# taz.de -- Sachsens CDU-Innenminister entlassen: Roland Wöller muss gehen | |
> Nach diversen Verfehlungen hat Sachsens Ministerpräsident seinen | |
> Innenminister entlassen. Ein Nachfolger steht bereit. | |
Bild: Darf die Krawatte nun ablegen: Innenminister Roland Wöller (CDU) wurde a… | |
LEIPZIG taz | Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen, sagte | |
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Freitag in Dresden, | |
nachdem er Roland Wöllers Entlassung verkündet hatte. Wöller – ein alter | |
Freund Kretschmers – sei „über viele Jahre ein geschätzter Wegbegleiter“ | |
gewesen, der wichtige Akzente in der Innenpolitik gesetzt habe. Trotzdem | |
sei es Zeit für einen „personellen Neuanfang, mit Kraft, mit neuen Ideen | |
und vor allen Dingen mit mehr und breiterem Vertrauen“, erklärte | |
Kretschmer. Damit spielte er auf die Polizeigewerkschaften an, die Wöller | |
zuletzt schwerwiegende Vorwürfe machten. | |
Die Liste von Wöllers [1][mutmaßlichen Verfehlungen] ist lang. Doch zuletzt | |
stand er wegen umstrittener Personalentscheidungen in der Kritik: Erst hat | |
Wöller Anfang April überraschend den Posten des Pressesprechers der | |
sächsischen Polizei neu besetzt – mit seinem Parteifreund Florian Oest, dem | |
Vorsitzenden des CDU-Kreisverbandes Görlitz. | |
Die Gewerkschaft der Polizei Sachsen kritisierte, dass es „keine fachliche | |
Notwendigkeit“ für den Personalwechsel gegeben habe und dieser „still und | |
heimlich“ vollzogen worden sei. Vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) | |
hieß es: „Es scheint, dass Widerworte gegen den Minister mit der sofortigen | |
Versetzung bestraft werden.“ | |
Wenige Tage später wurde bekannt, dass Manja Hussner, eine Freundin von | |
Wöllers Frau, neue Kanzlerin der sächsischen Polizeihochschule werden soll. | |
Die Polizeigewerkschaften GdP und DPolG warfen Wöller Vetternwirtschaft vor | |
und forderten seinen Rücktritt. | |
Wöller wies den Vorwurf zurück und erklärte dazu, dass Stellenbesetzungen | |
„nach Eignung, Leistung und Befähigung“ erfolgten. Etwaige Bekanntschaften | |
spielten dabei keine Rolle, seien aber auch kein Ausschlusskriterium für | |
Bewerber:innen. Auch nach einem 90 Minuten langes Krisengespräch am | |
Dienstag hielten die Gewerkschaften an ihren Rücktrittsforderungen fest. | |
Wöller hingegen sah von einem Rücktritt ab. Zum Ende seiner Amtszeit | |
äußerte er sich bisher nicht. | |
## Polizei ohne Vertrauen | |
Nachdem Wöller nun von Ministerpräsident Kretschmer entlassen wurde, sagt | |
Hagen Husgen, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen, er sei | |
„froh und zufrieden“. Es zeige, „dass die Einschätzungen der polizeilich… | |
Basis berechtigterweise Gewicht haben und nicht als Nörgelei abgetan | |
werden.“ | |
Die sächsischen [2][Regierungsfraktionen] der CDU, SPD und Grüne | |
bezeichneten die Entlassung von Roland Wöller als folgerichtig und | |
nachvollziehbar. „Das Vertrauensverhältnis zwischen [3][Innenminister und | |
Polizei] war zu stark belastet“, teilte Albrecht Pallas, innenpolitischer | |
Sprecher der SPD-Fraktion, am Freitag mit. | |
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Christian Hartmann, verwies auf die | |
politischen Erfolge Wöllers: „Er hat wichtige [4][Reformen wie das | |
Polizeigesetz] oder die Allianz Sichere Sächsische Kommunen auf den Weg | |
gebracht. Das gilt auch für die Ausbildung sowie die personelle und | |
materielle Ausstattung unserer Sicherheitskräfte. Gleichwohl habe ich für | |
die Entscheidung unseres Ministerpräsidenten Verständnis und trage diese | |
mit.“ | |
Valentin Lippmann von der Grünen-Fraktion sagte, die Entlassung sei | |
„spätestens mit Blick auf die immer neuen Vorwürfe in den vergangenen | |
Wochen“ ein notwendiger Schritt gewesen, um das Vertrauen in das | |
Innenministerium wiederherzustellen. „Nicht zuletzt nachdem nun auch noch | |
der Vorwurf im Raum stand, das Parlament bewusst nicht vollumfänglich über | |
die Verfehlungen beim MEK informiert zu haben, waren personelle | |
Konsequenzen unausweichlich.“ | |
## „Lange Liste der Verfehlungen und Skandale“ | |
Die Linksfraktion im sächsischen Landtag hat Ministerpräsident Kretschmer | |
schon lange dazu aufgefordert, Wöller von seinem Amt zu entfernen. Die | |
Entlassung sei „eine Befreiung für Sachsen“, bewertete Rico Gebhardt, | |
Vorsitzender der Linksfraktion, am Freitag. Er sei froh, dass Kretschmer | |
„endlich“ dem Druck nachgegeben habe. „Wöller ist für eine lange Liste … | |
Verfehlungen und Skandalen verantwortlich, hat diese Verantwortung aber nie | |
angenommen. Stets waren aus seiner Sicht andere schuld“, sagte Gebhardt am | |
Freitag. | |
Neben den Personalentscheidungen sorgten mehrere [5][Skandale bei der | |
sächsischen Polizei] für Kritik. Erst am Mittwoch war eine neue Affäre | |
bekannt geworden: Das Mobile Einsatzkommando (MEK) Dresden soll einen | |
Skiurlaub in einem Vier-Sterne-Hotel in den Alpen als Dienstreise | |
deklariert und damit Urlaub auf Kosten von Steuerzahler:innen gemacht | |
haben. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des | |
Betrugs. Medienberichten zufolge soll der Minister schon länger von der | |
Ski-Affäre gewusst haben, behielt dies aber für sich. | |
Auch das war nicht das erste Mal, dass das MEK negativ in der | |
Öffentlichkeit auffiel. Erst vergangene Woche sorgten Leipziger | |
MEK-Beamt:innen für Schlagzeilen. Sie sollen ein brutales Aufnahmeritual | |
durchgeführt und mit Übungswaffen auf Neulinge geschossen haben sollen. | |
Zwei Beamt:innen wurden bereits entlassen. | |
Vor einem Jahr gerieten die Polizeibehörden und das Innenministerium wegen | |
des sogenannten Munitionsskandals beim MEK Dresden in die Kritik, bei dem | |
Dienstmunition gestohlen und illegale Schießtrainings absolviert wurden. | |
Das Kommando wurde aufgelöst, gegen drei Polizist:innen hat die | |
Generalstaatsanwaltschaft inzwischen Anklage erhoben, gegen 14 weitere wird | |
noch ermittelt. | |
## Nachfolger kritisierte Merkels Migrationspolitik | |
Während das Ende von Roland Wöllers Amtszeit erwartet wurde, ist die | |
Auswahl seines Nachfolgers eine echte Überraschung. Ministerpräsident | |
Kretschmer hat sich für einen Westimport entschieden: Armin Schuster, | |
langjähriger Innenexperte der CDU im Bundestag und derzeit Chef des | |
Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), soll neuer | |
Innenminister in Sachsen werden. | |
Dass sein aktueller Job für Schuster nicht die erste Wahl war, konnte man | |
schon bei seinem Amtsantritt 2020 ahnen. Denn eigentlich wäre der Mann aus | |
dem baden-württembergischen Lörrach gern Nachfolger von Hans-Georg Maaßen | |
als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz geworden. | |
Aber die damalige Kanzlerin Angela Merkel soll das verhindert haben – wohl | |
auch, weil Schuster 2015 als [6][Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik] galt. | |
Allerdings trug Schuster seine Bedenken stets freundlich vor und ohne der | |
Regierungschefin die Loyalität aufzukündigen. | |
Bei Diskussionen um Rassismus und Gewalt bei der Polizei warnte der | |
60-Jährige vor Verallgemeinerungen und Kampagnen gegen die Beamt:innen. | |
Grund dafür ist sicher auch, dass Schuster früher selbst Polizist war, was | |
er gerne betont und was ihn in seinem neuen Job helfen dürfte. | |
Nach einem Studium zum Verwaltungswirt arbeitete Schuster bei der | |
Bundespolizei, einmal auch in Ostdeutschland – als stellvertretender Leiter | |
des Bundespolizeiamtes in Frankfurt/Oder. | |
Danach ging es wieder zurück nach Baden-Württemberg, als Leiter der | |
Inspektion Weil am Rhein. 2009 wurde Schuster direkt in den Bundestag | |
gewählt. Er leitete den Amri-Untersuchungsausschuss zum islamistischen | |
Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz und das Parlamentarische | |
Kontrollgremium für die Geheimdienste. | |
Schuster, der als Christdemokrat mit eigenem Kopf gilt, wird auch von | |
politischen Gegner:innen geschätzt. Die Grüne Irene Mihalic kennt ihn | |
aus jahrelanger Arbeit im Innenausschuss des Bundestags. „Natürlich ist er | |
ein Unionsmann“, sagt Mihalic. „Aber einer, mit dem man mit hoher | |
Fachkenntnis und gegenseitiger Wertschätzung diskutieren kann.“ | |
## Aufgabe für den neuen Innenminister | |
Im Sachsen wäre es laut Albrecht Pallas von der SPD-Fraktion nun die | |
Aufgabe des neuen Innenministers Schuster, „die jüngst kritisierten | |
Personalentscheidungen zu überprüfen und die Vorfälle in den | |
Spezialeinheiten der sächsischen Polizei lückenlos aufzuklären“. | |
Auch der Linkenpolitiker Gebhardt findet, unter Schuster dürfe es „kein | |
Weiter so“ geben. Seine Fraktion fordert einen „grundlegenden Wandel im | |
Innenressort sowie im gesamten Sicherheitsapparat. „Es muss endlich eine | |
transparente Fehlerkultur Einzug halten, wirksam gegen alle rechten | |
Umtriebe vorgegangen und die Modernisierung der Polizei vorangetrieben | |
werden – nicht nur hinsichtlich ihrer Ausstattung, sondern mindestens auch | |
mit Blick auf ihre interkulturelle Kompetenz und ihren Umgang mit | |
Medienschaffenden bei Versammlungen“, betonte Gebhardt. | |
22 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
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