# taz.de -- Queere Sportler bei Olympia: Beargwöhntes Anderssein | |
> Bei den Pekinger Winterspielen nehmen 36 offen homosexuelle Spieler teil. | |
> Aus China ist keiner dabei. Das verwundert kaum. | |
Bild: Outing mit Folgen: Fußballnationalspielerin Li Ying durfte nicht zu den … | |
Als erster chinesischer Profisportler trat [1][Xu Jingsen] aus dem Schatten | |
heraus. 2018 veröffentlichte der Surfer im sozialen Netzwerk Weibo ein | |
Foto, das ihn auf einer Welle zeigt. Im Hintergrund: eine Regenbogenflagge. | |
„Ja, ich bin schwul“, schrieb Xu. „Heute bin ich mutig, mein wahres Ich zu | |
sein, und ich betrachte das als das größte Geschenk.“ Wenige Wochen später | |
trug Xu Jingsen während der Eröffnungsfeier der Gay Games 2018 in Paris die | |
chinesische Fahne. Fast siebzig Sportler chinesischer Herkunft nahmen an | |
diesem queeren Festival teil. Sie treiben Sport meist in ihrer Freizeit – | |
in den chinesischen Staatsmedien spielen sie keine Rolle. | |
Mehr als 180 offen homosexuelle Sportler nahmen an den Olympischen | |
Sommerspielen in Tokio teil. Nun bei den Winterspielen in Peking sind es | |
immerhin 36. In beiden Fällen ist das ein Rekord, das haben Aktivisten der | |
US-amerikanischen Internetplattform Outsports recherchiert. „Immer mehr | |
Athleten gehen an die Öffentlichkeit und machen anderen Menschen Mut“, sagt | |
Anne Lieberman von der NGO Athlete Ally: „Doch aus dem | |
bevölkerungsreichsten Land ist kein offen queerer Sportler bei Olympia | |
dabei.“ | |
Nach Schätzungen sind in China rund siebzig Millionen Menschen schwul, | |
lesbisch, bi- oder intersexuell. Die Gesetzgeber haben Homosexualität 1997 | |
entkriminalisiert und 2001 von der Liste der „psychischen Krankheiten“ | |
gestrichen. Ein Antidiskriminierungsgesetz existiert nicht, in den | |
vergangenen Jahren galt: Homosexualität wird geduldet, so lange sie im | |
Privaten bleibt. Doch damit scheint es nun vorbei zu sein: Seit Sommer 2021 | |
haben Behörden Chatgruppen und Blogs mit LGBTQ-Themen gesperrt. Im November | |
gab eine der wichtigsten Gruppen, die „LGBT Rights Advocacy China“, dem | |
Druck nach und stellte ihre Arbeit ein. | |
## „Import aus dem Westen“ | |
„Die politische Führung bedient die Vorstellung, dass Homosexualität ein | |
Import aus dem Westen sei“, sagt der Sportsoziologe Tobias Zuser, der in | |
Hongkong lehrt. „Im Alltag werden traditionelle Geschlechterbilder stärker | |
betont.“ Die oberste Medienaufsicht kritisierte „verweichlichte Männer“ … | |
Videospielen und Sänger mit Make-up. | |
Auch der Sport wird im „Kulturkampf“ gegen den Westen in Stellung gebracht. | |
Populäre Fußballer erhielten Sperren, weil sie ihre Tätowierungen nicht | |
abgedeckt hatten. 2018 versammelte der Fußballverband fünfzig Jungprofis in | |
einem Militärcamp. 2019 erhielten die Fußballerinnen vor der WM Unterricht | |
mit dem Titel „Mutterland in meinem Herzen“. 2020 forderte das | |
Bildungsministerium von Schulen die Einstellung „pensionierter Sportler, um | |
die Männlichkeit der Schüler zu kultivieren“. In diesem Klima haben sich | |
neben Surfer Xu Jingsen nur wenige aus dem Sport geoutet. | |
Im Juni 2021 machte die Fußballnationalspielerin [2][Li Ying] ihre | |
Beziehung zu einer Influenzerin auf der Plattform Weibo öffentlich. Li Ying | |
erhielt Unterstützung, stieß aber auch auf Ablehnung. Kurz darauf war ihre | |
Mitteilung im Netz verschwunden. Für Monate lang wurde die Stürmerin nicht | |
ins Nationalteam berufen und verpasste das olympische Turnier in Tokio. Ob | |
sie bestraft werden sollte, ist unklar. Mittlerweile hält sie ihre | |
Beziehung aus der Öffentlichkeit heraus. Im September 2021 ging dann die | |
Volleyballerin Sun Wenjing mit einem Coming-out an die Öffentlichkeit – | |
zwei Jahre nach Ende ihrer Karriere. | |
Es ist noch nicht allzu lange her, dass queere Athleten auch in Europa und | |
Nordamerika beargwöhnt wurden. Doch immer wieder bot ihnen der Sport einen | |
Schutzraum. Der erste queere Sportverein Europas war 1980 der SC Janus in | |
Köln. Zwei Jahre später rief der US-Zehnkämpfer Tom Waddell in San | |
Francisco die Gay Games ins Leben. In diesem Jahr sollten die Gay Games | |
erstmals in Asien stattfinden, in Hongkong, doch wegen der Pandemie wurden | |
sie auf November 2023 verschoben. | |
„Die Hongkonger Regierung wollte nicht wirklich etwas mit den Gay Games zu | |
tun haben“, sagt Forscher Zuser. Einige Aktivisten setzen jedoch Hoffnung | |
in die Spiele. „Wir leben in einer sehr traditionellen Gesellschaft. | |
Sexuelle Vielfalt wird in Medien und Schulbüchern fast nie thematisiert“, | |
sagt der Jurist Wu Jian, der sich für Studien gerade im Ausland aufhält und | |
seinen richtigen Namen nicht nennen möchte. „Durch die Gay Games könnten | |
vor allem konservative Eltern sehen, dass wir keine Bedrohung für die | |
Gesellschaft darstellen.“ | |
Noch immer ist Homosexualität in 69 Ländern strafbar, in sieben Staaten | |
droht für gleichgeschlechtlichen Sex die Todesstrafe. Bei den Olympischen | |
Spielen öffneten zuletzt sogenannte Pride Houses, Treffpunkte für queere | |
Athleten und Fans. „Auch ohne Corona wäre ein solcher Ort in Peking | |
undenkbar“, sagt Wu Jian. In Peking, Schanghai oder Guangzhou muss die | |
LGBTQ-Gemeinschaft ihren Freizeitsport konspirativ organisieren, sonst | |
drohen Repressionen. Und fernab der Metropolen ist der Sport als | |
Rückzugsraum noch pure Utopie. | |
10 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.outsports.com/2018/5/18/17367322/surfer-china-paris-gay-games-c… | |
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Li_Ying_(footballer,_born_1993) | |
## AUTOREN | |
Ronny Blaschke | |
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