durchblicken lassen, dass er sich ein größeres Engagement der
Behörden bei Ermittlungen zu Straftaten in der Kirche wünsche. Als die
Grünen im vergangenen Jahr kritisierten, dass ein erstes Gutachten aus dem
Jahr 2010 mit Hinweisen auf 200 Fälle von sexuellem Missbrauch erst nach
neun Jahren von der Staatsanwaltschaft geprüft worden sei, nannte der
CSU-Politiker diese Kritik berechtigt.
Auch Richard Kick, Sprecher des unabhängigen Betroffenenbeirats in der
Erzdiözese München und Freising, erhofft sich von der Durchsuchungsaktion
eine Signalwirkung: dass die Kirche kein rechtsfreier Raum sei und man dort
von der Justiz nicht mit Samthandschuhen angefasst werde, wenn es um
mutmaßliche Straftaten geht. Strafverfolgung sei schließlich Sache des
Staates. Dass offensichtlich nun auch Eisenreich – anders als seine
Vorgänger Beate Merk und Winfried Bausback – dieser Ansicht sei, freue ihn.
Ähnlich äußerte sich auch Edgar Büttner, der Sprecher von Wir sind Kirche
München: „Die Kirchen haben viel zu lange versucht, alles kirchenintern
selber zu regeln. Damit haben sie immer wieder Täter geschützt und vor
allem weitere Verbrechen ermöglicht.“ Und der Kirchenrechtler Thomas
Schüller sieht gar eine „Zeitenwende im Verhältnis von staatlicher Justiz
und den Kirchen“.
## „Die Sozialministerin lässt Tausende von Opfern im Stich“
Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals beschäftige ihn aktuell eine
andere Sache viel mehr, sagt Betroffenenbeirat Kick: „Es geht immer um die
Täter. Wer macht sich eigentlich Gedanken über die Opfer?“ Denn auch hier
sieht Kick den Staat in der Pflicht. Man könne die Opferfürsorge nicht
allein den Kirchen überlassen. Für viele Betroffene von Missbrauch komme es
nach ihren Erfahrungen schlicht nicht in Frage, sich wegen
Entschädigungszahlungen an die Organisation ihrer Peiniger zu wenden. Die
bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf vertrete allerdings die
Auffassung, dass es alleinige Aufgabe der Kirchen sei, sich um die Opfer zu
kümmern. „Die Sozialministerin lässt Tausende von Opfern im Stich.“
Die kircheninterne Aufarbeitung des Skandals auch nach dem Gutachten von
2022 bezeichnet Kick als „verschleppend, verzögernd und gar nicht
zufriedenstellend“. Auch der spezielle Fall, um den es bei den aktuellen
Ermittlungen gehen soll, ist bezeichnend für den jahrzehntelangen Umgang
der Kirche mit Tätern in den eigenen Reihen: Der Priester, der Anfang der
Sechziger Jahre wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Haftstrafe von fünf
Jahren verurteilt worden war, soll später von einem Kirchenoberen überredet
worden sein, in die Seelsorge zurückzukehren. Bis vor wenigen Jahren soll
man sich kirchenintern mit dem Fall beschäftigt haben, weil man gewusst
habe, dass der Priester Ministranten in seine Sauna eingeladen habe und mit
ihnen in Urlaub gefahren sei. Sanktionen habe es aber nie gegeben.
Inzwischen ist der Mann gestorben.
Das Thema Missbrauch wird auch auf der Deutschen Bischofskonferenz
diskutiert, die am Montag in Dresden begann.
27 Feb 2023
## LINKS
[1] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5913438
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## AUTOREN
Dominik Baur
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