# taz.de -- Fotografien aus BRD und DDR: Alltag mit Zukunftsangst | |
> Die Schau „Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fernen Land“ im | |
> Bonner Landesmuseum schlägt unfreiwillig eine Brücke ins Heute. | |
Bild: Die zweiten „Chaostage“ in Hannover im Jahr 1984 | |
In Genf findet die Weltklimakonferenz statt, in fünf europäischen | |
Mitgliedsstaaten werden neue Atomraketen zum Schutz vor den Russen | |
aufgestellt und durch die kriegsbedingte Ölpreiskrise streitet Deutschland | |
um Tempolimits, autofreie Sonntage und eine alternative Energieversorgung – | |
auch mittels Atomkraft. | |
All das sind Nachrichten aus dem Jahr 1979 – aber sie klingen schrecklich | |
aktuell. Denn vieles mag sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert | |
haben, aber eben nicht alles. Und manchmal scheint sich Geschichte auch | |
einfach zu wiederholen. | |
Vor diesem Hintergrund werden die Besucher der [1][gerade in Bonn | |
eröffneten Ausstellung „Deutschland um 1980 – Fotografien aus einem fernen | |
Land“] vielleicht das ein oder andere Déjà-vu-Erlebnis haben. Anhand von | |
sieben fotografischen Positionen entführt sie uns zurück in diese längst | |
vergangene Zeit und wer von der unterschiedlichen Mode der damaligen Zeit | |
absieht, wird vielleicht mehr Gemeinsames als Trennendes finden. | |
So sehen wir Angela Neukes Fotos aus einer der ersten McDonald’s-Filialen | |
in Deutschland, eine Homestory über den Sänger Roberto Blanco und Fotos von | |
der Wahlparty der Grünen nach ihrem Einzug in den Bundestag 1983. Das war | |
damals genauso eine Sensation wie es vor einem Jahr möglich erschien, dass | |
Deutschland eine Grüne zur Bundeskanzlerin wählt. Dazu ist es nicht | |
gekommen und stattdessen müssen sich Grüne und ihre Wähler heute mit dem | |
Dilemma zwischen eigenem Anspruch und Realpolitik herumschlagen. | |
## Politiker lachen selten | |
Die Bildjournalistin Neuke zeigt uns aber auch einen lachenden | |
US-Präsidenten Ronald Reagan, der von einem ebenfalls lachenden deutschen | |
Bundeskanzler Helmut Kohl beim Weltwirtschaftsgipfel 1985 in Bonn begleitet | |
wird. Diese Fotos fallen allein deshalb schon auf, weil sie zu den wenigen | |
Farbfotos in der von Schwarz-Weiß dominierten Ausstellung gehören. Aber | |
auch deshalb, weil Politiker auf Fotografien ohnehin nur selten lachen. | |
Provoziert fühlen wird sich vielleicht manch älterer Besucher beim Anblick | |
von Neukes kurzer Beerdigungssequenz: Am 25. Oktober 1977 hatte sie die | |
Beisetzung des von der RAF getöteten Hanns Martin Schleyer fotografiert – | |
und fast nahtlos folgen darauf ihre Fotos der Beisetzungen der | |
RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, die nur | |
zwei Tage später und ebenfalls in Stuttgart stattfanden. | |
Historisch gesehen sind diese Ereignisse eng miteinander verbunden, | |
moralisch möchten manche den Tod des einen nicht mit dem Tod der anderen | |
gleichstellen. Doch worum es dem Kuratoren-Team möglicherweise wirklich | |
geht, ist die Darstellung der Trauer und der Verzweiflung bei den | |
Hinterbliebenen, denn diese ist – egal, wie man persönlich zu den | |
Ereignissen stand oder steht – auf beiden Seiten die gleiche. | |
Doch nicht alle Arbeiten sind so politisch aufgeladen. Es gibt auch | |
humorvolle und – das bleibt bei Ausstellungen mit historischen Fotografien | |
kaum aus – nostalgische Begegnungen. | |
## Solarium und Tischdecke | |
Hans-Martin Küsters zeigt uns elegante Ball-Gäste am Buffet und | |
(Zwillings-?)Schwestern, die mit Solarium-Schutzbrillen in der Sonne liegen | |
und die der legendäre Magnum-Fotograf Hans-Martin Küsters fast genauso auch | |
aufgenommen hat – allerdings Jahre später und in den für ihn typischen | |
grellen Farben statt in Schwarz-Weiß. | |
Staubtrocken und vielleicht gerade deshalb komisch wirken seine Ansichten | |
aus deutschen Wohnzimmern im Jahr 1976. Fast möchte man sich bei dem | |
Überangebot an Mustern auf der Tapete, den Vorhängen, den Kissen, | |
Tischdecken, Blumen und sonstigen Stehrümchen dafür bedanken, dass der 2014 | |
verstorbenen Küsters die Bilder nicht in Farbe aufgenommen hat – es wäre | |
wohl kaum auszuhalten gewesen. | |
Spannend, weil unverhofft ist die Wahl des Fotografen [2][Mahmoud Dabdoub] | |
in der Ausstellung. Der Libanese kam 1981 nach Ostdeutschland und blickte | |
als Fremder auf diese für ihn neue Welt. Wir sehen einfache Arbeiter auf | |
der Straße, Jugendliche beim Knutschen, eine auf einem Klavier liegende | |
Studentin, Kinder beim Skateboarden und einen gefährlich schräg | |
aufgebockten Trabant. Dabdoub ist ein Chronist dieser Zeit. Was für die | |
Deutschen Alltag war, war für ihn fast alles ungewöhnlich und genau deshalb | |
fotografierwürdig. Heute können wir es ihm danken. | |
## Jogginghose und Hitlergruß | |
In diese Kategorie fällt teilweise auch der vor wenigen Wochen verstorbene | |
Martin Langer. Seine wohl berühmteste Aufnahme vom „hässlichen Deutschen“, | |
der im Fußball-Nationaltrikot und mit vollgepisster Jogginghose den Arm zum | |
Hitlergruß gehoben hat, während ein Mob die Zentrale Aufnahmestelle für | |
Asylbewerber angreift, ist in der Ausstellung freilich nicht zu sehen, weil | |
es erst 1992 entstanden ist. | |
Dafür zeigt die Ausstellung seine Bilder aus Gorleben und von den Protesten | |
und Blockaden gegen die Castor-Transporte. Darunter ist ein Foto zu sehen, | |
wie Polizisten eine Gruppe von Demonstranten einkreist – auf einer gerade | |
gerodeten Fläche, während im Hintergrund der Wald beginnt. Obwohl 1984 | |
aufgenommen, könnte es genauso gut von den jüngsten Ereignissen im | |
Hambacher Forst stammen. | |
Bedrohlich-absurd ist auch Langers Foto von einem Panzer des | |
Nato-Herbstmanövers, der an einem eher ländlich wirkenden deutschen | |
Backsteinhaus vorbeifährt: Zwei Anwohner stehen auf der Straße und hinter | |
den Fenstern mit den typischen Gardinen schauen sich ebenfalls ein Mann und | |
ein Kind das ungewöhnliche Treiben an. Trotz der 38 Jahre, die seit der | |
Aufnahme vergangen sind, spiegelt es doch auch die Bedrohungen und | |
Befürchtungen der Gegenwart wider. | |
Was ebenfalls erwähnt werden sollte: Die Ausstellung beschränkt sich nicht | |
auf den westdeutschen Blick, sondern zeigt ganz selbstverständlich auch | |
Fotografien aus der DDR, ohne jedoch in alte Ost-West-Klischees zu | |
verfallen. | |
Im Gegenteil: Während Mahmoud Dabdoub 1984 Punks in Leipzig fotografierte, | |
sehen wir von Hans-Martin Küsters trostlose Straßenansichten und spießige, | |
sorry: traditionelle Schützenfestumzüge in Westdeutschland. Manchmal geht | |
der Punk eben dort ab, wo man ihn am wenigsten erwartet. Auch das kann eine | |
Erkenntnis der Ausstellung sein – neben vielen weiteren. | |
29 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://landesmuseum-bonn.lvr.de/de/ausstellungen/aktuell/deutschland_um_19… | |
[2] http://www.dabdoub.de/ | |
## AUTOREN | |
Damian Zimmermann | |
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