# taz.de -- Businesspläne nach dem Tagebau: Kohle machen ohne Kohle | |
> Riesige Seen, Gewerbegebiete, Einfamilienhäuser – es gibt die irrsten | |
> Pläne für die Zeit nach dem Braunkohleabbau. Lokale Initiativen wissen | |
> Besseres. | |
Bild: Nach dem Baggern hat RWE trotzdem noch lukrative Pläne | |
Für den [1][Kohleriesen RWE] war es immer eine perfekte Situation. Erst | |
durfte man die Landschaft entsiedeln, danach Dörfer, Wälder und ergiebige | |
Landwirtschaftsflächen schreddern, dann den Untergrund weggraben, die | |
Braunkohle klimavernichtend verbrennen und Jahr für Jahr Milliardengewinne | |
einstreichen. Noch ist nicht alles ausgekohlt, aber schon ist Phase zwei in | |
der Planung: die Zeit danach. Sie ist für die RWE Power AG nicht minder | |
verlockend. | |
Die Löcher in den rheinischen [2][Tagebauen Garzweiler], Inden und Hambach | |
sind zusammen an die 150 Quadratkilometern groß, am Ende werden es 170 | |
sein. Tiefe: bis zu 450 Meter, das entspricht fast drei Kölner Dömen | |
übereinander. Drei Seen sollen hier entstehen; der eine hat schon den | |
putzigen Namen „Indescher Ozean“, daneben wäre der „Lago Hambi“ | |
Deutschlands nach Volumen größter Binnensee, in Fläche Nummer zwei nach der | |
Müritz. | |
Und das Wasser? Bei Dormagen, 25 Kilometer entfernt, laufen derzeit die | |
Vorbereitungen, den Rhein anzuzapfen. 2020 hat die Laschet-Regierung RWE | |
die Erlaubnis dafür erteilt. 18 Kubikmeter pro Sekunde sollen einmal durch | |
ein gut 40 Kilometer langes System aus 2,20 Meter breiten Rohren fließen. | |
Freizeitparadiese sollen entstehen. Ob das je funktioniert, weiß niemand. | |
Fertigstellung? Die Rede ist von mindestens 60, vielleicht 100 Jahren. | |
„Unsere Urenkel“, glaubt der umtriebige Naturführer und Hambi-Aktivist | |
Michael Zobel aus Aachen, „werden hier als Alte noch nicht Segelbötchen | |
fahren.“ Zudem, fragen er und andere mit Blick auf das Klima: Wasser wird | |
knapp, der Rheinpegel immer niedriger, und das zunehmend kostbare Gut soll | |
zu neuen Kunstseen umgeleitet werden? | |
## Weitgehend menschenleere Dörfer | |
Lukrativ sind die weiten Gebiete rund um die Seelöcher. Das sind die | |
Flächen der Kraftwerke, alte Logistik- und Lagerbereiche, dazu die | |
weitgehend menschenleeren Dörfer wie Morschenich (Tagebau Hambach) oder | |
Keyenberg (Garzweiler), die aber nach dem letzten Kohlekompromiss nicht | |
weggegraben werden. Viele Tausend Hektar, die längst dem Kohleriesen RWE | |
gehören. Deren PR-Abteilung hat sich salbungsvolle Begriffe wie Rückbau | |
oder Rekultivierung ausgedacht. | |
Sie sprechen auch nicht von Pumpen, sondern romantisierend von Brunnen, die | |
das weite Kohlerevier seit den 50er Jahren trockenlegen. Alles unter dem | |
Freifahrtschein namens Bundesbergrecht, das auf dem Berggesetz für die | |
Preußischen Staaten von 1865 fußt und mit dem Rechtsbegriff Allgemeinwohl | |
dreckige Stromversorgung meint – und nicht Klimaschutz. | |
## Erst dekultivieren, jetzt Retter geben | |
Pro Jahr darf RWE im Kohlerevier mehr Wasser abbrunnen, als etwa Düsseldorf | |
samt seiner Industrie verbraucht. Zehn Prozent der Fläche | |
Nordrhein-Westfalens, etwa 3.200 Quadratkilometer, sind vom | |
Absenkungstrichter des Grundwassers betroffen. Seit Langem prophezeit der | |
BUND für das Trinkwasser langfristig einen „hydrologischen Infarkt“. | |
Erst kompromisslos dekultivieren – und jetzt den rekultivierenden Retter | |
geben. Im Februar hat das Land zusammen mit RWE die | |
[3][Perspektive.Struktur.Wandel GmbH] gegründet. Gemeinsam will man | |
Gewerbeparks und Industrieansiedlungen schaffen, Großgrundbesitzer RWE will | |
dabei seine „Liegenschaftspower einbringen“. Die CDU-FDP-Regierung | |
bestreitet vehement, dass bei so viel offizieller Gemeinsamkeit Kontrollen | |
und Überwachung leiden könnten. Kohlekritische Kreise sprechen ohnehin seit | |
Jahren von NRWE – ist eh alles eins. | |
## Neues Geld und grünes Image | |
Längst haben sich auch lokale Kooperationen aus Vermarktern und kommunalen | |
Anrainern gegründet, die Claims abstecken und milliardenschwere | |
Bundesmittel einzutreiben versuchen: hier die [4][Indeland GmbH] | |
(ich.see.zukunft), dort die [5][Neuland Hambach GmbH]. Vornehmlich geht es | |
um Grundstücksvermarktung und gewerbliche Nutzung, auch mal um | |
Forschungsprojekte (etwa für Bioanbau), um neue Solar- oder Windparks, die | |
dann praktischerweise RWE selbst betreibt. Das bringt neues Geld und grünes | |
Image. | |
Zudem sollen neue Wander- und Radwege entstehen rund um den zukünftigen | |
Lago Hambi inklusive der riesigen bewaldeten Abraumhalde Sophienhöhe. | |
Dieser „interkommunale Hambach Loop“ mit zusätzlicher Seilbahn und einem | |
Festivalgelände ist ein weitgehend touristisches Projekt, beworben wird die | |
Gegend kühn als „Gesamtmodellregion für die Verkehrswende“. | |
## RWE verspricht Arbeitsplätze | |
RWE ist die Flächendealerin, an ihrer Angelschnur die Landräte und | |
Bürgermeister. Ihr Versprechen: Arbeitsplätze. Bei der Kohleverstromung | |
zählt das Argument seit Jahrzehnten auch, nur umgekehrt: Kohle abbauen, | |
aber keine Jobs. Den Tagebaukumpels, Baggerfahrern und Sicherheitsbrigaden | |
droht Arbeitslosigkeit? Viele sind Ü 50, eine Frühverrentung bietet sich an | |
und Umschulung für die Jüngeren. Da legen die Steuerzahler immer gern | |
drauf. | |
Ganz andere Ideen der Neunutzung kommen aus der BürgerInnenschaft. | |
Wiederaufforstung brachliegender Flächen zum Beispiel: „Wir brauchen | |
unbedingt eine Biotopevernetzung“, sagt Antje Grothus, seit zwei | |
Jahrzehnten bei der Initiative [6][Buirer für Buir] direkt am Hambi aktiv | |
und jetzt grüne Landtagskandidatin. „Flächen erhalten ist der Schlüssel zum | |
Klimaschutz. Statt eines Flickenteppichs an wirtschaftlichen Nutzungen mit | |
Gewerbegebieten. Statt neuem Asphalt und den üblichen Siedlungen von | |
Einfamilienhäusern.“ Grothus findet es auffällig, „wie viele Kooperationen | |
und Verträge noch schnell vor der Wahl getroffen wurden“. Und dass bei den | |
Public-private-Partnerships aus landeseigenen Entwicklungsgesellschaften | |
und RWE-Ablegern in ganz NRW immer die gleichen geschäfteführenden | |
Protagonisten die Fäden in der Hand haben. | |
## Radweg auf der Autobahn 4 | |
Charmant wirkt die Idee eines Radweges auf der alten Trasse der Autobahn 4, | |
die heute ungenutzt den verschonten Rest des Hambacher Waldes | |
durchschneidet. Von Düren käme man hier lauschig schön Richtung Köln. Die | |
Kosten wären überschaubar, Skizzen der Buirer für Buir samt breiter | |
Nutzbeete als Radwegbegleitgemüse machen Lust darauf. Mobilitätsknoten mit | |
E-Bussen könnten hinzukommen. | |
Am Ortsrand Morschenich westlich [7][des Hambacher Waldes] entsteht gerade | |
ein Projekt, bei dem gleichzeitig Lebensmittel und Energie erzeugt werden | |
können: Riesige Erdbeerfelder, überdacht mit Sonnenkollektoren, unter | |
Leitung des Forschungszentrums Jülich. Mit solch regionalen wie autarken | |
Projekten ohne Investoren, die aber stückweise zu Ernährungssouveränität | |
führen könnten, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubauer neulich vor | |
Ort, könnten Bürger und Bürgerinnen an der Energiewende partizipieren. „Die | |
Region muss sich neu erfinden. Seit Jahrzehnten waren die Menschen hier | |
Spielball der großen Politik. Jetzt können sie selbst Akteure werden.“ | |
## Klage auf Rücksiedlung | |
Akteure vor Ort wollen auch Menschen werden, die einst aus Morschenich | |
weggesiedelt wurden. Familie Gerdens etwa will in ihr altes Haus zurück, | |
das nun ja nicht abgerissen werden muss. Die Geschäftsgrundlage Kohle sei | |
ja entfallen, sagen sie. RWE weigert sich. Der CDU-Bürgermeister | |
sekundiert: „Wird es nicht geben.“ Sie wären womöglich einem Gewerbepark … | |
Weg. Derzeit läuft eine Klage auf Rücksiedlung. | |
Die künftigen Seeschöpfer von RWE sind auch Seevernichter. Der Lucherberger | |
See zwischen dem Kraftwerk Weisweiler und dem Tagebau Inden wird seit | |
Anfang des Jahres trockengelegt. Der Stausee der Rur, 64 Hektar groß, wurde | |
als Kühl- und Brauchwasserreservoir des Kraftwerks gebraucht. Weisweiler, | |
die größte Dreckschleuder der Region, macht jetzt blockweise dicht. Dem See | |
kann also der Stöpsel gezogen werden, darunter ist noch oberflächennahe | |
Kohle. NaturschützerInnen sind entsetzt: Vernichtet wird ein üppiges | |
Feuchtbiotop, Refugium für seltene Tiere und Pflanzen, das sich in 70 | |
Jahren entwickelt hat. | |
## Lukrative Kiesförderung | |
Der verbliebene Rest des Hambacher Waldes wird zwar nicht gerodet, aber er | |
vertrocknet zurzeit schon, weil er direkt an der feinstaubigen Grubenkante | |
liegt. Direkt daneben, rund um das Dorf Manheim, wo noch neun Häuser | |
bewohnt sind, gräbt RWE derweil weiter. Der Hambi, so etwas von ihm bleibt, | |
wird also als Halbinsel nachgenutzt werden. Das Bochheimer Wäldchen nebenan | |
ist im November über Nacht weggefräst worden, ein alter, knorriger | |
Eibenwald. Ein Baustein weniger für Biotopvernetzung. RWE-Tochterfirmen | |
fördern hier lukrativen Kies und behaupten, das übrige Erdreich sei nötig | |
zur Abflachung der Grube. | |
Indes reichen RWE und Konsorten Industriegebiete, Kiesabbau und Kunstseen | |
nicht. Die CDU-Landräte rund um die Tagebaue Inden (Wolfgang Spelthahn, | |
Kreis Düren) und Hambach (Frank Rock, Rhein-Sieg-Kreis) preschten im April | |
mit einem kuriosen Extra vor: Zwischen den künftigen Seen soll ein sechs | |
Kilometer langer Kanal gebaut werden. Warum? Unklar. Weil es tüchtige | |
deutsche Ingenieure machen können vielleicht. Wegen der Höhendifferenz | |
müssen allerdings Schiffshebewerke für die Boote unserer Ururenkel her, | |
Hubbrücken sowieso. Und die Rur muss per Wasserkreuz überquert werden. | |
Eine Machbarkeitsstudie soll die Kosten beziffern. Es geht um Milliarden. | |
Ökofolgen, Klima, Wasserhaushalte? Egal: „Eine historische Chance“, sagt | |
Landrat Spelthahn, „um die größte künstliche Landschaftsumstellung Europas | |
zu gestalten.“ Wie das Ganze heißen könnte? Wir hätten da eine Idee: Canale | |
Grande Spelthahne. | |
13 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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