# taz.de -- Die Wahrheit: Ich hatte ein Asyl in Afrika | |
> Beim ersten Abschiebungsflug abgelehnter Asylbewerber von Großbritannien | |
> nach Ruanda läuft einiges gründlich schief. Ein Heia-Safari-Bericht. | |
Very good! Long live queen!“, zeigt sich der albanische Asylbewerber Enver | |
Shkurtaj von seiner Abschiebung aus Großbritannien schlichtweg begeistert | |
und reckt beide Daumen hoch. Dann widmet sich der ehemalige Schafhirte aus | |
einem bitterarmen Dorf in den albanischen Alpen weit hinter Shkodra wieder | |
der Großwildjagd, während ein livrierter Diener dem Abgeschobenen mit einem | |
Wedel aus Straußenfedern Luft zufächelt und ein anderer ihm einen kräftigen | |
Gin Tonic zur Malariaprophylaxe mixt. | |
Shkurtaj will heute noch unbedingt den großen Elefantenbullen schießen, um | |
das Trophäenfoto für die Daheimgeblieben in die sozialen Netzwerke zu | |
stellen. „We like elephant! All Albania will come to UK now“, benennt der | |
bislang bloß die Hasenjagd gewohnte Bergbewohner die aufregende | |
Dickhäuterpirsch als möglichen Pull-Faktor für schießfreudige Landsleute. | |
Dabei befindet sich Shkurtaj keineswegs auf dem britischen Hoheitsgebiet | |
ihrer Majestät, vielmehr sollte er nach der Ablehnung seines Antrags nach | |
Ruanda abgeschoben werden. So hat es die Regierung Johnson für illegal | |
eingereiste Migranten beschlossen, deren Asylantrag vom Königreich | |
abgelehnt wurde. In dem aufstrebenden ostafrikanischen Entwicklungsland | |
Ruanda ist Shkurtaj aber nie angekommen, sondern in Uganda, dem | |
aufstrebenden ostafrikanischen Entwicklungsland daneben. | |
„Es gab da wohl eine etwas peinliche Verwechslung am Flughafen Heathrow“, | |
gibt ein Mitarbeiter der britischen Innenministerin Priti Patel zu. „Eine | |
englische Jagdgesellschaft mit dem Ziel Kampala, Uganda, ist am Gate mit | |
der Abschiebegesellschaft nach Kigali, Ruanda, verwechselt worden. We’re | |
terribly sorry. Nun es wäre hilfreich, wenn die ausländischen Gentlemen | |
ihre wahren Identitäten offenbaren würden.“ | |
Mit dieser Forderung beißt der britische Diplomat bei Enver Shkurtaj jedoch | |
auf den traditionell knüppelharten skipetarischen Granit. „My name is | |
Godfrey Chislington, Viscount of Bellingham and Thurstoft-upon-Limey“, | |
liest der Albaner langsam von einem auf eben diesen Namen ausgestellten | |
Pass ab. Ferner ist er im Besitz von Dokumenten, die ihn als rechtmäßigen | |
Besitzer der Jagdlodge mitten im Nationalpark Murchison Falls ausweisen. | |
## Keine Probleme in Uganda | |
Sein Begleiter, der sich mit stark arabischem Akzent als „William D. | |
Isforth, Esq.“ vorstellt, darf sich – Maschallah! – sogar über eine | |
Beteiligung an einem der größten Bergbauunternehmen des Kongo und den | |
Besitz einer historischen Jagdflinte aus dem Nachlass Ernest Hemingways | |
erfreuen. Mit der Ballerei hat der syrische Kriegsflüchtling allerdings | |
seine Probleme. | |
„Der großartige Ausblick entschädigt für manches“, erklärt der | |
frischgebackene Finanzinvestor aus der Londoner City, weist auf das | |
gischtsprühende Panorama der Nilfälle und bricht dann auf zu einem | |
beruhigenden Spaziergang zu den sanften Riesen auf, den letzten | |
Berggorillas des Landes. | |
„Die Regierung von Uganda hat die Rechtmäßigkeit unserer Dokumente | |
zweifelsfrei anerkannt. Wir sind britische Staatsbürger, die ganz legal | |
eingereist sind“, lässt die Rechtsanwältin der Gruppe verlauten, die | |
ebenfalls in der Lodge residiert. Die exilierte Oppositionelle ist | |
hocherfreut, mit ihrem britischen Pass, der sie als „Mabel Florence | |
Faversham“ aus dem Londoner Nobelvorort Weybridge ausweist, endlich wieder | |
ihre afrikanische Heimat bereisen zu können, ohne Verfolgung fürchten zu | |
müssen. | |
Gefahndet wird von regierungsnahen Schlägertrupps schließlich nach Achan | |
Nakabugo, die sich jedoch mutmaßlich im Nachbarland Ruanda aufhält. Bei den | |
Verhandlungen mit ugandischen Offiziellen half der Dissidentin Nakabugo | |
nicht nur ihr Rechtsstudium, das die Menschenrechtlerin in Kampala und | |
Nairobi absolvierte, sondern auch der Notvorrat von 100-Dollar-Noten, den | |
sie ins Futter eingenäht im Reisegepäck Favershams fand. Bloß mit ihrer | |
neuen Profession hadert die Mittvierzigerin im farbenprächtigen | |
Wickelkleid. „Charity Consultant“, liest Nakabugo etwas ratlos von einer | |
gediegenen Visitenkarte ab. Dann zieht sich die Anwältin mit ihrem | |
Visagisten in ihre Gemächer zurück, um eine weitere Gurkenmaske auflegen zu | |
lassen. „Ich muss auf meinen Teint achten“, grinst sie. „Jetzt, wo ich we… | |
bin!“ | |
## Massive Probleme in Ruanda | |
Als „weiß“ bezeichnet sich auch ein von der Äquatorsonne hummerrot | |
gekochter Mann, der einige hundert Kilometer entfernt einen Beamten in der | |
ruandischen Hauptstadt Kigali auf Englisch belehrt, dass man mit Menschen | |
dieser Hautfarbe eben nicht so umspringen könne. „Wissen Sie überhaupt, wen | |
sie vor sich haben?“, krakeelt der Viscount von Bellingham und | |
Thurstoft-upon-Limey, der augenblicklich den britischen Botschafter zu | |
sprechen wünscht. | |
Auch wenn der Streifenpolizist Innocent Habimana wie viele Einwohner des | |
überwiegend französischsprachigen Ruanda kein Wort Englisch versteht, | |
identifiziert er den Mann anhand seiner Papiere schnell als abgeschobenen | |
Albaner aus Großbritannien. Während er den Unruhestörer abführt, fällt ihm | |
ein weiterer abgeschobener Habenichts aus Übersee auf. | |
„Ich rufe jetzt Mark Thatcher an, und dann putschen wir Sie und die ganze | |
Scheißregierung ihres Scheißlandes weg“, herrscht ein ebenfalls | |
englischsprachiger Mann eine Ladenbesitzerin an, die ihn partout nicht | |
verstehen oder gar ohne Entgelt telefonieren lassen will. | |
Der erwähnte Schulfreund des passionierten Trophäenjägers William D. | |
Isforth, der sich ohne Gepäck und einen Franc in der Tasche vom Flughafen | |
bis in die Innenstadt von Kigali durchgeschlagen hat, verfügt tatsächlich | |
über einschlägige Erfahrung, würde sich aber hüten, seinem Jagdkumpan aus | |
der Patsche zu helfen. Beim letzten Putschversuch auf dem schwarzen | |
Kontinent landete der glorios missratene Sohn der Eisernen Lady und Baronet | |
of Scotney schließlich selbst im afrikanischen Knast. | |
Genauso ergeht es nun dem ungehobelten Briten, dessen syrische Personalien | |
Habimana aufnimmt. Dort treffen die beiden aus Großbritannien Abgeschobenen | |
auf Achan Nakabugo, die auf ihre Ausweisung nach Uganda wartet. „Für | |
Menschen habe ich mich nie interessiert, ich habe immer bloß für | |
afrikanische Tiere gesammelt“, verteidigt sich die Charity-Lady gegen jeden | |
Vorwurf oppositioneller Umtriebe, scheitert aber an einer Mischung aus | |
Frankofonie und Desinteresse. | |
Über 6.000 Kilometer nördlich steht eine sichtlich angefressene britische | |
Innenministerin Priti Patel in der Hauptstadt des ehemaligen Empires vor | |
einer Weltkarte und erklärt ihren Mitarbeitern noch einmal den Unterschied | |
zwischen Ruanda und Uganda, dem Land, das ihre aus Indien stammenden Eltern | |
Anfang der sechziger Jahre verließen, um im United Kingdom ihr ersehntes | |
Glück zu suchen. | |
18 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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