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# taz.de -- Dokumentarfilm von Davide Gambino: Unsterbliche Tiere, unpassender …
> Die Doku „The Second Life“ begleitet drei Museumspräparatoren bei ihrer
> Arbeit. Diese rücken wegen Pathosfloskeln in den Hintergrund.
Bild: Ein Präparator arbeitet an einem Modell von einem Tiger
Vor dem Kongresszentrum in Salzburg tragen zwei Männer einen Ziegenbock,
einer an den Hörnern, einer an den Hinterbeinen. Ein junger Mann macht ein
Foto von einem präparierten Wildschwein, das aus einem Kofferraum geladen
wird. Am Rande einer Jagdmesse findet die European Taxidermy Championship
statt. „Ein erstarrter Zoo“, kommentiert Davide Gambinos Dokumentarfilm
„The Second Life“.
Sorgfältig vergleichen die Juroren die Ähnlichkeit zwischen den Präparaten
und den Fotos der Tiere. Gambinos Film begleitet drei Präparatoren bei der
Arbeit an den Exponaten, die sie auf dem Wettbewerb vorstellen: Maurizio
Gattabria vom Museum für Zoologie in Rom, Christophe de Mey vom
Naturkundemuseum in Brüssel und Robert Stein von dessen Pendant in Berlin.
Alle drei Präparatoren arbeiten daran, Tiere für ihre jeweiligen Museen und
für die Nachwelt zu konservieren. Maurizio Gattabrias Arbeit an dem
Orang-Utan Petronilla beginnt mit dem Anfertigen einer Totenmaske, einem
Gipsabguss des Gesichts.
Bei Tigerin Jessy, die Christophe de Mey präpariert, steht die Auswahl
eines Körpers aus einer Liste von Körpermodellen eines Onlineanbieters am
Anfang. Es folgt ein „makabres Tauziehen“: das Häuten der toten Tiere. Die
Tierhaut wird, so weit wie möglich, von organischen Materialien getrennt,
die verrotten würden.
## Das Schnitzen und Zerren
Die ersten Bilder von Robert Stein mit dem künftigen Präparat zeigen ihn
beim Waschen der Haut und Flügel eines Adlers. Dann schnitzt Stein den
Körper des Adlers nach, der ohne Haut und Flügel eher einem Brathähnchen
gleicht. Besonders bei Stein steht das Schnitzen und das Zerren, als die
Haut über den Schaustoffkörper gezogen wird, im Kontrast zu der filigranen
Haut und den Federn des Vogels.
Doch anders als [1][Dokumentarfilme wie Francesco Clericis „Scultura –
Hand.Werk.Kunst“, der die Arbeit des Bronzegusses hinter Kunstwerken
zeigte,] geht es Gambino nicht nur darum, die Arbeit der Präparatoren zu
zeigen und einem Kinopublikum deren Welt zu öffnen. Mit erheblichem Pathos
stellt Gambino dieser Welt die Perspektive der Tiere gegenüber.
Das geschieht in erster Linie durch einen Offkommentar, der aus einer
fiktiven Einheit der Tierwelt auf die Menschen blickt. Diese
Perspektivumkehr bleibt jedoch generisch und kommt über Pathosformeln
bedrohter Tierwelt nur selten hinaus. In der deutschen Fassung wird der
Kommentar von [2][Katharina Thalbach] mit einer verniedlichenden Empathie
gesprochen, was das Problem noch vergrößert.
## Problematischer Offkommentar
Als Äußerlichkeit wäre dieser Kommentar weniger schwerwiegend, doch der
Offkommentar ist die Auslagerung einer Positionierung durch den Regisseur
zu dem von ihm Gezeigten. Die drei Präparatoren stehen für unterschiedliche
Zugänge zu ihrer Arbeit. Maurizio Gattabria unterstreicht die Bezüge zur
Kunstgeschichte und zum humanistischen Wissenschaftsbild, dem er seine
Arbeit verpflichtet sieht.
Der wortkarge Robert Stein sieht mit Sorge das Verschwinden von Vogelarten
und werkelt an seinem Arbeitsplatz an Präparaten. Christophe de Mey liebt
Raubkatzen und betrachtet die Arbeit an dem Tiger ebenso als Spiegel dieser
Vorliebe wie einen Auftritt in Drag als Raubkatze zu dem Song „Eye of the
Tiger“. Doch statt Probleme wie die Musealisierung oder den
Anthropozentrismus der Arbeit der Präparatoren im Film und den Bildern zu
thematisieren, zeigt Gambino deren Arbeit in ästhetisierter Form und lagert
die Fragen, die diese Arbeit aufwirft, an den Kommentar aus.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass „The Second Life“ am besten
funktioniert, wenn man das Pathos ausblendet und sich auf die Bilder des
Präparierens konzentriert. Der Ausflug in die Welt der Taxidermie, die
verschiedenen Zugänge der drei Präparatoren und die Linien, die sie selbst
von ihrer Arbeit zur Geschichte ihres Fachs und den Veränderungen der Natur
ziehen, wären mehr als genug gewesen. Sie bewahren den Film vor dem
Regisseur.
25 Apr 2022
## LINKS
[1] /Kunsthandwerker-und-Kuenstler/!5244348
[2] /Katharina-Thalbach-ueber-die-Blechtrommel/!5707698
## AUTOREN
Fabian Tietke
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