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# taz.de -- Studie zu Missbrauch im Bistum Essen: Unbequeme Worte Betroffener
> Bei der Vorstellung einer Studie zu sexualisierter Gewalt im Ruhrbistum
> sprechen endlich auch Betroffene. Die Diözese will Prävention
> priorisieren.
Bild: Franz-Josef Overbeck, Bischof des Bistums Essen, vor Plakaten von Betroff…
Berlin taz | Schonungslose Aufklärung: Die wurde immer wieder gefordert
beim Thema sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche. Aber bei den
Präsentationen von Studien zum Missbrauch haben sich die Bistümer und
verantwortlichen Kardinäle in der Vergangenheit geschont. [1][Betroffene
kamen selten öffentlich zu Wort].
Das ist dem Bistum Essen am Dienstag besser gelungen – wodurch auf der
Pressekonferenz zur Vorstellung einer neuen Studie die Folgen des sexuellen
Missbrauchs in aller Deutlichkeit zur Sprache kamen: „Acht Wochen
Traumaklinik in Essen. Spießroutenlauf durch Institutionen. Seit 2019 bin
ich krankgeschrieben, denn das Trauma macht arbeitsunfähig. Mit 25 wollte
ich mir das Leben nehmen“, berichtete Stephan Bertram.
Der 59-jährige Elektriker ist Betroffener von sexualisierter Gewalt in der
Diözese. Er gehört zu den Kindern, die von dem damaligen Priester Peter H.
Ende der 1970er Jahre in Bottrop mehrmals sexuell missbraucht worden sind.
Der [2][beschuldigte Priester wurde 1980 aus dem Bistum Essen nach München
versetzt] und konnte dadurch zahlreichen weiteren Kindern und Jugendlichen
sexualisierte Gewalt antun. Ein Dienstverbot bekam H. erst 2010.
## Aus dem Machtmissbrauch lernen
Die Studie des Bistums Essen ist keine weitere juristische Untersuchung,
die vor allem die Schuld und die Schuldigen ermitteln soll. Davon gab es
[3][in den letzten Jahren schon einige]. Trotzdem mussten die Zahlen der
Betroffenen und Täter nach den Ergebnissen der aktuellen Erhebung wie
erwartet nach oben korrigiert werden: 2020 gab das Bistum 99 Opfer von
sexuellem Missbrauch an und 63 beschuldigte Diözesanpriester. Die
Studienautor*innen habe in den untersuchten Unterlagen Hinweise auf
190 Beschuldigte seit der Gründung des Bistums vor 65 Jahren gefunden und
es hätten sich 226 Betroffene gemeldet.
Das sei auch passiert, weil es im Bistum „massive Versäumnisse bis hin zur
aktiven Vertuschung gegeben habe“, räumte der amtierende Bischof
Franz-Josef Overbeck am Dienstag in Essen ein. Zu oft wurden Institution
und Täter geschützt, nicht die Betroffenen. Das solle nie wieder geschehen.
Lehren und Empfehlungen für die Präventionsarbeit wolle das Bistum auch aus
der neuen Studie ziehen.
Das Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) hatte
seit März 2020 an einer sozialwissenschaftlichen Studie [4][„zur
Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Essen von 1958 bis heute“]
gearbeitet. Diese sollte vor allem den systematischen Machtmissbrauch
untersuchen – auch, um Taten in Zukunft verhindern zu können.
Die Studienautor*innen haben drei Ebenen des kirchlichen
Machtmissbrauchs genauer analysiert. Auf der individuellen Ebene nahmen sie
konkrete Tatverläufe und Täterkarrieren in den Blick. Auf der
organisationalen Ebene die Dynamiken in Pfarrgemeinden und auf der
normativen und diskursiven Ebene das Priesteramt und die klerikale Macht.
## Priesterseminare: ein „eigenwilliges Sozialmilieu“
Auf dem dritten Gebiet haben sich die Sozialwissenschaftler*innen
auch angeschaut, wie in der Priesterausbildung mit dem Thema Sexualität
umgegangen wurde und wird, und wie über das Zölibat gesprochen wird.
Priesterseminare seien ein „sehr eigenwilliges Sozialmilieu“, so Malte
Täubrich vom Dissens-Institut für Bildung und Forschung.
Dort würden sich Männerbündnisse bilden, die auch zur Vertuschung
beitrugen. Außerdem entstehe durch die kleinen Seminargrößen die Gefahr,
dass sich angehende Priester als „elitärer Kreis weniger Auserwählter in
sich selbst verschließen“ und die Priester „hervorgehobene Einzelgänger“
werden, heißt es in der Studie.
Die besondere Stellung des Priesters innerhalb der Gemeinde wird in der
Studie kritisch hinterfragt. Häufig sei es bei Bekanntwerden von
sexualisierter Gewalt in Gemeinden zu einer Solidarisierung mit dem Pfarrer
gekommen und es habe eine Schuldumkehr stattgefunden.
## Betroffene angegriffen, weil sie Frieden stören
Die Betroffenen wurden angegriffen, weil sie „den Frieden in der Gemeinde
störten“, so Helga Dill vom IPP. Der Priester, der für die Gemeinde schon
so viel getan habe, wurde geschützt und ihm wurde geglaubt. Die soziale
Spaltungen sei auch gestützt worden, da die Bistumsverantwortlichen zu
wenig Informationen in die betroffenen Gemeinden getragen hätten.
Diese Dynamiken konnten die Sozialwissenschaftler*innen in
qualitativen Interviews mit insgesamt 86 Personen ermitteln. Bei der
Vorstellung am Dienstag in Essen kam auch der Sprecher des
Betroffenenbeirates der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, zu
Wort. Er richtete einen starken Appell an die Verantwortlichen, dass
[5][angemessene Entschädigungszahlungen an Betroffene] ein wichtiger
Schritt zur Überwindung des Missbrauchskandals seien. Dem pflichtete
Stephan Bertram bei: „Ich möchte als Opfer nicht hören, dass unser Bistum
arm ist und Immobilien verkauft werden müssen, um Anerkennungen leisten zu
können.“
Das Bistum Essen wurde 1958 gegründet und ist eins der jüngsten und
flächenmäßig das kleinste der Bistümer in Deutschland. Der amtierende
Bischof Franz-Josef Overbeck hat sich mehrfach positiv zum Vorhaben [6][des
Synodalen Wegs] geäußert und ist ein Fürsprecher für die Erneuerung der
katholischen Kirche. Im Ruhrbistum wurden schon 2012 und damit
vergleichsweise früh alle Personalakten von einer Anwaltskanzlei auf
Missbrauchsverdacht geprüft. (mit dpa)
14 Feb 2023
## LINKS
[1] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5906324
[2] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5829334
[3] /Missbrauch-im-Bistum-Muenster/!5861774
[4] http://www.ipp-muenchen.de/files/bistum_essen_ipp_2023.pdf
[5] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5913438
[6] /Reform-der-katholischen-Kirche/!5911756
## AUTOREN
Linda Gerner
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