# taz.de -- Die Wahrheit: Kyiv Calling | |
> Die ukrainische Band Beton sorgt gerade weltweit mit einem Song für | |
> Furore. Erschreckend allerdings ist ihr historisches Vorbild. | |
Das Clash-Cover „Kyiv Calling“ der ukrainischen Band Beton macht gerade als | |
musikalische Untermalung für Solidaritätsadressen in den sozialen | |
Netzwerken die ganz große Runde. So weit, so gut, so hoch die | |
internationale Punkrocksolidarität! | |
Nun aber schauten sich ein paar Musikfreunde den Facebook-Account der Band | |
genauer an, die sich selbst als „antifaschistisch“ und „antirassistisch“ | |
bezeichnet. Dort posieren Beton-Musiker in T-Shirts, die im Stil des | |
Ramones-Logo den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera feiern. | |
Mittlerweile hat sich die Band zur Kritik geäußert und ein alarmierendes | |
Geschichtsbild offenbart: „Für viele Ukrainer ist Stepan Bandera ein Held, | |
ein Symbol des Widerstands gegen die russische Besatzung, ein Symbol des | |
Maidan. Außerdem war er mehrere Jahre in einem KZ der Nazis eingesperrt.“ | |
Natürlich trifft Letzteres zu, allerdings saß Bandera in Sachsenhausen als | |
vergleichsweise privilegierter „Ehrenhäftling“, nachdem er 1941 versucht | |
hatte, einen unabhängigen und ethnisch exklusiven Staat in der Westukraine | |
auszurufen. Aber Eigenständigkeit wollten die Deutschen den slawischen | |
Metöken in ihrem germanischen Kolonialreich nicht zugestehen, nicht mal den | |
Faschisten unter ihnen. | |
Trotz der Inhaftierung Banderas gab es eine Zusammenarbeit ukrainischer | |
Nationalisten mit deutschen Besatzern und ethnische Säuberungen der | |
„Banderivci“ auf eigene Rechnung. „Hervorzuheben ist die Beteiligung der | |
UPA am Holocaust und an Massakern an der polnischen Zivilbevölkerung in | |
Wolhynien, bislang eine von den ukrainischen Nationalisten nur ungern und | |
ambivalent eingestandene Tatsache“, schreibt der Historiker Volodymyr | |
Masliychuk in einem Text für die Böll-Stiftung. | |
Wenngleich persönlich abwesend, war Bandera als Führer der Bewegung | |
mitverantwortlich für die Verbrechen seiner Gefolgsleute, die er | |
ideologisch vorbereitet hatte. Von seinem populären Heldenmythos mag die | |
Band dennoch nicht lassen: „Wir verstehen und verurteilen, dass Banderas | |
Name benutzt wird, um Verbrechen zu begehen“, formulieren die Punkrocker | |
maximal ambivalent. | |
Sicherlich ist der brutale Angriffskrieg, der liberale wie nationalistische | |
Ukrainer zur Überlebensgemeinschaft verschweißt, kein idealer Zeitpunkt, | |
eine reflektierte Geschichtspolitik einzufordern, allerdings befeuern | |
derart hanebüchene Äußerungen die Wirksamkeit russischer Propagandalügen. | |
Dass Beton „entnazifiziert“, werden muss, glaube ich aber trotz ihrer | |
geschmacklos textil gewordenen Erinnerungskultur nicht. „Wir wollen in | |
einem demokratischem Land ohne Krieg leben, in dem jeder unabhängig von | |
Rasse oder Glaube willkommen ist“, hoffen die Musiker im belagerten Kyjiw, | |
aber im politischen Denken Banderas werden sie in dieser Hinsicht nicht | |
fündig werden. Die Vision einer demokratischen Ukraine hat der Nationalist | |
und Antisemit ganz sicher nicht geteilt. | |
23 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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