Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Kapitulation bedeutet Tod
> Die Musik von Mariana Sadovska ist inspiriert von den Liedern aus
> ukrainischen Dörfern. Jetzt sammelt sie Spenden für Militärausrüstung der
> Ukraine.
Bild: Die ukrainische Sängerin Mariana Sadovska auf der Bühne bei der Frieden…
Als Erstes zeigt [1][Mariana Sadovska] auf ihrem Handy das Z, auf eine
Düsseldorfer Haustür gesprüht. Eine Freundin, Ukraine-Aktivistin wie sie
selbst, hat es ihr geschickt. Einer anderen Freundin, aus dem belgischen
Antwerpen, wurde das Auto mit dem Z beschmiert. [2][Die russischen
Putin-Unterstützer werden lauter], sagt Sadovska. In Bonn hatten sie
zuletzt offen für den russischen Tyrannen demonstriert.
Eben ist sie aus Hamburg zurück nach Köln gekommen. Morgen fährt sie nach
Tschechien, das Gespräch findet zwischen dem Umpacken der Koffer statt.
Anfang der Woche trat sie auch in Berlin auf, prominent bei der „Reihe
Kultur im Kanzleramt“. Im April wird sie in den USA sein, in Paris, aber
auch im Stadtgarten Köln oder am Schauspiel Köln. Fast täglich kommen neue
Anfragen hinzu.
Gerade hat Bernhard Hanneke, Leiter des größten deutschen Folkfestivals,
sie gebeten, im Juli ihr Programm im thüringischen Rudolstadt zu spielen.
Mariana Sadovkas Musik ist kraftvoll, ihre dunkle Stimme wühlt Emotionen
auf, scheut kein Pathos.
Sie bedient, fast sieht es aus wie körperliche Arbeit, dabei mehrere
traditionelle Instrumente zugleich, etwa ein rotes indisches Harmonium, das
auf dem Tisch liegt und bauchtiefe, wehmütig ziehende Klänge hervorbringt.
Auch Kleider und Tücher, die Mariana Sadovska auf der Bühne trägt, wirken
altertümlich und stylisch zugleich.
## Traditionelle Musik aus der Ukraine
Ihre Kompositionen sind inspiriert von traditioneller Musik aus der
Ukraine. Sie arrangiert sie zu gewaltigen Klangwelten, die rituell,
magisch, irgendwie allumfassend klingen. „Transtraditionell“ nennt
Mariana Sadovska, die sich auch als Musikethnologin begreift, ihre Musik.
Einst ist sie mit ihrer israelischen Freundin Viktoria Hanna und ihrem
Mann, dem Kölner Regisseur André Erlen, durch ukrainische Dörfer gefahren,
um alte Lieder zu finden und jüdische Orte zu besuchen. Jede Region hat
andere Melodien, die kaum je aufgezeichnet, aber mündlich weitergegeben
wurden – es gibt einen wunderschönen ukrainischen Dokumentarfilm darüber.
Darauf beruhen ihre heutigen Kompositionen.
„Mein Programm spielen? Nein“, lacht Sadovska, „ich möchte im Juli in
Rudolstadt mit 15 geflüchteten ukrainischen Künstler*innen auf der Bühne
stehen“. Etwa mit ihrer Freundin aus Donezk, der Sängerin Julia Kulinenko,
die gerade in Köln ankam. „Wenn ich sie einbinde, gelingt es uns während
der Konzerte noch schneller, Spenden zu sammeln“, sagt sie. Über 100.000
Euro seien so schon zusammengekommen. Mariana Sadovska wurde in Lviv,
Lemberg, geboren und hat an der Ludkevycz-Musikhochschule studiert. Seit
2002 lebt sie in Köln.
## Auf der Suche nach Wohnungen
Da klingelt während unseres Gespräches wieder das Telefon, der evangelische
Pfarrer Hans Mörtter ist dran. Sie suchen eine barrierefreie Wohnung für
Andrej Mai, Regisseur des Kiewer Nationaltheaters, der gestern mit seiner
Mutter im Rollstuhl und seinem Sohn im Kleinkindalter aus dem russisch
besetzten Cherson gekommen ist. Geflohen mithilfe einer israelischen NGO.
„Eigentlich hatte ich eine Wohnung für ihn, aber der Vermieter wollte eine
ukrainische Frau als Mieterin – als ob ein Mann mit Mutter und Kind nicht
genauso Schutz braucht“, schnaubt sie vor Wut.
Unermüdlich Solidaritätsauftritte zu absolvieren, Wohnungen in Köln zu
suchen und ihren geflüchteten Künstlerfreunden auf der Bühne Raum zu geben,
ist für sie dennoch nicht das Allerwichtigste. Die Künstlerin mit der
sanften Stimme redet nicht nur von humanitärer Hilfe, sondern auch von
militärischen Geräten, Dingen, die ein ziviler Verein wie das
[3][Gelb-Blaue Kreuz] Köln per Gesetz nicht sammeln darf.
## Nachtsichtgeräte und Schutzwesten
Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Militärschlafsäcke. Sadovska will der
Territorialverteidigung ihres Heimatlandes helfen: „Meine Freunde in der
Ukraine, Musiker, unfassbar viele Künstler kämpfen freiwillig mit Waffen –
dass sie das schutzlos tun müssen, macht mich verrückt.“ Wie auch ihr
Bassist Mark Tokar, mit dem sie bis vor Kurzem noch auf der Bühne stand.
Seit 2014 gibt sie bereits regelmäßig Solidaritätskonzerte für die Ukraine,
seit dem jetzigen Kriegsausbruch schläft Mariana Sadovska kaum noch, stellt
nie das Handy ab. „Ich hätte ein schlechtes Gewissen, [4][weil meine
Freunde in der Ukraine nicht abschalten können]. Ausruhen tue ich nach dem
Sieg. Wenn ich militärische Schutzausrüstung schicke, habe ich das Gefühl,
mit an der Front zu sein, so pathetisch das auch klingt“.
## Schutzwesten für den Krieg
Sonne scheint auf das begrünte Dach vor ihrem Balkon in Köln, Bücher und
Familiendinge liegen in der Wohnung herum, in einer Ecke stehen Kartons mit
olivgrüner Uniform. Ein Vater hat gerade das ausrangierte
Bundeswehr-Material seines Sohnes vorbeigebracht. Als Erstes hat sie
persönlich 20 Schutzwesten gekauft, im Bundeswehr-Online-Shop, rund 40
Funkgeräte und schneefeste Schlafsäcke dazu.
Zunächst hat sie mit Freund*innen in Secondhandläden oder auf Ebay
gesucht, dann in Polizei-Zubehör-Läden. Sie kaufte günstige Westen für 200
Euro, „aber die reichen nicht“, sagt Mariana. Nur die für 800 Euro seien
wirklich schusssicher, lernte sie. Nacht- und Wärmesichtgeräte kommen aus
Läden für Jagdzubehör.
„Die Funkgeräte habe ich während des Soundchecks im Hamburger
Thalia-Theater mit ein paar Clicks bezahlt“, sagt sie, deren Leben sich in
Multitasking-Wahnsinn verwandelt hat. Wenn das Gerät angekommen ist, wird
es in Lkws verladen, von Grenze zu Grenze gefahren, eine Kette, die
ebenfalls organisiert werden muss – mithilfe einer ukrainischen NGO.
Und, da es ihr vor allem um den Schutz von kämpfenden Künstlern geht, ist
der andere wichtige Kontakt ins Land die Ex-Kulturdezernentin von Lviv,
Iryna Podolyak, frühere Abgeordnete im ukrainischen Parlament, die für die
Verteilung sorgt. Und die unermüdlich dafür eintrat, die ukrainische
Kulturszene, die nach der Maidan-Revolution aufblühte, bekannter zu machen.
## Alles wird zerstört
„Mit 2014 gab es einen kulturellen Boom in der Ukraine“, sagt Sadovska,
„Theaterstücke, Bücher, Musik – es ist unfassbar was in acht Jahren alles
entstanden ist – und jetzt zerstört wird.“
Zu den Frauen, deren Lieder sie auf den Dörfern gesammelt hat, ist seit dem
Krieg der Kontakt abgebrochen. Auf die Frage, was sie dem Kölner
Salonphilosophen Richard David Precht entgegnen würde, der letztens
öffentlich Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte, reagiert sie
fassungslos und wünscht ihm einen Besuch in Mariupol.
Sie ist selbstverständlich für den kompletten Bann von russischem Gas und
die Einrichtung einer Flugverbotszonen. „Wenn wir Putin erlauben, zu
gewinnen, dann wird der Dritte Weltkrieg kommen, aber so richtig. Es geht
um den Kampf von Demokratie gegen Diktatur, Freiheit gegen Versklavung.
Eine Kapitulation würde für uns den Tod bedeuten“, sagt sie.
Und deshalb muss auch sie selbst immer und immer weitermachen. „Etwas
anderes würde ich mir nie verzeihen“, sagt sie – und eilt aus ihrer
Wohnung, zum nächsten Zug.
2 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ukrainischer-Musiker-Gurzhy-ueber-Krieg/!5840614
[2] /Gedenken-am-Sowjetischen-Ehrenmal/!5841628
[3] https://www.bgk-verein.de
[4] /Tagebuch-eines-Schriftstellers/!5840659
## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Musik
Flucht
Tradition
Spenden
Krieg
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Punk
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Krieg
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Soli-Konzert in Hamburg: Mit Musik gegen Putler
Eine Stunde Trost: Die ukrainische Band Dakh Daughters spielt in Hamburg.
Dafür reisen geflüchtete Landsleute auch von weit her an.
Drehbuchautor über ukrainischen Rock: „Das war antisowjetische Musik“
„Mustache Funk“ dokumentiert die ukrainische Rockszene in den 1970ern.
Drehbuchautor und DJ Witalij Bardezkyi über den Film – und den Krieg.
Punkband Pornofilmy über Russland: „Schlimmer als bergab“
Vladimir Kotlyarov und Alexandr Rusakov von der Punkband Pornofilmy über
gesellschaftliche Agonie in Russland, Repression und eine Farce vor
Gericht.
Antikriegslied von russischer Sängerin: Seufzen gegen den Krieg
Popstar Zemfira veröffentlicht das Lied „Ne Strelayte“ erneut. Es wird zur
Hymne der russischen Antikriegsbewegung.
Literatur über die Ukraine: Bücher im Krieg?
Schon vor der russischen Invasion stellte Serhij Zhadan fest: Krieg ist
nicht gemacht für Literatur. Warum man jetzt ukrainische Autoren lesen
sollte.
Ukrainischer Musiker Gurzhy über Krieg: „Andere Völker, gleiche Melodien“
Der Berliner Musiker Yuriy Gurzhy über Künstlerkollegen mit Waffen,
Gespenster der Sowjetunion und das Mantra von der Schlangeninsel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.