# taz.de -- Emanzipation im chinesischen Sport: Weibliches Erfolgsrezept | |
> Olympiagastgeber China setzt vermehrt auf Frauensport. Eine Initiative | |
> für Gleichberechtigung? Wohl kaum. Eher strategisches Kalkül. | |
Bild: Gefördert, gesiegt, gefeiert: Chinas Shorttrackerin Ren Ziwei gewinnt ü… | |
Den Rekord verkündete die [1][Global Times] schon im vergangenen Oktober: | |
„Die Olympischen Winterspiele von Peking registrieren den höchsten Anteil | |
weiblicher Athleten der Geschichte.“ Die von Chinas Kommunistischer Partei | |
kontrollierte Tageszeitung sah den hohen Frauenanteil vorab als „eines der | |
Highlights“ des Großevents. Von rund 2.900 Athletinnen und Athleten sollten | |
gut 45 Prozent Frauen sein. „Echter Geschlechtergleichheit“ komme Olympia | |
damit immer näher. | |
Tatsächlich haben Olympische Spiele, dieses dem menschlichen Willen | |
huldigende Ereignis, bei dem ausschließlich individuelle Leistungen über | |
Sieg oder Niederlage entscheiden sollen, einen alten Makel: Seit mehr als | |
einem Jahrhundert werden Frauen systematisch diskriminiert. Am | |
offensichtlichsten ist dies bei der geringeren Anzahl an Medaillen, die | |
Athletinnen gewinnen können. Auch in Peking wird etwa die Nordische | |
Kombination nur für Männer ausgetragen. Aber immerhin: Allmählich schließt | |
sich das Gender Gap auch im Sport. Thomas Bach, der Präsident des | |
Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hat dies vor einigen Jahren zum | |
Ziel erklärt. | |
Direkt vor Beginn dieser Spiele lobte er seine Institution mal wieder: „Wir | |
haben gute Fortschritte gemacht, von einem Frauenanteil von 41 Prozent 2018 | |
in Pyeongchang zu 45 Prozent hier in Peking, während wir insgesamt auch die | |
Zahl der Wettbewerbe erhöht haben.“ Bei den Sommerspielen 2024 in Paris und | |
den Winterspielen 2026 in Mailand soll dann Parität erreicht sein. Im | |
Gastgeberland hat man dieses Problem nicht. Bei den vergangenen | |
Sommerspielen in Tokio nahmen mehr als doppelt so viele Frauen aus China | |
teil wie Männer. Bei den aktuell laufenden Winterspielen sind von 176 | |
Vertretern Chinas 87 weiblich und 89 männlich. Dabei ist der relativ hohe | |
Männeranteil eher untypisch für das ostasiatische Land und erklärt sich | |
auch dadurch, dass Gastgeberländern bei Olympia stets mehr Startplätze | |
zugesprochen werden. | |
Seit Jahrzehnten widerspricht China der internationalen Geschlechtertendenz | |
im Sport: Hier sind es eher die Frauen, die ihr Land auf weltweiten | |
Turnieren vertreten. Sie sind auch deutlich häufiger diejenigen, die | |
gewinnen: Bei Sommerspielen sind bisher 57 Prozent aller Medaillen auf | |
Frauen zurückzuführen, bei vergangenen Winterspielen sogar knapp 70 | |
Prozent. Bei den Pekinger Spielen ist die Ausbeute bislang eher | |
ausgeglichen. So spricht man in China schon länger schon von der | |
„umgekehrten Geschlechterungleichheit“. | |
Denn dass Chinas Frauen den Männern im Sport enteilen, ist bekannt. In | |
Chinas Internet wird seit Jahren übers schwache Abschneiden der männlichen | |
Fußballnationalmannschaft gelästert – mit Verweis auf die Frauen, die | |
Anfang Februar immerhin Asienmeisterinnen geworden sind. | |
## Deutlicher Männerüberschuss | |
Vor dem Hintergrund der flächendeckenden Überlegenheit der Frauen in China | |
fragte der im Land bekannte Sachbuchautor Wu Xiaobo letzten Sommer | |
rhetorisch: „Wer würde noch sagen, Frauen sind Männern unterlegen?“ Dabei | |
erfahren Frauen auch in China allgemein mehr Diskriminierung als Männer. | |
Ein Beispiel ist die bis 2015 über Jahrzehnte gültige Ein-Kind-Politik, die | |
wegen des zuvor hohen Bevölkerungswachstums eine Obergrenze von einem Kind | |
pro Familie vorgeschrieben hatte. | |
Wegen der traditionellen Vorstellung, dass Söhne zu Stammhaltern einer | |
Familie werden, wurden eher weibliche Föten abgetrieben. Bis heute besteht | |
nicht nur in den von der Ein-Kind-Politik betroffenen Jahrgängen ein | |
deutlicher Männerüberschuss, sondern auch bei Neugeborenen. Diskriminierung | |
gibt es dann auch im Alltagsleben. Im [2][Gender Gap Report des World | |
Economic Forum], der die Geschlechtergleichstellung in den Bereichen | |
Bildung, politische Partizipation, Gesundheit und Jobmöglichkeiten | |
vergleicht, belegt China derzeit von 156 Ländern bloß Platz 107. | |
Sport bildet eine Ausnahme. Die Grundlage hierfür ist der „Olympic Glory | |
Plan“, den die nationale Sportkommission im Jahr 1995 verabschiedete. Ziel | |
war es, China im internationalen Sportgeschäft erfolgreicher zu machen. Mit | |
den damals begrenzten finanziellen Mitteln beschloss man, auf jene | |
Medaillenwettbewerbe zu setzen, bei denen die Chancen am besten standen. | |
Das Ganze wurde auf folgende fünf Adjektive runtergebrochen: klein, | |
technisch, schwierig, weiblich, jung. Je mehr Kriterien ein Wettbewerb | |
erfüllte, desto eher schienen Medaillengewinne in Reichweite. | |
Das Kriterium „weiblich“ erklärt der Autor Wu Xiaobo so: „Die meisten | |
Frauensportarten haben eine kürzere Entwicklungsgeschichte als die | |
entsprechenden Männersportraten. Es gibt weniger Länder, die fähig und | |
willens sind, darin zu investieren, so ist der Wettbewerb etwas weniger | |
intensiv.“ Insgesamt könnte man hier am ehesten Siege einfahren. Mit | |
Gleichberechtigung hat diese Strategie wenig zu tun, aber erfolgreich ist | |
sie. Das IOC kann seinen wegen diverser Menschenrechtsverletzungen | |
umstrittenen Gastgeber China nun als Vorbild für die Welt präsentieren. | |
10 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.globaltimes.cn/ | |
[2] https://www.weforum.org/reports/global-gender-gap-report-2021 | |
## AUTOREN | |
Felix Lill | |
## TAGS | |
Olympische Winterspiele 2022 | |
China | |
Gleichberechtigung | |
Geschlechtergerechtigkeit | |
Volleyball | |
Olympische Winterspiele 2022 | |
Homosexualität im Profisport | |
Olympische Winterspiele 2022 | |
Kolumne Drinnen und Draußen | |
Wassermangel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Volleyballchef über SC Potsdam: „Die Chance müssen wir nutzen“ | |
Die Volleyballerinnen vom SC Potsdam spielen überraschend um den deutschen | |
Meistertitel. Sportdirektor Rieger erklärt, worum es jetzt geht. | |
Zugang zu chinesischen Olympiasiegern: Nationale Nischen | |
Es ist nicht einfach, sich chinesischen Olympiasiegern wie dem | |
Eisschnellläufer Gao Tingyu zu nähern. Eigentlich ist das auch gar nicht | |
vorgesehen. | |
Queere Sportler bei Olympia: Beargwöhntes Anderssein | |
Bei den Pekinger Winterspielen nehmen 36 offen homosexuelle Spieler teil. | |
Aus China ist keiner dabei. Das verwundert kaum. | |
Dopingvorwürfe beim Eiskunstlauf: Probleme am Herzen | |
Beim Eiskunstlaufwettbewerb beeindruckt Nathan Chen aus den USA. | |
Omnipräsent ist allerdings die Russin Kamila Walijewa und der | |
Dopingverdacht. | |
Gourmet-Hauptstadt in Asien: Göttliche Offenbarung | |
Die Olympiareporter leben in einer Fast-Food-Bubble. Ein Jammer. | |
Kulinarisch ist Peking ein Paradies. Für wenig Geld erhält man grandioses | |
Essen. | |
Schlechte Umweltbilanz von Olympia: Nur die Vermarktung ist grün | |
Kunstschnee und Wassermangel: Die Olympischen Winterspiele in Peking sind | |
weitaus weniger nachhaltig, als dies die Organisatoren behaupten. |