# taz.de -- Missbrauch in der katholischen Kirche: Nicht mehr als eine Entschul… | |
> Ein Jahr nach dem Missbrauchsgutachten ziehen Kardinal Marx und das | |
> Erzbistum München Bilanz. Von sexueller Gewalt Betroffene kommen nicht zu | |
> Wort. | |
Bild: Erneut bittet Kardinal Marx um Entschuldigung | |
BERLIN taz | Er sei „erschüttert und beschämt“ – so äußerte sich der | |
Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, als am 20. Januar 2022 ein | |
Gutachten zu den Missbrauchsfällen in seinem Erzbistum seit 1945 vorgelegt | |
wurde. Ein Jahr später ziehen der Erzbischof und das Bistum Bilanz, wie die | |
Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs seit der Veröffentlichung | |
vorangekommen ist. „Wir wissen alle, dieser Prozess geht weiter. Der ist | |
nicht zu Ende“, sagt Marx. „Für uns ist klar: Wir wollen an der Seite von | |
Betroffenen sexualisierter Gewalt stehen.“ [1][Erneut bittet er um | |
Entschuldigung] und erneuert seinen Aufruf, dass sich Menschen, die | |
sexuellen Missbrauch im Rahmen der Kirche erfahren haben, melden sollen. | |
Das Gutachten von 2022 umfasst rund 1.700 Seiten, die beauftragte | |
Anwaltskanzlei listet mindestens 497 Opfer und 235 mutmaßliche Täter auf. | |
Auch dem kürzlich [2][verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI]. wurde | |
im Gutachten vorgeworfen, gegen [3][einen des Missbrauchs beschuldigten | |
Kleriker nichts getan] zu haben. Mehrfach hatten die Kirchenvertreter | |
eine umfassende Aufarbeitung angekündigt. Eine persönliche Konsequenz, wie | |
etwa den Rücktritt von Kardinal Marx, hatte dieser [4][damals mit Verweis | |
auf die Aufarbeitungsarbeit abgelehnt]. | |
Um ihre Bemühungen des vergangenen Jahres zu zeigen, spielten die | |
Vertreter*innen des Erzbistums zunächst einen Film ab. Mehrfach ist | |
darin die Rede davon, dass die Betroffenen mehr zu Wort kommen müssen. Sie | |
hätten den Blick für die Betroffenen nicht wirklich gehabt, gibt Marx etwa | |
rückblickend zu. „Das war unser größtes Defizit“. Auch Christoph Klingan, | |
Generalvikar des Erzbischofs, sagt, dass der Kontakt mit den Betroffenen zu | |
kurz gekommen sei. Dann holt er im Einspieler ein Buch über sexuelle Gewalt | |
aus dem Schrank. | |
Trotz dieser vermeintlichen Einsicht kommen bei der Vorstellung der | |
Aufarbeitungsbilanz keine Vertreter*innen des Betroffenenbeirats des | |
Erzbistums München und Freising zu Wort. | |
## Täter*innen bleiben unerwähnt | |
Stattdessen berichten die kirchlichen Mitarbeiter*innen von einer | |
Anlauf- und Beratungsstelle, die im Sommer 2022 zu einer Stabsstelle | |
„Beratung und Seelsorge für Betroffene von Missbrauch und Gewalt in der | |
Erzdiözese“ ausgebaut wurde. Insgesamt sind dort bislang 316 Anrufe | |
eingegangen, hinzu kommen 57 weitere Meldungen zu sexualisierter Gewalt bei | |
der Stelle für die Prüfung von Verdachtsfällen. | |
Es habe viele Gespräche mit Betroffenen gegeben, heißt es. „Missbrauch ist | |
und bleibt eine Katastrophe“, betont Marx. Doch die Täter*innen bleiben | |
ein Jahr später unerwähnt. Auch zu einem Verfahren vor dem Landgericht | |
Traunstein halten sich Marx und Co bedeckt. Ein Missbrauchsopfer hatte im | |
Juni 2022 eine Feststellungsklage gegen den inzwischen verstorbenen | |
Ex-Papst Benedikt XVI., gegen den ehemaligen Münchner Erzbischof Kardinal | |
Friedrich Wetter sowie den Ex-Priester H. eingereicht. Am 28. März soll im | |
Verfahren ein erster mündlicher Verhandlungstermin stattfinden. Weiterer | |
Streitpunkt sind Entschädigungszahlungen an Betroffene. Bei diesem Thema | |
will man für mehr Transparenz sorgen. | |
„Missbrauch ist kein Versehen, sondern immer eine geplante Tat“, sagt | |
Christine Stermoljan, Leiterin der Stabsstelle Prävention im | |
Erzbischöflichen Ordinariat. Es habe Schulungen für alle | |
Mitarbeiter*innen gegeben sowie kindgerechte Aufklärung in allen | |
Einrichtungen, um für das Thema zu sensibilisieren. Alle müssten | |
Schutzkonzepte zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt vorlegen. Im | |
Frühjahr wurde zudem ein neuer Verhaltenskodex zur Prävention von | |
sexualisierter Gewalt erlassen. | |
Doch tut die Kirche genug? Bereits im Dezember 2022 kritisierte der | |
bayerische Justizministers Georg Eisenreich (CSU) die Arbeit der Kirchen | |
als nicht ausreichend. Im Verfassungsausschuss des Landtags sprach er sich | |
für eine unabhängige Ombudsstelle für Betroffene von Missbrauch in der | |
Kirche aus. Diese Kritik wies Marx entschieden zurück: „Ich wehre mich | |
gegen den Vorwurf: ‚Die Kirche tut nichts, sie kann nichts.‘“ Es sei | |
wünschenswert, dass der Staat aktiv wird gegen sexualisierte Gewalt, aber | |
dann überall, auch in öffentlichen Institutionen. | |
17 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kardinal-Marx-ueber-sexuellen-Missbrauch/!5827470 | |
[2] /Nachruf-auf-Benedikt-XVI/!5905602 | |
[3] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5829198 | |
[4] /Kardinal-reagiert-auf-Gutachten/!5832236 | |
## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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