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# taz.de -- Gleichberechtigung in der Karriere: Schafft den Girls’ Day ab!
> Beim Girls' Day lernen Schülerinnen einen „typisch männlichen“ Beruf
> kennen. Das soll Klischees überwinden, doch verfestigt sie nur.
Bild: Werden sie Erzieherinnen oder Informatikerinnen?
Du bist ein Mädchen. Zwischen 12 und 17 Jahre alt. Mitten im struggle
herauszufinden, wer du eigentlich bist und wohin du eigentlich willst im
Leben. Und nebenbei ständig am Pickelausdrücken. Quizfrage an dich aus dem
diesjährigen Girls’-Day-Quiz: „Eine Lehrerin kommt in den Klassenraum und
sagt, sie bräuchte ein paar starke Hände, die ihr etwas tragen helfen. Wie
verhältst du dich?
a) Das sollen andere machen, ich mache mir doch meine Fingernägel nicht
kaputt.
b) Ich bin dabei. Mal körperlich zu arbeiten, statt immer nur mit dem Kopf,
finde ich super.
c) Ich lasse den anderen den Vortritt. Falls sich niemand meldet, packe ich
mit an.“
Diese und ein paar weiter Fragen sollen dir helfen herauszufinden, ob ein
handwerklicher Beruf etwas für dich wäre. Unrealistisch. Nie wurde nach
„ein paar starken Händen“ gefragt. Immer nur nach „ein paar starken Jung…
Und da steckt man auch schon mitten im Problem.
## Seit 20 Jahren tut sich wenig
Es ist wieder Girls’ Day. Auch 2022 sind fast alle Erzieher:innen
Frauen, Dachdeckerinnen und Informatikerinnen gibt es hingegen kaum.
Deshalb läuft das Mädchen-Zukunfts-Projekt von 2001 weiter: Einmal im Jahr
versucht man, Mädchen ab der fünften Klasse dazu zu motivieren, technische
und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen. Dafür bekommen sie selbst
die Gelegenheit, die jeweiligen Arbeitsplätze kennenzulernen, indem sie den
Tag in einem Unternehmen oder einer Werkstatt verbringen.
Die Idee ist einfach: Es gibt da Berufe, in denen höchstens 40 Prozent
Frauen eine Ausbildung machen, studieren oder arbeiten. Aus irgendeinem
scheinbar unersichtlichen Grund entscheiden sich aber sehr wenige Mädchen
bei der Berufswahl dafür. Dann lass uns doch einfach einen Aktionstag im
Jahr starten, um das zu ändern! Wenn sie erst mal diese „typisch
männlichen“ Berufe von Nahem kennenlernen, sinkt vielleicht die
Hemmschwelle, auch diesen Weg selbst als Frau einzuschlagen.
Die Ergebnisse aber lassen zu wünschen übrig: Laut einer Studie von 2021
zum Girls’ Day stieg der Anteil an Mädchen unter den rund 100.000
teilnehmenden Schülerinnen, die den konkreten Wunsch äußerten, einen
IT-Beruf auszuüben, zwar von 8 auf 17 Prozent, bei technischen
Studiengängen von 5 auf 11 Prozent.
Doch der Prozentsatz an Frauen, die sich für ein Studium im Mint-Bereich
(also Mathematik, Informatik, Ingenieurswissenschaften etc.) entscheiden,
bleibt gering. 2001, dem Jahr, in dem das Projekt „Girls' Day“ startete,
studierten knapp 21 Prozent der Frauen eine Ingenieurswissenschaft. 2020
war etwa eine:r von vier Ingenieurstudierenden weiblich. Also kaum mehr.
## Die drei Ms
Du bist also ein Mädchen. Zwischen 12 und 17 Jahre alt, am strugglen und
deine Lehrerin sagt, sie bräuchte ein paar starke Jungs, die ihr etwas
tragen helfen. Du kannst dich gar nicht mehr entscheiden. Du kannst nur
entweder auffallen, dich behaupten, durchsetzen, obwohl du ein Mädchen
bist, oder du fügst dich dem, zu dem du längst schon gemacht wurdest: ein
Mädchen. Genauso ist es bei der Berufswahl.
Auch ich war ein Mädchen. Und viel besser im Tragen als die meisten
schlaksigen, stimmbrüchigen Jungs aus meiner Klasse. Am Girls’ Day habe ich
nie teilgenommen. Ich hätte dadurch das Gefühl bekommen zuzustimmen, dass
ein bestimmter Beruf ein „Männerberuf“ sei. Meine Berufswahl sollte weder
gegen noch für mein Geschlecht stehen.
Ich wollte sexistische Klischees überwinden, ohne den Fokus auf mein
Geschlecht zu legen. Der Plan ging nicht auf: Nach dem Tischetragen
studierte ich Mathematik. Eines der „drei M der Männlichkeit“, wie ein
Kommilitone mir einmal ganz unironisch mansplainte. Neben Motorrädern und
Masturbation. Einen Motorradführerschein hatte er nicht.
## Von Anfang an nach starken Händen fragen
In einem behielt er Recht: Mathematik schien mit fortschreitenden Semestern
immer männlicher zu werden. Die meisten Frauen, die mit mir angefangen
hatten, studierten „nur auf Lehramt“. Und die Anzahl an Professorinnen
konnte man an einer Hand abzählen. Das Phänomen, dass Frauen unter ihrer
möglichen Qualifikation zurückbleiben, tritt nicht nur in den Mint-Fächern
auf. An meiner Fakultät musste ich mich jedenfalls ständig behaupten.
Fehler wurden darauf zurückgeführt, dass ich ja eine Frau sei.
Man kann keiner Frau vorwerfen, dass sie sich diesem Druck nicht aussetzen
möchte. Wenn sie nicht aufsteht, wenn die Lehrerin nach „starken Jungs“
fragt, weil das weird wäre. Selbst wenn es einen Tag im Jahr gäbe, an dem
sie auch mal das Tragen übernehmen dürfte.
Der Girls’ Day kann natürlich dafür sorgen, dass man zum Beispiel eine
coole Informatikerin kennenlernt, die zum role model wird, weil man sieht,
als Frau geht das auch. Er kann kleine Veränderungen, stückweise
Verbesserungen in der Statistik hervorbringen. Doch der ganz große Aufbruch
der Rollenstereotype wird so nie passieren.
Er wird im schlimmsten Fall sogar verstärkt durch den Fokus auf typisch
männlich und typisch weiblich. Durch das mangelnde Hinterfragen nach den
tieferliegenden Gründen. Und einfach nicht schon viel früher dafür gesorgt
wurde, dass alle – auch die nicht so starken Jungs und Mädchen – dieselben
Startbedingungen haben.
Dann würde die Lehrerin vom Anfang wirklich nach starken Händen fragen und
niemand würde stark mehr mit dem „starken Geschlecht“ in Verbindung
bringen. Sondern es würden einfach die Schüler:innen aufstehen, die
motiviert sind und sich stark genug fühlen. Und nach demselben Muster
würden sie dann auch ihre Berufswahl treffen – nach Motivation, Interesse
und Fähigkeiten. Und ohne den richtenden und im Vorhinein schon
einordnenden Blick ihrer Umwelt. Im Moment noch ein sehr utopisches Ziel.
28 Apr 2022
## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Gender
Gleichberechtigung
MINT
Berufswahl
GNS
Wissenschaft
Feminismus
Kolumne Alles getürkt
Kolumne Provinzhauptstadt
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