# taz.de -- Die Wahrheit: Pazifisten in olivgrüner Tarnung | |
> Der Geheimdienst MAD ist einem Untergrundnetzwerk in der Bundeswehr auf | |
> der Spur. Ziel der gewaltfreien Saboteure: Aufrüstung verhindern! Jetzt! | |
Wir treffen unsere Quelle in einem verwaisten Schießstand am Nordhang der | |
Bonner Hardthöhe. Bei Herrengedecken und Kleinkaliberschüssen ballerten | |
sich einst in der Clausewitz-Klause frustrierte Etappenhengste aus dem | |
Verteidigungsministerium die Wut über die Entspannungspolitik von der | |
Seele. Doch seit dem Ende des Kalten Krieges und der Verlegung der | |
Behördenspitze nach Berlin haben Friedenslilien Zielscheiben wie Zapfhähne | |
überwuchert. Der Ort wirkt ebenso tot wie die Nato-Russland-Grundakte. | |
Mehrmals müssen wir die vereinbarte Parole „Fünfte Kolonne!“ rufen, bis | |
sich eine Gestalt aus dem Halbdunkel löst. Der Mann trägt tatsächlich einen | |
Schlapphut und stellt sich als Mitarbeiter des deutschen | |
Militärgeheimdienstes MAD vor, der über die Verfassungstreue der | |
Streitkräfte wacht. In den letzten Jahren richteten sich eher gemächliche | |
Ermittlungen der Nachrichtendienstler gegen Netzwerke von Rechtsradikalen | |
und Reichsbürgern in der Truppe. Doch seit Beginn des russischen | |
Angriffskriegs gegen die Ukraine steht der Feind wieder links, belehrt uns | |
der Informant mit grimmiger Befriedigung. „Sie meinen, der Feind steht | |
wieder im Osten?“, fragen wir nach. | |
„Osten ist immer da, wo der Feind links steht“, erteilt der Feindaufklärer | |
geopolitische Geländekunde. | |
Bevor wir unbedarften Zivilisten die Bedeutung dieser Worte so recht | |
erfassen können, reicht uns der Mann ein Dossier. Es soll beweisen, dass | |
ein Geheimkommando der Friedensbewegung schon vor Jahrzehnten die Truppe | |
unterwandert hat und die heroischen Rüstungsbemühungen der Bundeswehr | |
sabotiert. In der Tat scheint es anders kaum erklärbar, dass deutsche | |
Streitkräfte bei einem Verteidigungshaushalt von letztjährig immerhin 46,93 | |
Milliarden mit angestrichenen Besenstielen statt Schießgewehren ins | |
Nato-Manöver ziehen müssen. Nach den Informationen des Schlapphuts hat sich | |
innerhalb der Bundeswehr ein terroristisch-bürokratisches Netzwerk | |
gebildet, das einen erbarmungslosen Geldvernichtungskrieg gegen den eigenen | |
Etat führt. | |
„Die Spur führt ins BAAINBw!“, gibt uns der Kundschafter des Friedens mit | |
auf den Weg, doch erst ein suchender Blick auf einen alten | |
Enigma-Spickzettel lässt uns diese militärische Geheimabkürzung zu | |
entschlüsseln. | |
## In dem Labyrinth verbummeln Tausende Bürokraten einfach alles | |
Am nächsten Tag stehen wir vor dem neoromanischen Monumentalbau in Koblenz, | |
der früher die preußische Bezirksregierung und heute das Beschaffungsamt | |
der Bundeswehr (BAAINBw) beherbergt. In der burgähnlichen Anlage am Rhein | |
arbeiten 6.800 Bürokraten, die von der Feldflasche bis zum Kampfjet | |
sämtliche Anschaffungen der Bundeswehr in labyrinthischen Vergabeverfahren | |
verbummeln. Insgesamt verfügt die Behörde jedoch über 11.000 | |
Mitarbeiter an 116 Dienstorten. Allein das ausgedruckte Organigramm des | |
BAAINBw wiegt über zehn Tonnen und würde aufgefaltet Mittelhessen komplett | |
bedecken. Allerdings gilt dieses weltgrößte Behördendiagramm als | |
verschollen, sodass die Bedeutung von Referaten wie BeaPr, MarsBtrb oder | |
Stab OS nicht mehr hinreichend geklärt werden kann. Auch zu einem guten | |
Dutzend der 116 Dienstorte ist jeder Kontakt abgerissen. | |
Als wir die gewaltige Empfangshalle betreten, umweht uns der Muff | |
ungelüfteter Achselspangen, Amtsschimmel blüht an den Wänden. In der Ferne | |
bellt einsam ein Maschinengewehr, vielleicht aber auch nur eine | |
Schreibmaschine. | |
„Ich bin der Peter“, empfängt uns ein Gewährsmann, der recht unmilitäris… | |
mit einer langen, weichen Umarmung grüßt. Der grauhaarige Mann mit | |
Nickelbrille und einem „Petting statt Pershing“-Button an der Lammfellweste | |
wirkt schon seit Anfang der achtziger Jahre als Saboteur beim | |
Beschaffungsamt. Der sympathische Kiffer hat sich bei einer Friedensdemo im | |
Bonner Hofgarten rekrutieren lassen, entnahmen wir dem Dossier. | |
„Ich war immer gegen Aufrüstung, aber viel zu verpeilt, etwas zu | |
unternehmen“, erklärt „der Peter“, der in Wirklichkeit nur Peter heißt. | |
Genau diese Lethargie und seine brutale Abheftschwäche erwiesen sich als | |
scharfe Waffen, zudem fiel er mit diesem Profil in der Bundeswehr kaum auf. | |
Die Anschaffung von Kurzstreckenraketen für die Bundeswehr versemmelte der | |
junge Maulwurf damals derart gründlich, dass die USA die Pershing II lieber | |
nur an die eigenen Streitkräfte auslieferten. | |
„Natürlich waren wir blutige Anfänger und haben anfangs bloß falsche | |
Lieferadressen angegeben“, erinnert sich „der Peter“. „Heute haben wir | |
natürlich ganz andere Möglichkeiten. Im Jahr 2019 hatten wir satte 154,9 | |
Millionen Euro übrig, die wir beim besten Willen nirgendwo mehr versickern | |
lassen konnten. Nach einem beherzten Anruf im Ministerium hat sich eine | |
hilfsbereite Staatssekretärin darum gekümmert und die ganze Kohle an | |
befreundete Berater verfüttert. Keine einzige Patrone, nicht mal ein | |
Nachtsichtgerät ist dafür angeschafft worden.“ | |
## Im Großraumbüro verzögern Fachkräfte die Modernisierung | |
Der klandestine Friedensaktivist im Rang eines Tambourmajors führt uns in | |
ein Großraumbüro mit mehreren Hundert zivilen Sachbearbeitern. „Seit 2017 | |
verhindern diese tapferen Frauen und Männer täglich den Ersatz des | |
Sturmgewehrs G36.“ Derzeit wird die Anschaffung durch einen Patentstreit | |
vor dem Düsseldorfer Landesgericht verzögert, zuvor hatte sich das | |
Bundeskartellamt in den undurchsichtigen Vergabemodus eingeschaltet. Ob und | |
wann ein Nachfolgemodell der Waffe präsentiert werden kann, ist auch fünf | |
Jahre nach der Ausschreibung unklar. | |
In einer anderen Abteilung werden militärische Großgeräte ausgemustert. | |
„Das Licht im Handschuhfach flackert“, lautet die Manöverkritik an einem | |
fabrikneuen Puma-Panzer. Damit gilt das 17 Millionen Euro teure | |
Metallmonster als nicht gefechtsbereit – und schon steht die Truppe wieder | |
etwas blanker da. | |
„Aber vor dem gigantischen Sondervermögen von 100 Milliarden Euro allein | |
für die Bundeswehr müssen doch selbst Sie die Waffen strecken“, wenden wir | |
ein. „So viel Geld kann niemand verschwenden.“ | |
Ein spöttisches Kichern brandet über allen Schreibtischen in dem | |
weitläufigen preußischen Verwaltungsbau auf. Es schwillt zu einem | |
infernalischen Gelächter an, bricht sich als Echo an den Wänden und spült | |
uns hinaus auf die Straße. | |
„Für 100 Milliarden besorgen wir gerade mal ein paar Kugelschreiber. Wenn | |
wir tatsächlich die leeren Munitionsdepots auffüllen und arschteure | |
F-35-Kampfjets bestellen sollen, müsste die Regierung schon richtig Geld in | |
die Hand nehmen“, ruft uns der erfahrene Kassensprenger und gewiefte | |
Verzögerungstaktiker nach. „100 Milliarden sind erst der Anfang!“ | |
9 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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