# taz.de -- Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Waschechte NRWler | |
> Nordrhein-Westfalen ist ein Kunstprodukt, klar. Aber es gibt hier | |
> Prominente, von denen viele nicht ahnen, dass sie aus NRW kommen. | |
Bild: Auch ein TV-Star aus NRW: der Affe Petermann, der später im Kölner Zoo … | |
Nordrhein-Westfalen ist, ähnlich wie das Bindestrichland Baden-Württemberg, | |
ein Kunstprodukt. Das fördert gegenseitigen Spott, Missgunst und | |
Verständnismängel. So heißt es in der Osthälfte Nordrhein-Westfalens gern: | |
„Der Westfale muss halten, was der Rheinländer verspricht.“ Darüber | |
schmunzelt der Westfale, weil er es für die Wahrheit hält. Der Rheinländer | |
lacht darüber, weil er immer gern lacht. Die Rheinländerin natürlich auch. | |
Zudem gibt es strenge Demarkationslinien und Abgrenzungen: Alt – Kölsch, | |
Alaaf – Helau, Schalke – Dortmund oder den Aldi-Äquator mitten durch | |
Gummersbach, hier Aldi Nord, da Süd. Und das Land hat Prominente zu bieten, | |
von denen viele nicht ahnen, dass sie in NRW geboren wurden oder hier | |
entscheidend wirkten. | |
Zum Beispiel [1][Karl-Heinz Rummenigge], 66, genannt Kalle. Erst 95-facher | |
Fußballnationalstürmer, dann Lebensaufgabe als brutalkapitalistischer | |
Macher des FC Bayern und Dauermeister misslungener Scherze („Für junge | |
Spieler ist es wichtig, dass sie auch mal Licht am Ende des Tunnels | |
schnuppern“). Herkunft: Lippstadt, mit 67.000 EinwohnerInnen größte Stadt | |
im Kreis Soest. Andere Lippstädter: Michael Rummenigge (Bruder) und Martin | |
Niemöller (Theologe). Besonderheit: 750 Kilometer Wasserläufe („Venedig | |
Westfalens“). Fußballclub: SV Lippstadt 08, 4. Liga. | |
[2][Sabine Leutheusser-Schnarrenberger], einst FDP-Bundesjustizministerin, | |
intern SLS genannt, ist eine Galionsfigur der fürchterlichen | |
Doppelnamen-Mode des späten 20. Jahrhunderts. Sie stammt aus Minden, NRWs | |
Nordostecke. Dort sind 82.000 Menschen stolz auf ihr seltenes | |
Wasserstraßenkreuz: Der Mittellandkanal wird in Trogbrücken 13 Meter hoch | |
über die Weser geführt. Und alle kennen Melitta Bentz: 1908 hatte sie | |
Löschpapier aus den Schulheften ihrer Kinder zurechtgebastelt und ein | |
Patent für Kaffeefilter angemeldet. Heute macht die Mindener Melitta Group | |
1,7 Milliarden Euro Jahresumsatz. | |
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ebenfalls FDP, ist heute aktive | |
SLS-Nachfolgerin scheinfeministischen Namensirrsinns. MASZ ist aus | |
Düsseldorf bei Köln. | |
Luigi Colani (1928–2019), Scheinitaliener, war ein geschäftstüchtiger | |
Designer mit mediterranem Gestus und einem Monstermoustache wie Heiner | |
Brand (Handball-Ikone, VfL Gummersbach). Lutz Colani, so sein Geburtsname, | |
kreierte aerodynamisch-biomorph geformte Autos, Kameras, Teekannen, | |
Klodeckel, Möbel. Sein „Biodesign“ diente der, so Colani, „Humanisierung | |
der Nahtstelle Mensch-Maschine“. Wenig glücklich verlief sein Bau eines | |
besonders aero- und aquadynamischen Ruder-Achters, mit dem Deutschland 1972 | |
Gold bei Olympia in Unterschleißheim holen sollte. Das Boot sank beim | |
ersten Test. | |
In seinen erfolgreichen 70er und 80er Jahren residierte Colani auf Schloss | |
Harkotten in Füchtorf/Kreis Warendorf. Dort lag sein Ruder-U-Boot bald | |
achtlos entsorgt in einem Gebüsch. | |
Sie war mit Kurt Tucholsky befreundet, stand mit Marlene Dietrich auf der | |
Bühne und lebte ihr Lesbischsein, so offen es damals ging. Die Sängerin | |
[3][Claire Waldoff] begeisterte ab 1910 mit Gassenhauern, Chansons und | |
Schnulzen, alles mit Berliner Schnauze: „Hermann heeßta“ hieß einer ihrer | |
Hits oder „Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt“. Waldoff war | |
Tochter einer Gastwirtsfamilie mit 16 Kindern aus Gelsenkirchen-Ueckendorf. | |
Die Stadt ist Heimat des gleichnamigen Barock, hat den Bundessitz der MLPD | |
(Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) und weist in der Liste | |
wichtiger in GE geborener Persönlichkeiten fast jeden Zweiten als | |
Fußballspieler aus (Neuer, Gündoğan, Özil, Thon, je zwei Mal Altıntop und | |
Abramczik, Burdenski sen., Kuzorra u. v. a. m.). Auch die Maus ist eine | |
nordrhein-westfälische Entertainerin, sie stammt aus Köln und hat seit 1971 | |
eine Sendung im WDR. | |
Bei manchen Menschen neigt man dazu, ihre Herkunft dem Haupttätigkeitsort | |
zuzuschreiben. Etwa Dieter Kürten, der im ZDF-Sportstudio zu leben schien. | |
Ein Mainzer also? Und Wolfram Siebeck,jahrzehntelang sperriger | |
Gastrokritiker der Zeit – ein Hamburger? Ist Jacques Berndorf mit seinen | |
Eifel-Krimis vielleicht von der Mosel? Und [4][Martina Voss-Tecklenburg], | |
die Hansi Flick des Frauenfußballs? Alle sind sie aus Duisburg. | |
Bitte, bitte: Die Stadt mit dem größten Binnenhafen der Welt immer wie | |
Düssburch aussprechen, höchsten Düüsburg, niemals Du-isburg. Und auch nie | |
Boch-humm sagen, immer Booo-chum. [5][Horst Schimanski] ist nicht aus | |
Düssburch, sondern wurde als Götz George in Berlin geboren. | |
Ach, und wo ist Günther Jauch geboren, in: a) München, b) Potsdam, c) | |
Rätselingen an der Frag oder d) Münster/Westf.? | |
Andere NRW-Erfindungen gefällig? Gummibärchen, Penatencreme, o. b., | |
Backpulver, Geschirrspülmaschine, 4711, die Aspirin-Tabletten. Morphium | |
wurde in Paderborn entwickelt, das angeblich bügelfreie Hemd im angeblichen | |
Bielefeld. Ohne Beethoven aus Bonn keine Europa-Hymne, ohne Friedrich | |
Engels aus Barmen nur ein halber Marxismus. Die Raufasertapete ist zwar mit | |
dem Namen Erfurt verknüpft. Also Thüringen? Nein, sie ist eine Erfindung | |
des Apothekers Hugo Erfurt aus Schwelm im Dreigegendeck Rheinland, | |
Westfalen, Ruhrpott. | |
Heinrich Lübke war einmal Bundespräsident. Der CDU-Politiker, geboren 1894 | |
in Sundern im Sauerland, stand der jungen Republik in einer Zeit vor | |
(1959–1969), als die Begriffe Alzheimer, Demenz und Zerebralsklerose noch | |
wenig bekannt waren. Lübke war ein trauriger Fall für den Staat und ein | |
erfrischender Fall für das Kabarett. Er verhaspelte sich oft, wusste bei | |
Reden manchmal nicht, wo er war, und verwechselte die japanische Stadt | |
Osaka mit dem Potenzmittel Okasa. Die Anrede „Meine sehr verehrten Damen | |
und Herren, liebe N*g*r“ bei einem Staatsbesuch in Liberia ist allerdings | |
eine böse Zuschreibung. Ein andermal sollte er Queen Elisabeth auf Schloss | |
Brühl zugeraunt haben: „Equal goes it loose“, was der Spiegel Jahrzehnte | |
später als eigene Erfindung reklamierte. Für CDU-Politik aus dem Sauerland | |
ist heute zuständig: Friedrich Merz (Brilon). | |
Die Städteregion Aachen bietet gescheiterte Kanzlerkandidaten in Serie: | |
2017 [6][Martin Schulz] aus Würselen (sprich: Würseln), zuletzt Armin | |
Laschet (spricht sich selbst: Lachet). Dafür hat Aachen in den Jahren, die | |
auf Kaiser Karl (gest. 814) gefolgt sind, erstmals ein weibliches | |
Stadtoberhaupt. 256 Männer waren vor ihr ohne Ausnahme dran, hat die | |
parteilose OBin Sibylle Keupen, seit 2020 im Amt, vorgerechnet. | |
Aachen war erste vom Faschismus befreite deutsche Großstadt (21. Oktober | |
1944), hatte die erste Nachkriegszeitung (Aachener Nachrichten, 23. Januar | |
1945) und den ersten Nachkriegs-OB: Franz Oppenhoff, Nummer 250 nach | |
Keupen’scher Arithmetik. Keine fünf Monate im Amt, wurde Oppenhoff von | |
einem Werwolf-Kommando erschossen. Aachen ist nach Bielefeld größte | |
NRW-Stadt ohne nennenswerten Fluss oder See und verzichtet auf den Titel | |
Bad, damit man im Alphabet vorne bleibt. | |
Fußball: Alemannia, in den Jahren 2004–07 dreifacher FC-Bayern-Besieger | |
nacheinander, Bundesligist und Uefa-Cup-Teilnehmer, ist soeben hauchzart | |
dem Abstieg in Liga 5 entronnen. | |
Diese zwei Männer aus NRW haben der Welt ihren Namen als späteres Verb | |
geschenkt: Josef Frings aus Neuss sorgte dafür, dass „fringsen“ im | |
Rheinland ein eigener Begriff ist. Als Kardinal von Köln erklärte er im | |
eisigen Nachkriegswinter, bei bedrohlichem Hunger sei Diebstahl | |
kirchenmoralisch okay. Also wurden Nahrungsmittel gefringst und auch | |
Kohlebriketts. Wilhelm Conrad Röntgen, geboren in Lennep im Bergischen | |
Land, hatte als Erster den Durchblick. Heute lassen wir uns in seinem Namen | |
röntgen. Der Erfinder der Magnetresonanztomografie heißt nicht Röhre und | |
ist auch nicht aus NRW. | |
15 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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