# taz.de -- Bayerische Energiewende: Söders radioaktiver Cocktail | |
> Atomkraft, Fracking und möglichst wenig Wind: Bayerns Ministerpräsident | |
> verfolgt seine ganz eigene Energiewende. Erfolg hat er damit bislang | |
> nicht. | |
Bild: Auf den ersten Blick idyllisch – im Hintergrund das Atomkraftwerk Isar … | |
MÜNCHEN taz | Markus Söder hat diese Woche unerwartet viel Zeit. | |
Eigentlich, so war es geplant, hätte sich der bayerische Ministerpräsident | |
am Sonntag auf eine seiner wenigen Auslandsreisen begeben sollen: Als | |
„Wasserstoff-Reise“ ließ er den Trip titulieren, die Vereinigten Arabischen | |
Emirate und Saudi-Arabien wären das Ziel gewesen. Thema: die „langfristige | |
Sicherstellung der Energieversorgung in Bayern sowie die perspektivische | |
Erschließung weiterer erneuerbarer Energien etwa über | |
Wasserstoff-Technologie“. Doch aus dem Besuch bei den Scheichs wurde | |
erstmal nichts. Söder wurde kurz vor der Abreise positiv auf Corona | |
getestet und musste sich in Isolation begeben. | |
Bis auf einen Schnupfen gehe es ihm gut, lässt der CSU-Chef wissen, er | |
schaue viel Fußball und werde sich nun daheim mit dem Thema Energiepolitik | |
beschäftigen. „Wenn ich die bayerische Energieversorgung nicht von | |
Saudi-Arabien aus voranbringen kann, dann wenigstens von Nürnberg aus“, | |
beruhigte er in einem Telefonat mit der Süddeutschen Zeitung. | |
Unbestritten ist: Bayern ist in besonderem Maße abhängig von [1][russischen | |
Energielieferungen]. Mit 5,6 Milliarden Euro zahlte der Freistaat im | |
vergangenen Jahr so viel für Öl und Gas aus Russland wie kein anderes | |
Bundesland. | |
Doch bei den Überlegungen, wie man sich möglichst schnell aus dieser | |
Abhängigkeit lösen könne, hat Söder recht spezielle Vorstellungen. Die | |
beiden Schlüsselbegriffe Atomkraft und [2][Fracking] sind es dabei vor | |
allem, die zuletzt so manche Kritiker aufschrecken ließen. | |
## Söder will alte Meiler wieder hochfahren | |
Während Wasserstoff allenfalls mittelfristig einen Ausweg aus der | |
Energiekrise darstellen könnte – Söder träumt etwa von einer | |
Wasserstoffpipeline von Triest nach Bayern –, sieht der Ministerpräsident | |
in Atomkraft und Kohle eine Lösung für die akuten Probleme. Immer wieder | |
forderte er in den vergangenen Wochen [3][eine Laufzeitverlängerung für die | |
aktiven Kohle- und Atomkraftwerke] in Deutschland, plädierte sogar dafür, | |
bereits abgeschaltete Meiler wie den im schwäbischen Gundremmingen wieder | |
hochzufahren. | |
Aktuell ist in Bayern nur noch das Atomkraftwerk Isar 2 am Netz, es soll | |
Ende des Jahres abgeschaltet werden. Und selbst die Betreiberin, die | |
hundertprozentige Eon-Tochter Preussenelektra, möchte daran nicht rütteln. | |
Rein technisch sei ein Weiterbetrieb zwar möglich, erklärt Eon-Chef | |
Leonhard Birnbaum in der „Financial Times“. Aber: „Atomkraft hat in | |
Deutschland keine Zukunft. Punkt.“ | |
Wie viele Gegner der Söderschen Kernkraftträume weist der Manager aber auch | |
auf den geringen Effekt hin, den eine Laufzeitverlängerung in der aktuellen | |
Lage brächte: Die kleine Erleichterung auf dem Strommarkt würde an der | |
Abhängigkeit von russischem Gas und Öl nicht wirklich etwas ändern. Für Eon | |
jedenfalls sei das Thema Atomkraft erledigt. | |
Fracking lautet das andere Reizwort, um das Söder zur allgemeinen | |
Überraschung jüngst die Diskussion bereichert hat. Gasförderung mittels des | |
umstrittenen Verfahrens müsste nun auch in Deutschland geprüft werden, | |
hatte Söder gefordert. Alle Optionen müssten gezogen, alle Karten auf den | |
Tisch gelegt werden. „Was haben wir, was können wir nutzen?“ Das müsse nun | |
analysiert werden, auch wenn am Ende das Ergebnis vielleicht sein könnte, | |
dass Fracking hierzulande keinen Sinn ergebe. Ohnehin ließ Söder | |
durchblicken, dass er das Potenzial für Fracking eher in anderen Gefilden | |
Deutschlands sehe, weniger in Bayern. | |
## Koalitionspartner: „Fracking ist der falsche Weg“ | |
Fracking ist sehr umstritten, weil bei dieser Methode unter hohem Druck | |
eine Flüssigkeit in den Boden gepresst wird, um das Gestein porös zu machen | |
und dadurch Gas oder Öl fördern zu können. Es gilt als äußerst riskant | |
[4][wegen möglicher Umweltschäden] und einer Verseuchung des Grundwassers. | |
So stieß der CSU-Chef auch mit dieser Forderung auf sofortigen Widerstand, | |
nicht nur den erwartbaren der bayerischen Oppositionsparteien Grüne und | |
SPD, sondern auch den des eigenen Koalitionspartners. „Bayern hat Fracking | |
aus gutem Grund untersagt“, sagte Umweltminister Torsten Glauber von den | |
Freien Wählern. „Daran halte ich fest. Fracking ist der falsche Weg.“ | |
Derselben Meinung ist auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der | |
überdies darauf hinweist, dass es ja lange dauern würde, die entsprechenden | |
Kapazitäten aufzubauen. Der Umstieg auf eine von Russland unabhängige | |
Energieversorgung solle aber ja schnell gehen. | |
Einen wichtigen, wenn auch ebenfalls nur mittelfristigen Baustein der | |
Energiewende sieht Habeck bekanntlich in einem massiven Ausbau der | |
Windkraft. Zwei Prozent der Landesfläche will er hierfür genutzt sehen. | |
Hier bremst Söder jedoch noch immer beharrlich und will an der bayerischen | |
10H-Regel festhalten. Die Vorgabe, die es nur hierzulande gibt, sieht vor, | |
dass beim Bau einer Windanlage von der nächsten Wohnbebauung ein Abstand | |
vom Zehnfachen der Windradhöhe gehalten werden soll. | |
## Staat spart selbst an Solarzellen | |
Immerhin spricht Söder mittlerweile davon, mehr Ausnahmen zu ermöglichen – | |
vor allem in Waldgebieten. Auf diese Weise sollten in den nächsten Jahren | |
500 weitere Windräder in Bayern ermöglicht werden. Viel zu wenig, findet | |
der bayerische Landesverband des Bundesverbandes Windenergie, das Potenzial | |
in Bayern sei viel größer. Demnach könnten bis 2030 mindestens 1.200 | |
weitere Anlagen gebaut werden, bis 2040 sogar 3.000, womit ein Anteil von | |
30 Prozent am bayerischen Energiemix erreicht werden könnte. | |
Nach Ostern will Söder Habeck ein ursprünglich für Ende März versprochenes | |
Energiekonzept vorlegen. Sollte dies nicht schlüssig darlegen, wie Bayern | |
seine Windkapazitäten trotz 10 H hochfahren kann, könnte Habeck die Regel | |
seinerseits einfach kippen. | |
Bayern sei nun eben kein Wind-, sondern ein Sonnenland, begründet Söder | |
regelmäßig seine Ablehnung einer intensiven Windnutzung. Doch auch was das | |
Thema Photovoltaik anbelangt, sieht sich der vermeintliche Sonnenkönig | |
inzwischen in der Defensive. Denn wie die Staatsregierung im März auf eine | |
Anfrage des Grünen-Abgeordneten Martin Stümpfig hin zugeben musste, haben | |
96,3 Prozent der fast 10.866 staatlichen Gebäude keine Photovoltaikanlagen | |
auf dem Dach. Anlagen über Parkplätzen gebe es überhaupt nicht, und auch | |
bei Neubauten bleiben die Dächer in 85 Prozent ohne Solaranlage. | |
Nicht nur Wirtschaftsminister Habeck dürfte also gespannt sein, welche | |
Ideen ihm Söder demnächst unterbreiten wird. Mit Vorschlägen zum | |
Energiesparen jedenfalls hielt sich der Ministerpräsident bislang zurück. | |
Ein Tempolimit, das machte er auf alle Fälle schon mal klar, lehne er ab. | |
13 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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