# taz.de -- Nordirlandprotokoll im Brexitvertrag: Einigung in greifbarer Nähe | |
> London und Brüssel stehen offenbar kurz vor einem Kompromiss. Dabei geht | |
> es um über die Anwendung des strittigen Nordirlandprotokolls. | |
Bild: Kommt die Lösung? Als Grenzposten verkleideter Demonstrant bei Protesten… | |
Dublin taz | Es tut sich was im Streit zwischen London und Brüssel über | |
[1][das Nordirlandprotokoll des Brexits]. Irlands Premierminister Leo | |
Varadkar ist optimistisch, dass Bewegung in die Sache kommt. Er, als | |
Vertreter eines EU-Staates, sei bereit, „flexibel und vernünftig“ zu | |
handeln, um das Nordirlandprotokoll zu modifizieren, damit es breitere | |
Zustimmung in Nordirland finde, [2][sagte er der Irish Times]. Dann bestehe | |
die „sehr reale Aussicht“, dass ein Deal zwischen der EU und dem | |
Vereinigten Königreich zustande komme. Mehrere britische Zeitungen | |
berichteten am Dienstag, eine Einigung sei innerhalb der nächsten zwei | |
Wochen zu erwarten. | |
Dabei spielt, wie so oft in Nordirland, die Semantik eine entscheidende | |
Rolle. Die Unterhändler müssen Jeffrey Donaldson, dem Chef der größten | |
porotestantisch-unionistischen Partei DUP (Democratic Unionist Party), so | |
weit entgegenkommen, dass er das Ergebnis als Sieg verkaufen kann. Er hat | |
sich unter dem Druck der Hardliner im unionistischen Lager durch seine | |
s[3][trikte Ablehnung des Nordirlandprotokolls] in eine Ecke manövriert, | |
aus der er ohne Hilfe der EU nicht herauskommt. | |
Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts | |
bleibt und sich den EU-Zollregeln unterwerfen muss. Das vermeidet eine | |
harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, doch stattdessen | |
entsteht eine EU-Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien – also | |
innerhalb des Vereinigten Königreiches. | |
Donaldson moniert, dass das gegen das Karfreitagsabkommen und die | |
Unionsakte aus dem Jahr 1800 verstoße. Der juristische Weg ist jedoch | |
ausgeschöpft, vorigen Mittwoch bestätigte der oberste Gerichtshof in | |
London, dass das Protokoll rechtmäßig sei. Solange das Protokoll gilt, | |
boykottiert aber die DUP Nordirlands Regionalparlament und die | |
Regionalregierung. Diese muss aufgrund des Karfreitagsabkommens von 1998 | |
von den zwei stärksten Parteien auf katholisch-nationalistischer und | |
protestantisch-unionistischer Seite gemeinsam gebildet werden, auf | |
gleichberechtigter Basis. Eigentlich hätte es längst Neuwahlen geben | |
müssen, aber der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris hat die | |
Frist immer wieder verlängert, vor zwei Wochen sogar bis zum 18. Januar | |
2024, um den Parteien „Zeit und Raum für Verhandlungen“ zu geben. | |
## Neue Rolle des Europäischen Gerichtshofs | |
Donaldson hat sieben Bedingungen gestellt, um in die Regierung | |
zurückzukehren. Drei davon sind relativ leicht zu erfüllen. So hat London | |
eine rote und eine grüne Spur für Waren aus Großbritannien nach Nordirland | |
vorgeschlagen: grün für Waren, die ausschließlich für Nordirland bestimmt | |
sind, etwa für dortige Filialen britischer Supermarktketten, und daher | |
nicht durch den Zoll müssen; rot für Waren, die in die Republik Irland, | |
also in die EU, exportiert werden sollen und deshalb den Zollbestimmungen | |
unterliegen. Zwar bliebe die Zollgrenze dann, aber man könnte | |
argumentieren, dass sie faktisch nur Waren für die EU betreffe. | |
Schwieriger ist Donaldsons Forderung nach mehr Mitspracherecht für die | |
Menschen in Nordirland bei Gesetzen, die sie betreffen – also ständig | |
aktualisierte EU-Binnenmarktrichtlinien, die wegen des Nordirlandprotokolls | |
automatisch für Nordirland gelten, nicht aber für Großbritannien. | |
Die Hoffnung auf eine Einigung ruht nun auf der Modifizierung der Rolle des | |
Europäischen Gerichtshofs. Zwar ist der für EU-Gesetze zuständig, aber die | |
irische Regierung hat einen Vermittlungsausschuss vorgeschlagen, wie er | |
bereits beim Brexit-Handelsabkommen existiert. Im Gespräch ist auch, dass | |
der EU-Gerichtshof nur auf Initiative der nordirischen Gerichte tätig | |
werden kann. Sollte die EU dem zustimmen, könnte Donaldson seine Leute | |
davon überzeugen, dass Nordirland EU-Gesetzen nicht mehr wehrlos | |
ausgeliefert ist. | |
Der britische Premierminister Rishi Sunak will die Sache vom Tisch haben. | |
Sollte die EU jedoch querschießen, wäre Donaldsons Spielraum erschöpft. | |
Dann bestünde auf absehbare Zeit keine Aussicht auf die Wiedereinsetzung | |
der Institutionen in Belfast. In diesem Fall müsste London wieder die | |
Direktherrschaft übernehmen. [4][Aber das will die DUP auch nicht]. | |
14 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /London-zum-Nordirland-Protokoll/!5858101 | |
[2] https://www.irishtimes.com/opinion/2023/02/13/una-mullally-leo-varadkar-rev… | |
[3] /Neuwahlen-in-Nordirland/!5887359 | |
[4] /Regierungsbildung-in-Nordirland/!5850292 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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