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# taz.de -- Podcast über Eisenhüttenstadt: Sie ist ein Modell
> Für einen Podcast kehrt der Performer Friedrich Liechtenstein in seine
> alte Heimat zurück. Das wirft ein neues Licht auf diesen utopischen Ort.
Bild: Hüttenstadt kommt von Hütte: das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt
Berlin/Eisenhüttenstadt taz | Eisenhüttenstadt, 90 Zugminuten Richtung
Osten vom Berliner Hauptbahnhof entfernt, ist eine Stadt, über die schon
viel erzählt wurde. Erbaut unter dem Namen Stalinstadt ab dem Jahr 1953 war
sie die erste sozialistische Modellstadt der DDR. Kurz vor der Wende gab es
in Eisenhüttenstadt über 53.000 Einwohner, bei der letzten Zählung 2020
[1][waren es nur noch knapp 24.000]. Denn obwohl es dort noch immer ein
Hüttenwerk gibt, arbeiteten statt der 16.000 vor der Wende heute noch 3.200
Menschen dort. Die Bevölkerungsprognose sagt, dass die Stadt bis 2030
weitere 4.000 Einwohner verlieren wird.
Was könnte man also von Eisenhüttenstadt erzählen, außer dass sich an ihr
die Geschichte der DDR und des zerplatzten Traums vom besseren Leben
lebendiger erzählen lässt als an kaum einem anderen Ort? Der fünfteilige
RBB-Podcast „Liechtenstein in Stalinstadt“ von Johannes Nichelmann macht
vor, wie es geht. Er ist in Zusammenarbeit mit dem Museum Utopie und Alltag
entstanden, das noch bis Ende Mai in Eisenhüttenstadt eine Ausstellung über
die Stadt zeigt.
Aber Moment mal, Liechtenstein? War das nicht dieser bärtige Kauz aus der
Edeka-Werbung („supergeil“)?
In der Tat begibt sich der Podcast mit Friedrich Liechtenstein nach
Eisenhüttenstadt auf Spurensuche. Der 1956 geborene Berliner Musiker,
Schauspieler, Entertainer und Internetstar mit dem weißen Bart und der
sonoren Stimme lässt sich, und daran lässt der Podcast keinen Zweifel,
nicht ausschließlich dem glänzenden Reich der Hipster und Hedonisten in
Berlin-Mitte zuordnen.
Liechtenstein hat an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch
Puppenspiel studiert und als Theatermacher gearbeitet: Er war kurzzeitig
Chef eines Fernsehsenders, Intendant des Hansa-Theaters, hat den
Fernsehturm als Diskokugel inszeniert und am Bauhaus Dessau über Design und
Utopie referiert.
Vor allem aber ist Friedrich Liechtenstein, der mit bürgerlichem Namen
Hans-Holger Friedrich heißt, als Sohn einer Kindergärtnerin und eines
Zahntechnikmeisters in Eisenhüttenstadt aufgewachsen. Eine schillernde
Kunstfigur wie Liechtenstein in eine Stadt zurückzuschicken, die ihn
einerseits geprägt hat, von deren Versprechungen und Enttäuschungen er sich
aber seit seinem Weggang vor 50 Jahren auf unglaublichste Weise
freigeschwommen hat: Das ist die Fallhöhe, von der der Podcast
„Liechtenstein und Stalinstadt“ vor allem lebt.
## Sprudelnde Fontänen
Deshalb sind eigentlich auch die ersten Folgen des Podcasts mit den Titeln
„Sprudelnde Fontänen“ und „Utopie und Alltag“ am schönsten. Denn in d…
wird von der Kindheit und Jugend der Stadt und Friedrich Liechtensteins
berichtet. In den Folgen danach, wo es um die Endphase der DDR, die
Traumata der Nachwendezeit und um die Stadt heute geht, die um ihre Zukunft
kämpft, weiß Liechtenstein nicht sehr viel zu berichten, denn, so erfährt
man: Mit 16 ist Liechtenstein aus der Stadt geflüchtet, und er ist nie
wieder zurückgekehrt. „Will ich mich wirklich auf diesen nassen Lappen
setzen?“, fragt er belustigt ganz am Anfang des Podcasts.
Doch wie gesagt: In den ersten beiden Folgen erhält man vor allem dann noch
einmal ganz neue Blickwinkel auf die DDR, wenn die zahlreichen
Interviewpartner zu Wort kommen, wie die Fotografin Jennifer Endom, die
durch den Podcast führt, und vor allem durch Friedrich Liechtenstein
selbst. Er beschreibt das Gefühl, in einer neuen, hellen und schönen Welt
heranzuwachsen, ziemlich anschaulich.
Bei einem Spaziergang durch die Stadt assoziiert Liechtenstein mit seiner
Märchenonkelstimme und seinem charmanten Berliner Slang auf äußerst
fesselnde Weise vor sich hin: Damals war noch mehr sozialistischer
Realismus im öffentlichen Raum, noch mehr Brunnenanlagen auch, aber viele
wurden offenbar „vom Sieger der Geschichte“ zugeschüttet. Einige der
Kulturpaläste, die größer waren als Banken, stehen noch.
## Was Neues!
Liechtenstein berichtet von den bürgerlichen Eliten, die nach dem Krieg
eher in den Westen gingen, und von jenen, die eher blieben. Und irgendwann
dann wirklich tolle Sätze, ganz ohne Nostalgie: „Viele hatten keinen Bock
mehr auf Krieg. Das finde ich schon nachvollziehbar, dass die sagten: Haut
ab, ihr Idioten. Haltet die Fresse, ihr habt’s richtig versemmelt. Wir
machen jetzt was Neues. “
Vor diesem Hintergrund bleibt die Analyse des Podcasts durch die Brille von
Liechtenstein spannend: Wie war das, als es in Eisenhüttenstadt schon ab
den Siebzigern zu quietschen und zu ächzen begann, wie fühlte es sich an,
als plötzlich alle anfingen, vom Westen zu träumen? Liechtenstein
jedenfalls, auch das kommt im Podcast anschaulich rüber, suchte eher die
Freiheit am Rand, die man als Puppenspieler in der DDR haben durfte.
Und nach der ersten Euphorie nach dem Mauerbau, als die Abwicklung und die
Arbeitslosigkeit, die Kränkung und die Demütigung vieler begannen? Da lebte
Liechtenstein längst in Berlin. Deshalb bleibt der Podcast von hier an vor
allem spannend, wenn er Liechtenstein einfach von sich selbst weiterreden
lässt. Denn anders als vielen anderen, die blieben, ist es ihm nur aus der
Distanz heraus gelungen, sich eine Art Schutzschicht zuzulegen. Eine
Schutzschicht, die ziemlich viel Glitzer enthält.
28 Feb 2022
## LINKS
[1] /Auf-und-ab-in-Eisenhuettenstadt/!5779419
## AUTOREN
Susanne Messmer
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