| # taz.de -- Asyldeal von Großbritannien und Ruanda: „Schandhaft und grausam�… | |
| > Großbritannien will Geflüchtete, die in Booten ankommen, nach Ruanda | |
| > verlegen. Das UNHCR sieht einen Verstoß gegen internationale Verträge. | |
| Bild: Immer wieder rettet die britische Küstenwache Menschen aus dem Ärmelkan… | |
| London/Kampala taz | Eine Woche nachdem sie ein Abkommen mit Ruanda zur | |
| Weiterverarbeitung und Aufnahme von illegal ins Vereinigte Königreich | |
| eingereisten Asylbewerber:innen in dem ostafrikanischen Land schloss, | |
| sieht sich Großbritanniens konservative Innenministerin Priti Patel weiter | |
| von Vorwürfen und offenen Fragen konfrontiert. Dem Abkommen zufolge sollen | |
| Geflüchtete, die per Boot über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, | |
| nach Ruanda geflogen werden und dort Asyl erhalten. | |
| Die Maßnahmen sollen der Abschreckung dienen, um, so Patel, den | |
| Schleusergangs das Handwerk zu legen, die hinter vielen Überfahrten in | |
| Schlauchbooten aus Frankreich über den Ärmelkanal stecken. Zudem sollen die | |
| hohen Kosten der Unterbringung von Asylsuchenden – derzeit umgerechnet 5,6 | |
| Millionen Euro pro Tag – durch die Schnellüberstellung nach Ruanda gesenkt | |
| werden. | |
| [1][2021 waren rund 28.300 Menschen in kleinen Booten] über den Ärmelkanal | |
| gekommen. Von der Küstenwache an Land gebracht, warten sie nun in | |
| Großbritannien auf den Ausgang ihres Asylverfahrens. Zurückschicken kann | |
| London sie seit dem Brexit nicht mehr. Dieses Jahr hält der Zustrom an, die | |
| britische Regierung schätzt, dass die Zahl sich verdoppeln könnte. Etwa | |
| zwei Drittel aller Menschen, die den Ärmelkanal überqueren, wird am Ende | |
| Asyl gewährt. | |
| Das Programm, die Schutzsuchenden stattdessen nach Ruanda zu schicken, | |
| würde Menschenleben retten und Flüchtende in ein sicheres Land bringen, | |
| sagt die britische Regierung. Ruandas [2][Außenminister Vincent Biruta | |
| betonte] bei der Unterzeichnung des Flüchtlingsdeals mit Priti Patel in | |
| Kigali am Donnerstag vergangener Woche, Ruanda „begrüße“ diese | |
| Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich: „Hier geht es darum | |
| sicherzustellen, dass die Menschen geschützt, respektiert und befähigt | |
| werden, ihre eigenen Ambitionen voranzutreiben und sich dauerhaft in Ruanda | |
| niederzulassen, wenn sie dies wünschen.“ | |
| ## Ruanda soll dafür Geld und Bildungsangebote erhalten | |
| Ruandas Regierung erhält dafür aus London 120 Millionen Pfund (144 | |
| Millionen Euro). Der sogenannte Ökonomische Transformations- und | |
| Integrationsfond soll vor allem für Sekundärbildung, Universitäts- und | |
| Berufsausbildung sowie Sprachangebote eingesetzt werden, nicht nur für | |
| Migranten. Davon profitiert das Land langfristig, weil sich das | |
| Bildungsangebot auch an Ruandas Jugend richtet, so die Regierung in Kigali. | |
| Ruanda sichert den Migranten wiederum eine Arbeitserlaubnis und freien | |
| Zugang zur Gesundheitsversorgung zu. Es sollen aus dem Fond langfristig | |
| auch Start-ups junger Unternehmer unterstützt werden, vor allem in Ruandas | |
| aufsteigender Tech-Szene. | |
| Flüchtlingsaufnahme gegen Entwicklungshilfe – dieser Plan stößt allerdings | |
| auf breite Kritik. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR sprach von | |
| einem Verstoß gegen die UN-Flüchtlingskonvention. 160 britische | |
| Hilfsorganisationen erklärten geschlossen das Programm für „schandhaft und | |
| grausam“. Sie schätzen die wahren Kosten auf bis zu umgerechnet 1,7 | |
| Milliarden Euro pro Jahr. | |
| Im britischen Parlament ging Patel am Dienstag Fragen nach den Kosten aus | |
| dem Weg. Der konservative Hinterbänkler Andrew Mitchell – ehemaliger | |
| Entwicklungsminister mit engen Beziehungen zu Ruandas Regierung – | |
| [3][höhnte, es sei billiger,] die Asylbewerber:innen ins Londoner | |
| Luxushotel Ritz zu stecken und ihre Kinder in der Eliteschule Eton | |
| auszubilden. | |
| Die ehemalige Premierministerin Theresa May, selbst ehemalige | |
| Innenministerin mit einer harten Gangart gegen illegale Migration, | |
| hinterfragte die Legitimität, Zweckmäßigkeit und Effektivität des | |
| Programms. Nachdem Patel immer wieder wiederholte, dass es vor allem junge | |
| Männer beträfe, folgerte May, dass Schleuser sich wohl in Zukunft einfach | |
| auf Frauen und Kinder konzentrieren würden. | |
| ## Der UNHCR nutzt trotz Kritik an Großbritannien ähnliche Methoden | |
| Welche und wie viele Menschen eigentlich genau nach Ruanda geschickt werden | |
| sollen – dazu gab es von Patel keine genaue Antwort. Zwar sprach Patel von | |
| einem nach oben offenen Arrangement, tatsächlich gibt es in Ruandas | |
| Hauptstadt Kigali derzeit konkret nur eine Unterkunft für etwa 100 Personen | |
| und allenfalls Pläne für einen Ausbau auf bis zu 300 Personen. | |
| Ruanda präsentierte sich in den vergangenen Jahren mehrfach als | |
| Aufnahmeland für Migranten. In Ruanda leben derzeit etwa 120.000 | |
| Geflüchtete, vor allen aus den Nachbarländern Burundi und Kongo. Patel will | |
| britischen Berichten zufolge die verletzlichsten dieser Geflüchteten im | |
| Austausch im Vereinigten Königreich aufnehmen. | |
| Die Kritik des UNHCR am britisch-ruandischen Abkommen kontrastiert damit, | |
| [4][dass das UNHCR selbst ähnlich verfährt]. Seit 2019 landen in Kigali | |
| alle paar Monate UNHCR-Charterflüge aus Libyen. An Bord: Migranten und | |
| Geflüchtete, meist aus West- und Ostafrika, die vom UNHCR aus libyschen | |
| Lagern evakuiert wurden. Im November 2021 verlängerten Ruanda, die | |
| Afrikanische Union (AU) und UNHCR die entsprechende Vereinbarung bis Ende | |
| 2023. Bislang wurden auf diese Weise über 1.000 Menschen nach Ruanda | |
| ausgeflogen – zuletzt 100 im März. Sie haben die Wahl, in Ruanda zu | |
| bleiben, in ihr Heimatland zurückzukehren oder in ein weiteres Drittland | |
| umgesiedelt zu werden. 70 Prozent wählen eine der beiden letzteren | |
| Optionen, verlassen Ruanda also wieder. Derzeit leben rund 370 Migranten im | |
| UNHCR-Auffanglager in Gashora, rund 60 Kilometer außerhalb der Hauptstadt. | |
| [5][2016 berichtete die taz] über einen geheimen Deal zwischen Ruanda und | |
| Israel. Ruanda nahm in Israel gestrandete Geflüchtete aus Afrika auf und | |
| bekam dafür Ausbildung für seine Geheimdienstagenten in Israel. Die meisten | |
| Aufgenommenen waren Eritreer, die dann weiter nach Uganda reisten, wo sie | |
| Familien hatten. | |
| 20 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bbc.com/news/uk-england-kent-59861376 | |
| [2] https://twitter.com/Vbiruta/status/1514699797051154438?s=20&t=YX1Kk6tPK… | |
| [3] https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/andrew-mitchell-blasts-rwanda-asylum… | |
| [4] https://www.unhcr.org/rw/17295-first-evacuation-flight-of-2022-from-libya-t… | |
| [5] /Abschiebepraxis-in-Israel/!5269686 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
| Simone Schlindwein | |
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