| # taz.de -- Die Wahrheit: Den Bären in der Manege zähmen | |
| > Letztes Mittel gegen jeden Krieg ist der Sport. Sein olympischer Frieden | |
| > wird die Welt für immer vom größten aller Übel befreien. | |
| Wenn wir Frieden mit Russland wollen, brauchen wir Sport, Spiel und Spaß“, | |
| ruft Roger Kämmerlein. Der engagierte Ertüchtigungssoziologe, | |
| leidenschaftliche Konfliktsportler und ausgezeichnete Spiegelfechter ist | |
| neben rechten Putin-Bewunderern, hartgesottenen Sowjet-Nostalgikern, der | |
| TV-Veteranin Gabriele Krone-Schmalz und dem längst selbst angezählten | |
| Gaszähler Gerd „Acker“ Schröder eine der wenigen Stimmen in Deutschland, | |
| die einen derart flauschigen Umgang mit dem Aggressor noch für möglich und | |
| erstrebenswert halten. | |
| Aber von seinem erhöhten Lehrstuhl für Sportethik und Gewissenselastik an | |
| der Fulda Gap University für angewandten Wehrsport kann Konfliktforscher | |
| Kämmerlein die weißen Linien des Sports ebenso wie die roten Linien der | |
| Politik überblicken und kommt zu einem überraschenden Fazit: „Eine Blick in | |
| die Geschichte zeigt, dass allein prachtvolle internationale | |
| Sportereignisse, die Diktaturen aufwerten und legitimieren, gewissenlose | |
| Potentaten davon abhalten, ihre verwerflichen Vorhaben durchzusetzen. Die | |
| internationale Gemeinschaft hat bislang bloß immer den Fehler gemacht, die | |
| Spiele irgendwann enden zu lassen.“ | |
| Kämmerlein hat sämtliche Videobeweise und Spielverläufe der umstrittensten | |
| Sportfeste der letzten 150 Jahre ausgewertet, als wichtigster Beleg für | |
| seine These gelten ihm jedoch die Olympischen Spiele von 1936 in München. | |
| „Kaum waren Sportler und Funktionäre abgezogen, wurde die Lage für die | |
| politisch Bedrängten des Hitler-Regimes erst richtig schlimm, zumindest | |
| sichtbarer – und kaum drei Jahre später war dann auch schon Krieg. Nur, | |
| weil man die olympische Flamme fahrlässig erlöschen ließ.“ | |
| Gerade Judo-As und Reitsportkanone Putin zeigte sich in der Vergangenheit | |
| empfänglich für die Faszination der Leibesertüchtigung, führt Kämmerlein | |
| aus. „Bei den Winterspielen in Sotschi 2014 saß der russische Präsident wie | |
| festgetackert auf der Tribüne und winkte glücklich in die Kameras. Sogar | |
| die stinklangweiligen Curling-Wettbewerbe hat er komplett angesehen, und | |
| solange Putin Sport guckt, haben unbotmäßige Anrainerstaaten nichts zu | |
| befürchten. Aber kaum ist das Spektakel vorbei, fühlt er sich überflüssig | |
| und unbeachtet. Dann marschiert er aus Frust irgendwo ein, 2014 ging es auf | |
| die Krim und nach der just vergangenen Olympiade in Peking war der Rest der | |
| Ukraine dran. Das darf man nicht persönlich nehmen.“ | |
| ## Gesteigerte Gigantomanie als Mittel gegen Angriffskrieg | |
| Bevor wir ein Gegenargument vorbringen können, springt der athletische | |
| Akademiker auf und skizziert das Vorhaben ewiger „Appeasement Games“ an | |
| eine Auswechseltafel. „Nur eine Dauersportveranstaltung kann den | |
| Weltfrieden sichern“, erklärt er. „Natürlich müssten solche Spiele so | |
| gigantomanisch und teuer sein, dass sich ein Angriffskrieg nebenher einfach | |
| nicht finanzieren lässt. Wir können den russischen Bären nur in der Manege | |
| des internationalen Sportzirkus zähmen.“ | |
| Kämmerleins Initiative kommt gerade noch rechtzeitig, denn sogar die | |
| moralisch dauerbankrotten Sportorganisationen von IOC bis Fifa, auf deren | |
| Ergebenheit solvente Gewaltherrscher noch immer zählen konnten, gaben dem | |
| Druck nach, kündigten die Zusammenarbeit mit russischen Organisationen auf | |
| und sagten Veranstaltungen wie den Formel1-Grand-Prix in Sotschi ab. | |
| Fußball-Zweitligist FC Schalke 04 stornierte den Vertrag mit dem russischen | |
| Energielieferanten Gazprom und hat seither Mühe, die Champagner-Jacuzzis in | |
| seinen VIP-Lounges anständig zu temperieren. | |
| Kämmerlein lehnt die neue Prinzipientreue energisch ab: „Die Antwort auf | |
| den Ukraine-Angriff darf keine Sanktion, sondern muss ein entschlossenes | |
| Höher, Schneller, Weiter sein. Wir werden Russlands Kriegskasse mit | |
| sportlichem Ehrgeiz leeren. Ich denke, diese Aufgabe können wir erfahrenen | |
| Bonzen anvertrauen, die schon kerngesunde Volkswirtschaften nur mit Spesen- | |
| und Hotelrechnungen zu Grunde gerichtet haben. Diese Herren lassen an einem | |
| Tag mehr Geld versickern, als die 154,9 Millionen-Berater der | |
| abgewirtschafteten Bundeswehr. Russland mag Oligarchen haben, aber wir | |
| haben im Hintergrund gierige Greise wie Bernard ‚Bernie‘ Ecclestone, Sepp | |
| ‚Die Seuche‘ Blatter, Franz ‚Der Kaiser‘ Beckenbauer und Thomas ‚Der … | |
| Bach. Sogar Franco-Flüsterer und IOC-Korruptionslegende Juan Antonio | |
| Samaranch könnte womöglich gegen eine Ablösesumme aus der Fascho-Hölle | |
| losgeeist werden, um Putin über den extralangen Tisch zu ziehen.“ | |
| Während dieses Platoon abgehalfterter Sportfunktionäre, als Spezialeinheit | |
| über feindlichem Territorium mit Fallschirmen abgeworfen, Russland weitaus | |
| schneller austrocknen könnte als der Ausschluss aus der Finanzinfrastruktur | |
| Swift, sollten Art und Ausrichtung der Wettkämpfe die Aufmerksamkeit des | |
| Kremlchefs fesseln, erklärt uns der Sportstratege: „Wir müssen uns | |
| unbedingt Putins Gedankenwelt annähern. Europäische Athleten treten | |
| unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung im ‚Team Gayropa‘ an, während | |
| ukrainische Sportler entweder als putzige ‚Kleinrussen‘ der Mannschaft von | |
| Noworossija oder pauschal den Faschisten zugerechnet werden.“ Bereits bei | |
| den am Freitag gestarteten Pekinger Paralympics ließen sich hierzu erste | |
| Erfahrungen sammeln; der Ausschluss Russlands sei dabei vollkommen | |
| unakzeptabel und verwerflich. | |
| ## Weitreichende Privilegien und Ungeniertes Doping für Russland | |
| Selbstverständlich müsste die Gastgeber-Equipe gewisse Privilegien | |
| genießen, die aber kaum über olympische Gepflogenheiten hinausgehen. | |
| Ungeniert gedopt hat der russische Kader auch zuvor. Sogar einen | |
| Medaillenspiegel hat Kämmerlein schon erstellt. Von den 400 Wettkämpfen der | |
| ersten Offensive wird Russland über 500 für sich entscheiden, ohne dabei | |
| eigene Verluste zu erleiden – eine eindrucksvolle Bilanz, die ganz nach | |
| Putins Faktenverständnis sein dürfte. | |
| Als uns der sportpolitische Aktivist dann auch noch Pläne für Stadienbauten | |
| und pharaonische Repräsentationsarchitektur zeigt, der kein Autokrat mit | |
| einem Fünkchen Selbstachtung oder Cäsarenwahn widerstehen kann, sind wir | |
| überzeugt. „Ich kenne Dutzende skrupelloser Stararchitekten, die sofort | |
| losklotzen würden“, sagt Kämmerlein, und wir bekommen fast Mitleid. Einer | |
| derartigen Übermacht hat Putin als einfacher Despot einer kleinen Atommacht | |
| kaum etwas entgegen zu setzen. Sogar ein stinkreiches Superemirat wie Katar | |
| wird zum mittellosen Wüstenflecken herabsinken, hat König Fußball dort | |
| ausgekickt. | |
| „Ich appelliere an die Vertreter des internationalen Sports, sämtliche | |
| ethischen Grundsätze kampflos aufzugeben und sofort zum Business as usual | |
| zurückzukehren“, schließt Roger Kämmerlein sein Plädoyer. „Zeigen Sie | |
| Gewissenlosigkeit! Die Freiheit der Welt beruht auf Ihrer Korruption!“ | |
| 5 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Bartel | |
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