# taz.de -- Szenarien für Twitters Zukunft: Luxusyacht wäre einfacher gewesen | |
> Elon Musk kauft Twitter, hypt das Recht auf freie Rede, und die neuen | |
> EU-Plattformregeln stehen vor ihrer ersten Bewährungsprobe. | |
Bild: Bei Twitter gilt das Recht des Lauteren | |
Wann genau war eigentlich der Zeitpunkt, an dem Superreiche sich nicht mehr | |
darauf beschränken wollten, ihr Geld in Dinge zu stecken, die gut mit dem | |
Präfix Luxus funktionieren (Villen, Uhren, Autos, Yachten)? Wer etwas auf | |
sich hält, braucht mittlerweile mindestens einen Fußballklub, eine Insel, | |
einen Flug ins Weltall oder auch mal ein Medienunternehmen. | |
[1][Jeff Bezos hat das mit der Washington Post] vor fast zehn Jahren | |
gemacht, in Frankreich spielen Milliardär:innen mitunter so etwas wie | |
„Monopoly“ um namhafte Medien. Und [2][Elon Musk könnte nun mit dem Kauf | |
der Social-Media-Plattform Twitter] noch einmal eins draufsetzen, nachdem | |
das Unternehmen eine Wende bezüglich seiner Übernahmebereitschaft hinlegte. | |
Kurz zuvor hatte Musk sein Angebot noch einmal erhöht. Der Subtext: Wenn | |
ich etwas haben will und es nicht bekomme, dann liegt das wahrscheinlich | |
daran, dass ich noch nicht genügend Geld geboten habe. Da schlägt das | |
Kapitalismusgespenst gleich ein paar Saltos vor Freude. | |
Nun ist beispielsweise das Luxusuhrensegment erfreulich entkoppelt vom | |
Leben der meisten Menschen. Für Medienunternehmen und für Twitter als | |
Kommunikationsplattform gilt das nicht. Sie ist ein wesentlicher | |
Bestandteil der Diskurs- und Meinungsbildung, also auch der Demokratie. | |
Nicht nur die Twitter-Welt fragt sich daher zu Recht: Was wird nun aus dem | |
Dienst? | |
## Wo ist die Grenze? | |
Musk ist auf Twitter schon jetzt eine der Personen mit immenser Reichweite. | |
Wobei man nicht den Fehler machen darf, allein auf die Zahl der | |
Follower:innen zu schielen. Mindestens ebenso wichtig ist, wer sich | |
darunter befindet. Je mehr Multiplikator:innen die Inhalte über | |
eigene Kanäle weitertragen oder Entscheider:innen die Standpunkte | |
aufnehmen, desto größer der Welleneffekt, der von einem Tweet ausgehen | |
kann. | |
Als Eigentümer der Plattform wird Musk zugleich maßgeblich bestimmen, | |
welche Regeln auf ihr gelten. Darf Trump wieder rein? Und ein Schwung | |
ähnlich agierender und aktuell gesperrter Personen gleich mit? Was ist | |
überhaupt mit Beschimpfungen, Hass und Rassismus, was wird toleriert, wo | |
ist die Grenze? Wie umgehen mit Trollen, Spam, Bots? Wie mit Personen, die | |
absichtlich falsche Informationen verbreiten? | |
Musk stellt seinen Kauf unter das Paradigma der freien Rede, er selbst | |
bezeichnet sich da als „Absolutist“. In diesem Verständnis können auch | |
Hassrede oder Mordaufrufe legal sein. Bei vielen Beobachter:innen löst | |
das die Befürchtung aus, der Milliardär wolle die Plattform zurück in das | |
vormoderierte Zeitalter führen. Freie Rede als Recht der Lautesten und | |
Rücksichtslosesten – das erste mögliche Szenario für Twitters Zukunft. | |
## Was bringt Transparenz? | |
Interessant ist in diesem Kontext eine Nachricht vom vergangenen | |
Wochenende: Wenige Tage vor dem Musk-Twitter-Deal hat sich die EU auf ihr | |
zweites [3][großes Gesetz zur Plattformregulierung geeinigt, den Digital | |
Services Act (DSA)]. Er stellt unter anderem Regeln für die Moderation auf, | |
für das Melden von mutmaßlich illegalen Inhalten und für | |
Beschwerdeverfahren. „Ob Autos oder digitale Plattformen – jedes | |
Unternehmen, das in Europa tätig ist, muss sich an unsere Regeln halten“, | |
schrieb EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton als Reaktion auf die | |
Übernahmeankündigung auf – natürlich – Twitter. Elon Musk wisse das sehr | |
gut. „Er kennt die Regeln für Autos und wird sich schnell an den #DSA | |
anpassen.“ | |
Musks Pläne für Twitter werden damit eine interessante Bewährungsprobe für | |
die neue Regulierung. Greift sie und ist sie zielführend? Bleibt ihr Effekt | |
auf die EU beschränkt oder entfaltet sie international Wirkung? Könnte der | |
DSA sogar Musks Idee, die Twitter-Algorithmen offen zu legen, den Anstoß | |
zur Umsetzung geben? Und falls diese tatsächlich komplett veröffentlicht | |
würden – welche Rückkopplungseffekte gäbe es, wenn sich öffentliche Kritik | |
an dem ein oder anderen Algorithmus mehrt? | |
Nachdem die Nachricht von Musks Twitter-Deal die Runde machte, trendete auf | |
der Plattform ein Thema: Mastodon. Die freie, quelloffene Alternative zu | |
Twitter ist bislang ein recht überschaubares Netzwerk. Doch tatsächlich | |
waren hier in den vergangenen Tagen diverse Posts von neuen Nutzer:innen | |
zu lesen, die Twitter den Rücken kehren wollen. MySpace, StudiVZ, Google | |
Plus zeigen: Geld oder Größe schützen nicht davor, dass Menschen sich nach | |
anderen Plattformen umsehen, wenn die etwas Besseres bieten. Sollten | |
allerdings über Nacht scharenweise Nutzer:innen und Troll-Gruppen von | |
Twitter zu Mastodon umziehen, würden die Freiwilligen, die sich maßgeblich | |
um den Betrieb kümmern, wohl ziemlich schnell an ihre Grenzen kommen. Setzt | |
aber ein langsamer Sogeffekt ein, könnte das einen Shift bedeuten, der die | |
nichtkommerzielle Plattform stärkt. Szenario 2 daher: Abwanderung. | |
## Kommt die Kommerzialisierung? | |
Kurzer Realitätscheck: Wie sah das jüngst aus, wenn es größere Umbrüche bei | |
Plattform-Unternehmen gab? Etwa, als Facebook Whatsapp aufkaufte oder als | |
[4][Whatsapp eine sehr umstrittene und breit diskutierte Änderung] seiner | |
Allgemeinen Geschäftsbedingungen vornahm? Liefen da die Nutzer:innen | |
massenhaft davon? Nun, eher nicht. Auch wenn der Wechselwille steigt, die | |
Masse scheint träge zu sein und sich lieber zu arrangieren, als einen | |
echten Neuanfang zu wagen. Szenario 3: Weiter so. Eine Dämpfung des | |
Musk’schen Freie-Rede-Paradigmas durch den DSA könnte dazu beitragen. | |
Bleibt Szenario 4: die Kommerzialisierung. Musk macht dabei das, was er | |
kann: aus einem okayen bis mittelmäßigen Produkt einen kommerziellen | |
Erfolg. Bei Tesla hat er das geschafft, aber auch bei etwas eher Abseitigem | |
wie einem Flammenwerfer. Zwar erklärte Musk in einem TED-Talk, dass ihn ein | |
kommerzieller Erfolg von Twitter nicht interessiere. Das mag stimmen. Wen | |
es aber schon interessiert: die Banken. Und weil selbst der reichste Mensch | |
der Welt nicht mal eben 44 Milliarden US-Dollar liquide bekommt, ist Musk | |
aktuell auf die Banken angewiesen. Ansätze zum Geldverdienen gibt es: | |
Werbung und Zusatzfunktionen, die etwas kosten. In diesem Kontext könnte | |
übrigens auch Musks Plan zur Offenlegung der Twitter-Algorithmen schnell | |
wieder in der Schublade verschwinden. | |
Eines ist nicht auszuschließen: Dass Musks Pläne für Twitter auf ganzer | |
Linie scheitern und er primär viel Geld verbrennt. Er wird das | |
einkalkuliert haben. Sonst hätte er ja die Luxusyacht genommen. | |
29 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Verkauf-der-Washington-Post/!5060879 | |
[2] /Twitter-Verkauf-an-Elon-Musk/!5847177 | |
[3] /Digital-Services-Act/!5846955 | |
[4] /Facebook-und-Whatsapp/!5814091 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Twitter / X | |
Elon Musk | |
NetzDG | |
Datenschutz | |
Meinungsfreiheit | |
GNS | |
IG | |
Twitter / X | |
Elon Musk | |
Netzkultur | |
Elon Musk | |
Twitter / X | |
Elon Musk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Insider über Twitter-Pläne von Musk: Häkchen gegen Geld | |
Elon Musk verstärkt die Bemühungen, mit der Plattform Geld zu verdienen. Im | |
ersten Schritt könnte es einen Teil der Nutzer:innen treffen. | |
Redefreiheit bei Twitter: Musk will Trump twittern lassen | |
Twitter verbannte den US-Ex-Präsidenten Donald Trump. Unter dem möglichen | |
neuen Besitzer Elon Musk könnte er die Plattform wieder nutzen. | |
Kurznachrichtendienst Mastodon: Ist Mastodon das bessere Twitter? | |
Seit Musks Twitter-Kauf explodieren beim Konkurrenten Mastodon die | |
Nutzerzahlen. Der Dienst wirbt für ein besseres digitales Miteinander. | |
Twitter-Verkauf an Elon Musk: Hat es sich jetzt ausgezwitschert? | |
Es herrscht große Aufregung in der digitalen Gesellschaft und Wirtschaft, | |
denn es scheint sicher: Elon Musk kauft wohl Twitter. Aber warum | |
eigentlich? | |
Elon Musk kauft Twitter: Ein Twitter-Kommentar | |
Der Kurznachrichtendienst wird vom US-Milliardär geschluckt. Ist das nicht | |
schrecklich? Eine medienadäquat umfassende Einordnung von @uwiworks. | |
Verkauf von Twitter: Musk gewinnt | |
Elon Musk will Twitter kaufen. Der Verwaltungsrat der Plattform ist nun | |
nach wenigen Tagen eingeknickt. Abgeschlossen ist der Kauf aber noch nicht. |