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# taz.de -- Bilanz der Winterspiele: Es war kalt
> Die Winterspiele wurden mehr denn je zum Exerzierfeld politischer
> Interessen. Sportlerinnen wie Yilamujiang oder Gu gerieten zwischen die
> Mahlsteine.
Bild: Instrumentalisierung einer Sportlerin: die Uigurin Dinigeer Yilamujiang (…
Es war kalt in [1][Peking]. Oben in Zhangjakou mussten die Athletinnen bei
minus 20 Grad ihre Skier über die Loipen treiben. Es gibt angenehmere
Temperaturen für Ausdauersport. Ob solche Bedingen noch vertretbar sind,
wurde gefragt, nachdem etliche Läuferinnen ihre Rennen nicht beenden
konnten, regelrecht zusammengebrochen sind. Die Natur hat den Wintersport
an seine Grenzen gebracht. Das mag passieren, auch wenn es für die, die da
laufen mussten, eine Zumutung gewesen ist. Doch es gab andere Zumutungen.
Es waren eisige Spiele. Mit dem Wetter hatte das nichts zu tun.
Egal was sich die Organisatoren der Spiele für die Schlussfeier noch
ausdenken, die Geschmacklosigkeit, mit der sie die Eröffnungsfeier zu einer
der finstersten Stunden in der Geschichte der Spiele gemacht haben, wird
unvergessen bleiben. Dinigeer Yilamujiang, eine Uigurin, entfachte das
olympische Feuer. Die Botschaft war ebenso plump wie durchschaubar. Sie
lautete: Was soll dabei sein, wenn eine Sportlerin aus dem Vielvölkerreich
China eine der Hauptrollen im olympischen Spektakel übernimmt? Das IOC
wusste vor der finsteren Party davon. Sie sei eine Olympionikin, kein
Problem, hieß es. Kein Problem?
Die Eröffnungsfeier dauerte bis spät in den Abend hinein. Früh am nächsten
Tag stand der Wettkampf der Langläuferin an oben in den Bergen – mindestens
zwei Stunden entfernt. Nur wer vom Ausdauersport nichts versteht, wird
darin kein Problem sehen. Für die Staffel wurde Yilamujiang dann gar nicht
nominiert. Sie hatte ihre Schuldigkeit ja getan. Doch die Organisatoren
wurden das Thema nicht los. Vier Tage vor Schluss der Spiele platzte Yan
Jiarong, der Sprecherin des Organisationskomitees, auf einer
Pressekonferenz der Kragen. Menschenrechtsverletzungen in der Provinz
Xinjiang? „Eine Lüge.“
## Klarstellung zur Taiwan-Frage
Das sowie ihre Klarstellung zur Taiwan-Frage, wonach es nur ein China geben
könne, hätten das Zeug zu einem großen Skandal gehabt, nutzte sie doch ein
Podium unter den olympischen Ringen für ihre Äußerungen. Das IOC hat sich
ja politische Neutralität verordnet. Den Gastgebern der Spiele kam der Fall
der 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa da wohl ganz gelegen. Das
Thema überlagerte bei der Schlusspressekonferenz von IOC-Präsident Thomas
Bach alles andere.
Bach zeigte sich entsetzt darüber, wie „kalt“ die Entourage des Teenagers
nach Walijewas verpatzter Kür reagiert habe, dass man sich um das Mädchen,
auf dem unvorstellbarer Druck gelastet habe, nach dem Wettbewerb nicht
besser gekümmert habe. Er möchte eine Untersuchung des Falles, möchte, dass
herausgefunden wird, wer dafür verantwortlich ist, dass ein Herzmittel in
einen Kinderkörper gelangt ist.
Beinahe hatte man das Gefühl, Thomas Bach sei wirklich am Wohlergehen von
Sportlerinnen interessiert, denen aus dem eigenen Umfeld Gewalt angetan
wird. Schön wär’s. Die Bilder von den Olympiaausflügen Bachs mit Peng Shuai
sprechen eine andere Sprache. [2][Die Tennisspielerin, die eine Zeit lang
verschwunden war], nachdem sie in einem Social-Media-Post einen
kommunistischen Spitzenfunktionär der Vergewaltigung bezichtigt hatte,
wurde von Bach wie eine Trophäe durch Olympialand geführt, beinahe so, als
hätte er sie persönlich gefunden und gerettet. An der Untersuchung der
Vorwürfe, die sie widerrufen hat, ist er nicht interessiert. Auch das
gehört zu den frostigen Geschichten.
Ausgerechnet zu [3][Eileen Gu] hat Bach die dreimalige Olympiateilnehmerin
Peng Shuai geführt. Die Freestyle-Skifahrerin, die in den USA aufgewachsen
ist, eine chinesische Mutter hat und sich mit 15 entschieden hat, für die
Volksrepublik zu starten, war eines der Gesichter der Spiele. Als
Sportlerin schier unschlagbar, als Werbefigur so reizvoll, dass sie in
China und den USA so viel verdient wie noch nie eine Athletin aus dieser
Nischensportart zuvor. Während der Spiele konnte man die Versuche
beobachten, die Doppelolympiasiegerin regelrecht zu zerreißen.
## „Das arme Mädchen“
Patriotische US-Journalisten fragten immer wieder, ob sie noch
Staatsbürgerin der USA sei. Gu, die weiß, dass normalerweise keine andere
Staatsbürgerschaft haben darf, wer den Pass der Volksrepublik besitzt,
blieb nichts anderes übrig, als der Frage auszuweichen. Prompt wurde sie
als Propagandamaskottchen der Chinesen verunglimpft. Dass auch sie mit
ihren 18 Jahren noch ein Teenager ist, bewahrte sie nicht vor der
politischen Instrumentalisierung ihrer Biografie.
Eine Politisierung sahen auch russische Journalisten im Umgang westlicher
Medien mit dem Fall Walijewa. „Das arme Mädchen“, von dem immer die Rede
war, ist für etliche von ihnen nicht viel mehr gewesen als ein Werkzeug für
ihre Storys über den Kampf der russischen Sportwelt mit dem Westen.
Westliche Journalisten, die in Walijewa kein Mädchen, sondern ein
Laborprodukt aus Putins Dopingwerkstätten sahen, lieferten da Vorlagen, die
die Gegenseite aufgenommen hat. Wundern muss man sich gewiss nicht, dass
bei dieser Weltenlage eine derart kalte Atmosphäre herrschte in Peking.
Klar, es gab auch Sport. Und den Deutschen wurde mit dem Sieg der
Langlaufstaffel der Frauen ein olympischer Moment geliefert, der bleibt.
Sportsgeist, auch davon gab es jede Menge. Unterlegene gratulieren Siegern.
Nur wenn das so ist, funktioniert der Sport. Das IOC braucht es dafür
nicht, auch wenn Thomas Bach in der Umarmung zweier Trickski-Akrobaten auf
der Aerials-Schanze gar den olympischen Geist erkannt haben will. Der
russische Bronzemedaillengewinner Ilja Burow und der Zweitplatzierte
Oleksandr Abramenko aus der Ukraine hatten sich nach dem Wettkampf umhalst.
Gewiss eine große Geste in kriegerischen Zeiten, die zeigt, welche
Reichweite Bilder von der olympischen Bühne haben können. Doch so
herzerwärmend diese Geste auch war, es ist kalt geblieben in Peking.
Eiskalt.
19 Feb 2022
## LINKS
[1] /Olympische-Winterspiele-2022/!t5275448
[2] https://olympics.com/ioc/news/ioc-statement-on-the-situation-of-peng-shuai
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Eileen_Gu
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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