# taz.de -- Iranisch-israelische Band Sistanigla: Komponieren ohne Berührungs�… | |
> Das iranisch-israelische Ensemble Sistanagila zeigt seine kulturelle | |
> Vielseitigkeit erstmals im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. | |
Bild: Die Fünf von Sistanagila mit gemischtem Vorspeisenteller: Lecker | |
Vier von sechs Mitgliedern der Band Sistanagila sind in einer | |
Charlottenburger Musikschule zur Probe zusammengekommen. Yuval Halpern und | |
Mahjabin Kavari sitzen und diskutieren, während Bassist Avi Albers Ben | |
Chamo und Gitarrist Hemad Darabi geduldig zuhören. | |
Das Lied, das Yuval und Mahjabin gerade auf Hebräisch und Farsi gesungen | |
haben, hat offenbar auf seinem Weg von der einen in die andere Sprache eine | |
musikalische Adaption erfahren. Yuval vermisst in Mahjabins Interpretation | |
eine motivische Wiederholung, die in der ursprünglichen, hebräischen | |
Variante enthalten ist. | |
Mahjabin erklärt, dass der persische Satz, den sie singe, deutlich länger | |
sei als der hebräische Bibeltext, der ihrer Übersetzung zugrunde lag, | |
deshalb würde eine Wiederholung an dieser Stelle nicht passen. Gemeinsam | |
probieren sie die Varianten aus, fragen die anderen, was sie davon halten. | |
Beides okay, meint Gitarrist Hemad, und Bassist Avi, der sich später als | |
Komponist des Stückes outen wird, hält sich mit einer eigenen Meinung | |
zurück. | |
## Alles entsteht gemeinsam | |
Es ist eine offenbar recht typische Szene für die musikalische Arbeit des | |
iranisch-israelischen Ensembles. Stücke entstehen grundsätzlich in | |
Gemeinschaftsarbeit. Fast alle Ensemblemitglieder komponieren selbst, | |
bringen Ideen oder Stücke in den Arbeitsprozess ein, im Zuge dessen Dinge | |
dann adaptiert und weiterentwickelt werden. | |
Sogar während der Coronalockdown-Phasen hätten sie so gearbeitet. Gemeinsam | |
komponiert wurde dann eben über Zoom, „aber das war ganz schrecklich“, | |
erinnert Yuval Halpern sich. „Wir haben drei Monate für Dinge gebraucht, | |
die wir sonst in drei Proben machen.“ | |
An diesem Abend im Probenkeller sind es noch knapp zwei Wochen hin bis zu | |
Sistanagilas erstem Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie am 1. | |
April: Die Band ist angekommen in einer der heiligen Hallen der Hochkultur. | |
Erst vor Kurzem ist die lange Coronadurststrecke zu Ende gegangen; nun sind | |
die MusikerInnen froh und dankbar für das Kulturförderprogramm des Bundes, | |
das es ihnen ermöglicht, auf hohem Niveau wieder ins Konzertleben | |
einzusteigen. | |
## Traditionelle Wurzeln | |
Für das kommende Konzert konnte Guy Braunstein, ehemals Konzertmeister der | |
Berliner Philharmoniker, als Gast gewonnen werden. Eine spannende | |
Herausforderung; ist doch Braunstein ein klassischer Geiger, wie er im | |
Buche steht, während die Musik, die Sistanagila normalerweise macht, sich | |
nicht in erster Linie auf die klassische europäische Tradition bezieht, | |
sondern sehr stark auf die volkstümlichen musikalischen Wurzeln der beiden | |
Länder der Bandmitglieder: Israel und Iran. | |
Babak Shafian, Berliner mit iranischen Wurzeln und damals noch kein | |
Vollzeitmusikmanager, sondern Informatiker von Beruf, hatte vor etwa | |
fünfzehn Jahren die Idee, eine Band mit iranischen und israelischen | |
MusikerInnen zusammenzubringen. Im Jahr 2010 schließlich, als er den | |
israelischstämmigen Musiker Yuval Halpern kennenlernte, wurde es dann | |
ernst. | |
Halpern, der die musikalische Leitung des Ensembles übernahm, schrieb eine | |
Art Gründungskomposition für die Gruppe, die auch zu ihrem Namen wurde: | |
„Sistanagila“ ist eine bilinguale Neuschöpfung, deren zweiter Bestandteil | |
aus dem hebräischen All-time-favourite „Hava Nagila“ entliehen ist. Der | |
erste Bestandteil leitet sich von der Provinz Sistan im Südosten des Iran | |
her. Als Hommage an persische Musiktraditionen schrieb Halpern | |
„Sistanagila“ im 11/8-Takt. „Es war aber kein besonders gutes Stück“, … | |
er selbstkritisch; die Band spiele es schon lange nicht mehr. | |
Überhaupt: Ein paar Nummern aus den frühen Jahren hätten sie zwar schon | |
noch im Repertoire, aber ihr hauptsächlicher Fokus liege darauf, immer | |
wieder etwas Neues zu machen. Für das bevorstehende Konzert mit [1][Guy | |
Braunstein] haben sie eine zwanzigminütige Suite komponiert und sie, frei | |
nach Vivaldi, „Die Jahreszeiten“ genannt. Klassische und folkloristische | |
Elemente sollen darin eine Symbiose eingehen. | |
Musikalische Berührungsängste sind der Band ohnehin gänzlich fremd, kommen | |
doch all ihre Mitglieder auch künstlerisch aus ganz verschiedenen Welten. | |
[2][Yuval Halpern] ist eigentlich, wie er selbst sagt, in der klassischen | |
Ecke bzw. der Welt der Neuen Musik zu Hause und hat ein Kompositionsstudium | |
absolviert. | |
Mahjabin Kavari erzählt, dass sie im Iran Operngesang studierte, bevor sie | |
nach Berlin kam, um an der UdK die Aufnahmeprüfung als Geigerin abzulegen. | |
„Ich habe auch bestanden“, lächelt sie; aber begonnen habe sie das Studium | |
nie, weil ihr das Singen wichtiger war. Zu Sistanagila kam sie mit Geige | |
und blieb als Sängerin. | |
Aus einer völlig anderen musikalischen Heimat stammt ihr Landsmann, der | |
Gitarrist [3][Hemad Darabi], der im Iran unter anderem in einer Heavy Metal | |
Band spielte und nach einem nicht genehmigten | |
Sisters-of-Mercy-Coverversion-Konzert schon einmal vorübergehend im | |
Polizeigewahrsam landete. | |
Der israelische Kontrabassist Avi Albers Ben Chamo wiederum begann seine | |
Berliner Karriere mit einer Straßen-Jazzband, beschäftigt sich seit einiger | |
Zeit aber intensiv mit klassischer Musiktheorie und lässt sich für seine | |
Kompositionen vom Bachschen Kontrapunkt inspirieren. Der iranische | |
Percussionist Jawad Salkhordeh und der israelische Saxofonist Omri Abramov, | |
an diesem Probenabend beide nicht dabei, komplettieren die Gruppe. | |
Das Ensemble habe sich mittlerweile gut etabliert, sagt Yuval Halpern, man | |
sei viel unterwegs – gerade jetzt mehr als jemals zuvor, weil so viele | |
abgesagte Konzerte endlich nachgeholt werden könnten und müssten. Aber | |
natürlich träumen sie davon, nicht nur in Europa aufzutreten, sondern den | |
Geist iranisch-israelischer Musikfreundschaft auch in ihre Herkunftsländer | |
zu tragen. | |
Daniel Barenboim ist ihr großes Vorbild, der mit seinem | |
palästinensisch-jüdischen West Eastern Diwan Orchestra Konzerte in Israel | |
und den palästinensischen Gebieten gegeben hat. „Unser großer Traum ist | |
natürlich eine Tournee durch Israel und den Iran“, erklärt Yuval Halpern | |
und grinst ein wenig. „Wenn wir alle deutsche Pässe hätten, wäre das | |
theoretisch sogar durchführbar.“ | |
31 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=700wzgTw1vE | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=aybk5gOFpgs | |
[3] https://www.instagram.com/p/CInAc8ZKRNm/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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