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# taz.de -- Regierungsbildung in Nordirland: Scheitern am Nordirlandprotokoll
> Die DUP verweigert die Regierungsbildung, solange das Brexit-bedingte
> Nordirland-Protokoll besteht. EU und Großbritannien üben sich in
> Drohungen.
Bild: Parlamentsgebäude in Belfast
Dublin taz | Nordirland hat vorige Woche [1][gewählt], die Stimmen sind
gezählt, die Sitze sind verteilt. Dennoch wird es erst mal keine
Regierungsbildung geben, wenn das neue Regionalparlament am Freitag
erstmals zusammentritt. Die vage Hoffnung, dass die Democratic Unionist
Party (DUP) einen Stellvertreter für die Erste Ministerin – Michelle
O’Neill von Sinn Féin – nominiert, erfüllt sich nicht.
DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte, solange das Nordirlandprotokoll bestehe,
das Bestandteil des Brexit-Vertrags ist, werde seine Partei der Regierung
fernbleiben. Er werde sein Mandat für das Regionalparlament aufgeben und
stattdessen seinen Unterhaussitz behalten, sagte er am Mittwoch. Ein
Doppelmandat ist nicht zulässig.
Ohne die DUP wird es keine nordirische Regierung geben. Im [2][Belfaster
Abkommen] vom Karfreitag 1998, das der britischen Provinz relativen Frieden
beschert hat, ist festgelegt, dass die beiden stärksten Parteien auf
protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite die
Erste Ministerin und ihren gleichberechtigten Stellvertreter ernennen
müssen.
Zum ersten Mal in der Geschichte Nordirlands stellen die Unionisten nicht
mehr die stärkste Partei. Sie sind von Sinn Féin, dem früheren politischen
Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA),
überholt worden. Eigentlich hat Sinn Féin die Wahl aber nicht gewonnen,
sondern die Unionisten sie verloren.
## Das Nordirland-Protokoll regelt Zollgrenzen und verärgert die DUP
Sinn Féin kam im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren auf dieselbe Zahl an
Mandaten. Weil aber die DUP vor der Wahl angekündigt hatte, die
Regierungsbildung wegen des Nordirlandprotokolls zu torpedieren, sind viele
Wähler zu anderen Parteien, nicht zuletzt zur neutralen Alliance Party,
abgewandert.
Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts
bleibt. Dadurch wird zwar eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik
Irland vermieden, aber stattdessen gibt es nun eine Zollgrenze zwischen
Nordirland und Großbritannien, damit britische Waren nicht unkontrolliert
nach Nordirland und von dort in die EU gelangen können.
Das ist für die Unionisten, die für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten
Königreich eintreten, unannehmbar, weil Nordirland dadurch anders als die
anderen Regionen des Vereinigten Königreichs behandelt wird. Das verstoße
gegen die Unionsgesetze von 1800, sagen sie.
Es bleiben nun sechs Monate Zeit für Verhandlungen. Führen sie zu keinem
Ergebnis, übernimmt die britische Regierung die Herrschaft über die
Provinz. Der Vizepräsident der EU-Kommission, [3][Maroš Šefčovič], sagte am
Dienstag, eine Neuverhandlung des Protokolls komme nicht in Frage. Eine
einseitige Aufkündigung durch London würde „unsere Bemühungen um eine
mögliche Lösung schwieriger“ machen. In den kommenden Tagen wird sich
Šefčovič mit der britischen Außenministerin Liz Truss treffen.
## EU hat Änderungen des Protokolls angeboten
Am Dienstagabend hat sich nun der US-Kongress in die Debatte eingemischt.
Er warnte die britische Regierung, dass die einseitige Aufkündigung des
Nordirlandprotokolls „eine direkte Verletzung internationalen Rechts“ wäre
und „das Belfaster Abkommen gefährden“ würde. US-Außenminister Antony
Blinken kündigte an, man werde „in Kürze einen Sonderbeauftragten für
Nordirland nominieren“.
Es gibt jedoch Anlass für vorsichtigen Optimismus. So verlangte Donaldson
am Mittwoch nicht mehr die Abschaffung des Protokolls, sondern lediglich
„entscheidende Maßnahmen“. Die EU hat außerdem Änderungen des Protokolls
angeboten, die die meisten nordirischen Kontrollen von Waren aus
Großbritannien überflüssig machen würden.
Aber selbst dann ist keineswegs sicher, ob die DUP die Demütigung hinnehmen
und in eine Regierung eintreten würde, in der Sinn Féin die Erste
Ministerin stellt.
11 May 2022
## LINKS
[1] /Sinn-Fein-siegt-in-Nordirland/!5850888
[2] https://education.niassembly.gov.uk/post_16/snapshots_of_devolution/gfa
[3] https://twitter.com/MarosSefcovic
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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