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# taz.de -- Spanischer Meerbusen wird Rechtsperson: Mehr Rechte für das Mar Me…
> Die Bewässerung der Landwirtschaftsflächen in der Region Murcia stellt
> ein Problem für Meer und Mensch dar. Die Regierungsparteien blocken.
Bild: Mit einer Menschenkette am Strand wurde im August 2021 gegen die Belastun…
Madrid taz | Rund um das Mar Menor im südostspanischen Murcia reden alle
nur von einem: der „grünen Suppe“. In diese wird sich die größte
Mittelmeerlagune Spaniens wohl bald schon wieder verwandeln. Denn es
regnete in diesem Frühjahr überraschend viel. Das Wasser schwemmt einmal
mehr Nitrate und Phosphate der umliegenden Landwirtschaft ins Meer. Bereits
jetzt schwimmen riesige Felder von Drahtalgen auf der Lagune. Hinzu kommen
Mikroalgen, die das Gewässer trüben. Der Sauerstoffgehalt droht zu sinken.
Seit 2016 kippt das Mar Menor immer wieder um, zum letzten Mal vergangenen
August, als Bilder vom Fischsterben europaweit [1][durch die Presse]
gingen. Dieses Jahr könnte es bereits im Juni so weit sein, befürchten
Umweltschützer und Wissenschaftler.
Um dieses [2][in Spanien einzigartige Ökosystem] künftig besser zu
schützen, haben mehrere Umweltinitiativen der Region über 600.000
Unterschriften für einen Bürgerantrag an das spanische Parlament gesammelt.
Dieses möge dem Mar Menor die Rechtsform der „juristischen Person“
zusprechen. Mit Ausnahme der rechtsextremen Vox stimmten alle Parteien
dafür. Noch vor dem Sommer soll das Gesetz durchs Parlament gehen.
„Das Mar Menor wird das erste Ökosystem in Europa sein, das eigene Rechte
erhält“, erklärt die Mitinitiatorin des Bürgerantrags und Professorin für
Rechtsphilosophie an der Universität Murcia, Teresa Vicente. „Juristische
Person“ oder auch „Rechtsperson“ ist eine gesetzliche Figur, die einer
Sache personenähnliche Rechte zuspricht. Das Mar Menor wird damit zu einem
Rechtssubjekt, das einen gemeinnützigen sozialen Zweck erfüllt.
## Auf Fluss folgt Meer
Es wird künftig möglich sein, „Personen, Unternehmen oder Einrichtungen,
die das Ökosystem angreifen“, gerichtlich zu verfolgen, erklärt Vicente,
die die Initiative im spanischen Parlament vorstellte. Alle Bürger können
dann von den Verantwortlichen für die in der Lagune verursachten Schäden
vor Gericht Schadenersatz verlangen. Bisher gibt es so etwas in Europa
nicht. 2017 wurde der Fluss Whanganui in Neuseeland weltweit erstmals als
Rechtsperson eingestuft.
„Die Gesetzesinitiative hat der Debatte über das Mar Menor sehr genützt“,
sagt Pedro Luengo, Sprecher der Umweltschutzorganisation [3][Ecologistas en
Acción]. Der Biologe ist außerdem Mitglied in der Initiative „SOS Mar
Menor“. „Inwieweit das tatsächlich etwas an der Lage ändert, wird sich
zeigen, denn ein Gesetz kann nicht rückwirkend ein Vergehen verfolgen und
bestrafen“, fügt er hinzu. Er fordert dringende Sofortmaßnahmen und hat
dabei die Landwirtschaft im Blick. Auf 60.000 bis 70.000 Hektar rings um
das Mar Menor wird Gemüse – vor allem für den Export nach Deutschland und
ins Vereinigte Königreich – angebaut.
Um die 10.000 Hektar davon sind illegal. Die Flächen werden bewässert. Dazu
kommt Wasser zum Einsatz, das über ein Kanalsystem aus dem
zentralspanischen Tajo überführt wird. Der Grundwasserspiegel ist dadurch
gestiegen, mit Nitraten verunreinigtes Wasser gelangt in die Lagune. Was
früher Ramblas – Flüsse – waren, die nur ein-, zweimal im Jahr Wasser
führten, ist seit über zehn Jahren ein ständiges Fließgewässer.
## Nitrate und Phosphate
Hinzu kommt, dass mehrere Feuchtgebiete bebaut und die Flussbetten der
Ramblas zum Teil betoniert wurden. Bevor dies so war, wurden Regenfälle
zurückgehalten, die Vegetation filterte das Wasser. Wenn es jetzt regnet,
fließt das meiste Wasser sofort ins Meer, nimmt Erde und damit Nitrate und
Phosphate mit. Die Landwirte mit illegalen Flächen nutzen meist Wasser aus
Brunnen, entsalzen es und bewässern damit. Das mit Nitrat versetzte Salz
wird üblicherweise illegal entsorgt und gelangt oftmals ins Meer.
„Die Bewässerungsflächen müssen reduziert werden“, verlangt Luengo. Auch
ihm ist klar, dass eine radikale Wende zurück zur Trockenlandwirtschaft mit
ihren Terrassen, die Regenfälle aufhielten und den Grundwasserspiegel
wahrten, nicht mehr möglich ist. Aber zumindest die illegalen
Bewässerungsflächen sollten stillgelegt werden. Die Initiative „SOS Mar
Menor“ schlägt vor, dass nur noch 40.000 Hektar bewässert werden, wie dies
einst vor mehreren Jahrzehnten im Landwirtschaftsplan vorgesehen war, bevor
nach und nach immer mehr illegale Flächen legalisiert wurden.
Doch weder die Regionalregierung Murcia der konservativen Partido Popular
mit Überläufern der rechtsliberalen Ciudadanos und der rechtsextremen VOX
möchte etwas unternehmen, noch die Zentralregierung des Sozialisten Pedro
Sánchez. „Keiner will auf dem Foto sein, das zeigt, wie landwirtschaftliche
Flächen stillgelegt werden“, ist sich Luengo sicher. Stattdessen schlägt
die Regionalregierung absurde Makroprojekte vor. So etwa ein Brunnensystem,
um den Grundwasserspiegel zu senken, oder gigantische Auffangbecken, um das
Regenwasser daran zu hindern, ins Meer zu gelangen. „Es geht immer darum,
die Landwirtschaft in Schutz zu nehmen und die Kosten für die verursachten
Umweltschäden auf den Steuerzahler abzuwälzen“, beschwert sich Luengo.
Luengo prophezeit, dass, sobald das Gesetz über die Rechtsperson für das
Mar Menor in Kraft tritt, Klagen gegen die Regionalregierung, die
Verwaltung und einzelne hohe Beamte wegen Verletzung der Rechte des Mar
Menor nur noch eine Frage der Zeit sein werden.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] /Tiere-sterben-in-Europas-groesster-Lagune/!5634774
[2] /Kriminelle-Landwirte-am-Mittelmeer/!5792853
[3] https://www.ecologistasenaccion.org/federaciones/region-murciana/
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Umweltkatastrophe
Spanien
Landwirtschaft
Wasserversorgung
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klimataz
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