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# taz.de -- Russland will Fußball-EM ausrichten: Zu Gast bei Feinden
> Die russische Bewerbung für die Fußball-EM folgt der Logik der
> vergangenen Jahre. Am Beispiel Katar sieht man, wie relativ Haltungen
> sind.
Bild: Unbeirrt: Putin und der russische Fußballverband wollen mithilfe des Spo…
Wollte die katarische Regierung ihre Macht ausspielen, dann hätte sie den
grünen Politiker Robert Habeck Anfang dieser Woche gewiss zu einem
Stadionbesuch bei der diesjährigen Fußball-WM verpflichten können. Der
Wirtschaftsminister hätte diesen Wunsch [1][bei seiner Mission], sich vom
Kriegstreiber Russland unabhängig zu machen, also bei den Verhandlungen um
eine Energiepartnerschaft mit dem modernen Sklavenhalterstaat Katar, wohl
kaum abschlagen können.
Vergangenen Sommer noch hatte seine Parteikollegin Annalena Baerbock im
Wahlkampf Haltung angemahnt. Anlass war allerdings die katarische
Unterstützung der Taliban in Afghanistan. Sollte sich daran nichts ändern,
müsse das Turnier boykottiert werden, forderte sie.
Haltungsfragen sind den Einflüssen der weltpolitischen Konjunktur
unterworfen und so werden die Freunde der Taliban und der Unterdrückung von
Arbeitsmigranten, obwohl sie sich kaum gerührt haben, plötzlich anders
begutachtet. Es geht nun um ökonomische Gesichtspunkte und nationale
Interessen.
Pech für die Menschen aus Bangladesh, Indien, Nepal und anderen Ländern,
die sich im Wüstenemirat teils zu Tode schuften. Ihre Aktien sind gesunken,
die der Fußball-WM-Macher mächtig gestiegen. Fifa-Chef Gianni Infantino
darf sich freuen, dass selbst schärfste Kritiker jetzt seinem Beispiel
folgen und Katar hofieren.
## Trotzig fortgesetzte Strategie
Zeitgleich mit dieser moralischen Relativierung zeigt die internationale
Sportgemeinschaft Haltung gegenüber Russland und Belarus. Diese Woche hat
der Schwimm-Weltverband Fina als einer der letzten Organisationen in
Reaktion auf den Angriffskrieg in der Ukraine russische und belarussische
Sportler:innen von seinen Wettbewerben ausgeschlossen. In der
internationalen Sportgemeinschaft sind beide Länder nahezu komplett
isoliert.
Dass in dieser Lage, Russland seine Bewerbung für die
Fußball-Europameisterschaft 2028 oder 2032, die zusammen vergeben werden,
eingereicht hat, ist ein bemerkenswertes Statement. Man kann es als
strategisches Manöver lesen, bei dem die miteinkalkulierte Absage die
eigene Opfererzählung bestärken soll, die westlichen Interessenvertreter
würden auch im Sport aus rein russophoben Motiven handeln.
Vielleicht ist es aber auch einfach die trotzige und unbeirrte Fortsetzung
der Strategie der letzten Jahre, mithilfe des Sports und auch als
potentieller Veranstalter von Großevents staatliche Stärke zu
demonstrieren. Vielleicht ignorieren die russischen Fußballfunktionäre und
Machtelite, der Verbandschef Alexander Djukow ist zugleich
Vorstandsvorsitzender von Gazprom Neft, demonstrativ die neu erwachsene
moralische Haltung des Weltsports, weil sie auf äußerst wackligen Beinen
steht.
Im Widerspruch etwa zur Praxis der vergangenen Jahre, als die russische
völkerrechtswidrige Annexion der Krim sich mit einer Fußball-WM-Party im
eigenen Lande verbinden ließ. Im Widerspruch [2][zur Vergabe der
Olympischen Winterspiele an China], deren Vorgehen gegen die Uiguren in
einigen Ländern als kultureller Genozid eingestuft wird. Im Widerspruch
eben auch zur Vergabe der WM nach Katar, das nun Menschenrechtsverletzungen
mit Flüssiggasexporten verrechnen kann.
Die EM-Bewerbung Russlands ist nicht „jenseits von Satire“ zu verorten, wie
Englands Premierminister Boris Johnson spottete. Sie folgt der Logik der
vergangenen Jahre. Jenseits von Satire hätte wohl mancher vor Kurzem noch
einen Besuch Robert Habecks bei der WM in Katar verortet. Spätestens mit
dieser Woche ist die Lage eine andere.
25 Mar 2022
## LINKS
[1] /Robert-Habeck-zu-Besuch-in-Katar/!5842662
[2] /CDU-Menschenrechtsexperte-ueber-Olympia/!5830673
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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Russland
Katar
Belarus
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Kolumne Press-Schlag
Eiskunstlauf
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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