| # taz.de -- CDU-Menschenrechtsexperte über Olympia: „Wer schweigt, macht sic… | |
| > Das IOC mache sich zum Komplizen einer Diktatur. Auch die deutsche | |
| > Wirtschaft stelle Absatz über Menschenrechte, sagt CDU-Politiker Michael | |
| > Brand. | |
| Bild: VW-Angestellte posieren anlässlich der Produktion des ersten New Santana… | |
| taz: Herr Brand, haben Sie sich die Eröffnungsfeier der Olympischen | |
| Winterspiele im Fernsehen angeschaut? | |
| Michael Brand: Ich bin echt sportbegeistert, und ich schaue mir eigentlich | |
| auch gerne olympische Eröffnungen an. Aber mit der Vergabe in diesem Jahr | |
| an Peking haben die Spiele ihre Unschuld verloren, das IOC verrät die | |
| olympische Idee. Also habe ich mir diese Inszenierung nicht angesehen. | |
| Allein der Versuch, das enorm brutale Vorgehen des Regimes Xi Jinping gegen | |
| die Uiguren dadurch unterdrücken zu wollen, dass die letzte Fackel-Läuferin | |
| ausgerechnet eine Uigurin war, macht deutlich, wie skrupellos, auch einfach | |
| zynisch dieses Regime ist. Ich drücke unseren deutschen Sportlern die | |
| Daumen. Die sind auch Opfer des IOC, und ich wünsche ihnen, dass sie trotz | |
| Problemen bei Corona und Quarantäne dennoch viel Erfolg haben. | |
| Was konkret kritisieren Sie am Internationalen Olympischen Komitee? | |
| Die Fehler sind nicht erst 2021 oder 2022 entstanden, sondern wir erleben | |
| schon seit einiger Zeit, dass sportliche Großveranstaltungen von | |
| autoritären Staaten genutzt werden, um sich ein besseres Image zu geben. | |
| Bislang hat es noch kein anderes Land geschafft, dass sowohl die Sommer- | |
| als auch die Winterspiele an eine Hauptstadt gehen. Das hat China dank des | |
| IOC nun erreicht. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Regime in | |
| Peking mit äußerster Brutalität sowohl im Inneren als auch im Äußeren | |
| vorgeht, die Demokratiebewegung in Hongkong niederknüppelt, Taiwan mit | |
| Krieg droht und in der Provinz Xinjiang Hunderttausende Uiguren in | |
| Internierungslager steckt. | |
| Das IOC und der jetzige Präsident Thomas Bach haben schon 2008 gesagt: Die | |
| Spiele seien eine gute Gelegenheit, über Menschenrechtsverletzungen zu | |
| sprechen und auf diese Weise Wandel zu bringen. | |
| Ja, und er lag damals schon falsch. [1][Die Menschenrechtslage ist nicht | |
| nur gleich schlecht geblieben, sondern dramatisch schlimmer geworden.] Das | |
| Wichtigste an den Olympischen Spielen sind neben dem Sport aber auch Werte | |
| wie Frieden und Verständigung. Peking steht derzeit für das Gegenteil. | |
| Bei den Spielen vor 14 Jahren hatte man noch den Eindruck, das IOC pocht | |
| auf die Einhaltung der Olympischen Charta, etwa das Recht auf freie | |
| Meinungsäußerung und die Bewahrung der Menschenwürde. Das scheint dieses | |
| Mal kein Thema mehr zu sein. Ist China auch für das IOC zu mächtig | |
| geworden? | |
| Schon bei der Vergabe 2015 an Peking hatte das IOC viele Punkte gar nicht | |
| mehr eingefordert. Spätestens seit 2017 weiß die Welt von den | |
| Internierungslagern in Xinjiang. Da hätte das IOC Konsequenzen ziehen | |
| müssen. So viel Entscheidungsspielraum gibt es im IOC schon noch. Als die | |
| Olympischen Spiele 1936 in Berlin stattfanden, hatte die Welt die Illusion, | |
| man könnte den nach innen brutalen und nach außen aggressiven | |
| Nationalsozialismus bändigen. Wir wissen, dass das nicht passierte. Ich | |
| kann nur sagen: Das IOC macht sich erneut zum Komplizen einer brutalen | |
| Diktatur. Wer schweigt, macht sich schuldig. Ein Deutscher wie Thomas Bach | |
| müsste das besonders gut wissen. | |
| Hat die deutsche Politik denn keinen Kontakt zu Thomas Bach? | |
| Wir Parlamentarier im Bundestag, die sich mit Menschenrechten beschäftigen, | |
| haben die Sportverbände mehrfach auf die Probleme hingewiesen. Mein | |
| Eindruck ist: Um nicht zu schlecht dazustehen, wird zwar etwas unternommen. | |
| Aber nur das absolute Minimum. Ein tibetischer Dokumentarfilmer hatte 2008 | |
| eine Dokumentation über die Repressionen in Tibet gedreht. Vier Jahre war | |
| er dafür in Haft, wurde gefoltert, seine Familie in Sippenhaft genommen. Er | |
| lebt heute in den USA. Vor Kurzem war er in Berlin und führte ein Gespräch | |
| mit dem Deutschen Olympischen Komitee. Im Anschluss daran habe ich mit dem | |
| Filmemacher gesprochen. Er habe sich nicht wirklich ernst genommen gefühlt, | |
| erzählte er. Die Funktionäre hätten sich nicht für seine Erfahrungen | |
| interessiert. In der Öffentlichkeit zeigt sich der Verband interessiert. | |
| Nach innen aber schaut er weg und akzeptiert die brutale Unterdrückung, die | |
| in China stattfindet. | |
| Was bedeutet ein solches Verhalten für den Sport? | |
| Ich glaube, auf diese Weise werden die Olympischen Spiele an die Wand | |
| gefahren. Natürlich widert es auch immer mehr Sportlerinnen und Sportler | |
| an, dass das IOC die Spiele zu einem reinen Instrument von Kommerz und | |
| Macht verkommen lässt. Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die | |
| Einhaltung der Menschenrechte spielen auch unter Sportlern eine große | |
| Rolle. Und auch das Publikum fühlt sich belogen. Das IOC muss endlich einen | |
| Kurswechsel vornehmen. | |
| Von der Bundesregierung haben Sie im Vorfeld dieser Spiele einen | |
| diplomatischen Boykott gefordert. Was sind die Gründe? | |
| China stellt eine größere Gefahr für die Welt dar als die Sowjetunion. Dass | |
| Xi zur Eröffnung Wladimir Putin als ersten Staatsgast empfangen hat, um den | |
| Eröffnungstag zur gemeinsamen Agitation gegen den freien Westen zu nutzen, | |
| passt ins Bild: Da haben sich die derzeit wichtigsten Autokraten der Welt | |
| inszeniert, wobei Putin natürlich der kleine Juniorpartner ist. Dieses | |
| symbolische Treffen der beiden zeigt nur noch mehr, wie wichtig es für die | |
| freien Gesellschaften ist, nicht länger zu zaudern, sondern deutliche | |
| Signale zu setzen. Dazu gehört auch der Boykott. Dass die neue | |
| Bundesregierung sich nicht einmal zu einem diplomatischen Boykott | |
| durchringen konnte, ist ein Zeichen von Schwäche und ein Fehler. Andere | |
| Länder haben das mit Bedacht getan. Sportler sollen an Sportereignissen | |
| teilnehmen, aber ein diplomatischer Boykott wäre möglich und das Mindeste | |
| gewesen. | |
| Ist das nicht reine Symbolpolitik? | |
| Natürlich ist ein diplomatischer Boykott auch ein Symbol. Aber gerade | |
| Symbole sind autoritären Regimen wie China extrem wichtig. Ich erlebe ja, | |
| wie die chinesische Führung versucht, jegliches Zeichen von Solidarität, ob | |
| es Flaggen oder Demos sind, zu unterdrücken. Symbole sind sicherlich nicht | |
| die alleinige Antwort auf ein brutales und aggressives Regime. Aber wir | |
| haben mittlerweile auch Unternehmen, die starke Verbündete beim Thema | |
| Menschenrechte sind und differenzierte Papiere auf den Weg bringen, etwa | |
| der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie, d. Red.), weil sie | |
| beobachten, dass auch Mitarbeiter von deutschen Unternehmen, die sich zum | |
| Beispiel mit der Demokratiebewegung in Hongkong solidarisieren, unter Druck | |
| gesetzt werden. Dass Außenministerin Annalena Baerbock von | |
| werteorientierter Außenpolitik spricht, dann aber Kanzler Olaf Scholz ihre | |
| Aussagen wieder einsammelt, ist wirklich ein Kotau. Ich frage mich: Welche | |
| Haltung hat der Bundeskanzler überhaupt? | |
| Die gleiche Frage könnte man der Vorgängerregierung stellen, an der Ihre | |
| Partei beteiligt war. | |
| Angela Merkel war immerhin eine der wenigen europäischen Regierungschefs, | |
| die die Menschenrechtsverletzungen in China überhaupt noch angesprochen | |
| haben. Aber es stimmt, ich habe auch unter der Vorgängerregierung | |
| kritisiert, dass wir angesichts der Unterdrückung, die immer brutaler | |
| geworden ist in China, eine andere Gangart brauchen. Leider wird die Lage | |
| immer schlimmer. Und da kann die Vorgängerregierung keine Entschuldigung | |
| sein. Scholz war über viele Jahre Vizekanzler. Ich höre von diesem Mann | |
| nichts zu den Internierungslagern, den brutalen Menschenrechtsverletzungen. | |
| Mein Eindruck ist sogar, dass er der Außenministerin Steine in den Weg legt | |
| für ihre klare Positionierung. Beim Thema Menschenrechte ändert sich meine | |
| Haltung nicht, egal, ob meine Partei in der Regierung ist oder in der | |
| Opposition. | |
| Ist dieses Vorgehen wirklich verwunderlich? Im SPD-Stammland Niedersachsen | |
| sitzt schließlich Volkswagen, das inzwischen fast die Hälfte seiner | |
| Fahrzeuge in China verkauft. Das Land Niedersachsen ist an VW sogar | |
| beteiligt. | |
| Deutschland hat natürlich ein Interesse an guten wirtschaftlichen | |
| Beziehungen mit China. Die Frage ist aber, ob wir nur noch die Wirtschaft | |
| im Blick haben und alles andere unterordnen? Nein, das darf nicht die | |
| Antwort sein. Gerade weil wir als größte europäische Volkswirtschaft auch | |
| in China so präsent sind, sollten wir unsere Einflussmöglichkeiten nutzen. | |
| Das könnte die deutsche Wirtschaft aber teuer zu stehen kommen. | |
| Natürlich müssen wir auch bereit sein, einen Preis zu zahlen, sonst | |
| rutschen wir immer mehr in Abhängigkeiten. Sie nennen das Beispiel VW: | |
| Volkswagen hat auf Druck der chinesischen Führung ein Werk in der | |
| Provinzhauptstadt von Xinjiang errichtet. Quasi in unmittelbarer | |
| Nachbarschaft stehen dort jetzt Internierungslager. So weit hätte es nie | |
| kommen dürfen. Ich habe eben von Menschenrechten gesprochen, von | |
| Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit, von unseren Werten. Heißt das am Ende, | |
| um unsere Absätze und Exporte nicht in Gefahr zu bringen, werfen wir diese | |
| Werte einfach über Bord? | |
| Aber was fordern Sie konkret? | |
| Ich fordere VW und auch Siemens zu mehr Transparenz auf. Was ist eigentlich | |
| vereinbart worden an strategischer Kooperation zwischen VW und China? Kann | |
| Wolfsburg wirklich ausschließen, dass in Xinjiang in den Lieferketten keine | |
| Zwangsarbeit involviert ist? Was hat Siemens beim Ausbau der digitalen | |
| Überwachung für Verträge mit dem chinesischen Staat vereinbart? Wegschauen | |
| ist eine Schande für Siemens und auch für VW und damit leider auch für | |
| unser Land. Gerade deutsche Unternehmen tragen eine besondere | |
| Verantwortung, wenn in ihrem Geschäftsumfeld ein Völkermord begangen wird. | |
| 7 Feb 2022 | |
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