# taz.de -- Verhandeln statt Waffen liefern: Mit Putin reden | |
> Waffenlieferungen werden den Krieg in der Ukraine nur verlängern. Um ihn | |
> zu beenden, sind Verhandlungen nötig – und ein Deal mit Russland. | |
Bild: Protestaktion gegen die Invasion in die Ukraine vor dem russischen Konsul… | |
Die Entscheidung des Bundestags, schwere Waffen zu liefern, bedient | |
emotionale Reflexe, kaschiert aber das eigentliche Dilemma, dass die Nato | |
nicht intervenieren kann, obwohl sie das sollte. Eine militärische | |
Intervention kann unausweichlich sein. Die gegen Hitler war es. Ohne Wenn | |
und Aber. Daher sind radikalpazifistische Positionen wenig nachvollziehbar. | |
Ein Eingreifen der militärisch weit überlegenen Nato wäre heute sinnvoll, | |
um das Morden und die Zerstörung in der Ukraine zu stoppen. Warum geschieht | |
das nicht? | |
Weil sich alle Geheimdienste einig sind, dass Russland atomar antworten | |
würde. Putin würde zunächst taktische [1][Atomwaffen] in der Ukraine | |
einsetzen, um die Kapitulation zu erzwingen und um den Westen zu testen. | |
Sehr wahrscheinlich, dass sich dann der Krieg, auch atomar, ausweiten | |
würde. | |
Viele sagen, nein, das wird Putin nicht tun. Viele waren sich auch sicher, | |
er würde die Ukraine nicht angreifen, und haben sich getäuscht. Mit Blick | |
auf eine mögliche atomare Eskalation aber hätte ein Irrtum katastrophale | |
Folgen. Wir sind atomar erpressbar. Deshalb – und nur deshalb – greifen wir | |
nicht ein. Diesbezüglich müssen wir uns endlich ehrlich machen und das | |
Dilemma eingestehen. | |
Da wir nicht wirklich eingreifen können, sollten wir das Herumgeeiere mit | |
alten Waffen auch bleiben lassen. Putin wird wegen ein paar | |
[2][Leopard-Panzern] keinen Schreck bekommen, sich entschuldigen und wieder | |
abziehen. Diese Vorstellung ist absurd. Tatsächlich aber führen diese | |
Waffenlieferungen zu einer Verlängerung des Kriegs, zu noch mehr Leid und | |
Toten. Putins Kriegsführung folgt einem brutalen, aber bekannten Muster. | |
Dort wo „Widerstandsnester“ ausgemacht werden, zieht man die Infanterie | |
zurück, holt die Artillerie und macht Stadtteile oder ganze Dörfer dem | |
Erdboden gleich. So geschehen in Aleppo, Grosny und ganz Tschetschenien, | |
aber auch in Kambodscha, Vietnam und im Irak. | |
Putin wird diesen Krieg nicht verlieren. Er wird sich die Ostprovinzen | |
holen und die Landzunge zur Krim. Dieses Ziel wird er erreichen. Entweder | |
mit sehr viel Blutvergießen – oder etwas weniger. Unsere Sanktionen treffen | |
die russische Bevölkerung, aber nicht die russische Armee. Diese ist ein | |
Staat im Staat, mit eigener Energieversorgung und nahezu unendlichen | |
Ressourcen. | |
Daher wäre es richtig, mit ihm zu verhandeln und, ja – einen „dreckigen“ | |
Deal vorzuschlagen: Anerkennung der Krim und der Ostprovinzen auf der Basis | |
von [3][Minsk II]. „Neutraler Schutzstatus“ für die Ukraine, Finnland und | |
Schweden. Neutral im Sinne von: keine Stationierung von Nato-Truppen und | |
Angriffswaffen. Schutzstatus im Sinne von: Sollte er angreifen, tritt | |
sofort der Bündnisfall ein. Putin hätte dann keine Raketen „vor der Nase“, | |
die „neutralen Staaten“ hätten den Schutz der Nato. | |
Darf man mit einem Verbrecher verhandeln? Gegenfrage: Wie lauten die | |
Alternativen? Was macht man mit einem Geiselgangster, der in einer Bank | |
angefangen hat, Geiseln zu töten, und der damit droht, die ganze Stadt in | |
die Luft zu jagen? Man versucht zu verhandeln und zu deeskalieren. Wenn Joe | |
Biden von Völkermord redet und Senatoren dazu aufrufen, Putin zu töten, ist | |
das schlicht wenig hilfreich. Figuren wie der russische | |
Verteidigungsminister Sergei Schoigu sind noch grauenhafter und Putin wird | |
genauso wenig in Den Haag landen wie George W. Bush, der einen Krieg zu | |
verantworten hat, in dem Phosphor-, Uran- und Streubomben eingesetzt | |
wurden, mit knapp 1 Million toten Zivilisten. Joe Biden war ein strammer | |
Befürworter dieses Krieges. | |
Ein Verbrechen wird durch andere Verbrechen nicht harmlos. Aber die | |
Attitüde des Westens, „wir sind die Guten“, trägt leider mit dazu bei, da… | |
Putin in vielen Teilen der Welt, nicht nur in Russland, Zustimmung erfährt. | |
Wir müssen mit Putin verhandeln. Mit wem denn sonst? Wir müssen die | |
Föderation in die Knie zwingen, heißt es! Gut, aber was käme dann? Wer | |
würde auf Putin folgen? Mit Blick auf den Irak und Libyen hätte man besser | |
vorher die Frage gestellt, was folgt danach? Wer würde dann den Finger am | |
atomaren Abzug haben? | |
Nun ist von Zeitenwende die Rede und von neuer Wehrhaftigkeit. Doch seit | |
1945 gab es ständig Kriege – richtig ist nur, dass uns fast alle ziemlich | |
egal waren. Wer interessiert sich heute für die Totalzerstörung im Jemen | |
mit über 500.000 toten Zivilisten. Und neue Wehrhaftigkeit? Seit 2013 ist | |
der Wehretat der Bundeswehr um 35 Prozent gestiegen. Bereits 2020 gaben wir | |
für den Bund 6 Milliarden Euro mehr aus als die Franzosen für ihre Armee. | |
Seit 10 Jahren rüstet die Nato auf, auch atomar. Das größte Manöver fand im | |
letzten Jahr im Baltikum statt und war laut Nato ein großer Erfolg. Ebenso | |
das Manöver „Steadfast Noon“, in dem die Tornados atomar bestückt wurden. | |
Rüstungskontrollverträge gibt es nicht mehr, der Vertrag über | |
Mittelstreckenraketen wurde von Trump 2019 gekündigt. 1983 gab es deswegen | |
eine Menschenkette, vor drei Jahren wurde die Kündigung fast ignoriert. | |
Vertragskündigungen, Abbruch von Gesprächsformaten gepaart mit massiver | |
Aufrüstung und Abschreckungsmanövern: Das alles hat schlicht nicht | |
funktioniert, nicht abgeschreckt. | |
Warum? Putin sei einmarschiert, weil der Westen schwach sei, heißt es. Das | |
ist Unsinn. Er ist einmarschiert, weil er auf unsere Gleichgültigkeit | |
setzte. Sein Wüten in Aleppo war uns egal. Er hat die Stadt Grosny dem | |
Erdboden gleichgemacht und in Tschetschenien neun Jahre einen brutalen | |
Krieg geführt. Das hat uns hier nicht wirklich interessiert. Diese | |
Gleichgültigkeit musste er als Einladung verstehen, genauso weiterzumachen. | |
Viele machen sich heute lustig über eine Friedensbewegung, die mal eine | |
atomwaffenfreie Welt forderte. Heute erleben wir, was es bedeutet, atomar | |
erpressbar zu sein. Zu Verhandlungen gibt es keine Alternative. So | |
frustrierend und bitter dies auch sein mag. | |
5 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Bausch | |
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