Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- NRW-Landtagswahlen: Die gestörte Harmonie der CDU
> Die Kür von Hendrik Wüst zum Spitzenkandidaten sollte eine
> „Jubelveranstaltung“ werden. Doch dann beklagt ein Delegierter die
> fehlende Diversität.
Bild: Deniz Guener CDU Kandidat aus Duisburg-Marxloh beklagt die fehlender Dive…
Essen taz | Hendrik Wüst kämpft. Mut machen und motivieren will
Nordrhein-Westfalens Regierungschef bei der „Landesvertreterversammlung“am
Samstag in Essen. Die Kandidat:innenliste der CDU für die am 15. Mai
anstehenden NRW-Wahlen soll durchgewunken werden. „Seit 100 Tagen bin ich
Ministerpräsident“, ruft Wüst in die mit mehr als 230 Delegierten besetzte
Grugahalle. „13 Prozent“ habe seine Partei bei seinem Amtsantritt im
Oktober, nach der Niederlage seines Vorgängers Armin Laschet als
Kanzlerkandidat, hinter den Sozialdemokraten gelegen. „In nur 100 Tagen
haben wir das aufgeholt“, wirbt der 46-jährige Landesparteichef für sich.
Denn heute liegen die beiden geschrumpften Volksparteien etwa gleichauf –
je nach Umfrage führt mal die CDU, mal die SPD. Im bevölkerungsstärksten
Bundesland mit seinen 18 Millionen Einwohner:innen scheint alles auf
ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Wüst und seinem SPD-Herausforderer Thomas
Kutschaty herauszulaufen. Und: Bleiben die Grünen weiter deutlich stärker
als die FDP, wäre in NRW sogar der Klassiker Rot-Grün wieder drin.
Für Wüst geht es also um alles. Siegt er in NRW, ist [1][er neben Friedrich
Merz] der neue starke Mann der CDU. Verliert er, droht ihm das Schicksal
seines Vorgängers Laschet.
Gewinnen will der Christdemokrat offenbar mit einer Wohlfühl-Agenda ohne
große Zumutungen. „Junge Leute sollen wissen: Wir tun alles für
Klimaschutz“, erklärt Wüst. Direkt danach aber warnt der
Ex-Verkehrsminister vor unbezahlbaren Benzinpreisen, fordert eine Erhöhung
der Pendlerpauschale.
In einem Werbefilm, der die Delegierten überzeugen soll, redet Wüst über
die „Vielfalt“ Nordrhein-Westfalens, die er repräsentieren will. Der Spot
soll ihn als dynamischen Macher vorstellen – oft ist Wüst darin auf einem
Fahrrad zu sehen. Auch in seiner folgenden Rede klingt er fast wie ein
Sozialdemokrat: Natürlich verspricht Wüst bestmögliche
Gesundheitsversorgung, bestmögliche Bildung. Warum in NRW Krankenhäuser
trotz Pandemie geschlossen, warum ab Ende Februar selbst an Grundschulen
nicht mehr auf Corona getestet werden soll, erklärt er nicht.
Überhaupt, die Pandemie: Die soll der Grund sein, warum seine CDU noch kein
ausgearbeitetes Wahlprogramm präsentiert. Mitten in der Covid-Bekämpfung
gebe es „kein Verständnis für Wahlkampf“. Geführt werden soll der nach
Ostern „kurz und intensiv“, erklärt der CDU-Landeschef. Weiter steigen
dürfte bis dahin auch sein Bekanntheitsgrad: Als Vorsitzender der
Ministerpräsidenten-Konferenz ist Wüst medial viel präsenter ist als
[2][SPD-Mann Kutschaty].
## 99,1 Prozent Zustimmung
Den Christdemokraten reicht das. „Eine Jubelveranstaltung“ solle das
Treffen in der Essener Grugahalle werden, hatten manche schon im Vorfeld
erklärt. Jetzt gibt es Standing Ovations – um 11:28 Uhr ist Wüst mit 99,1
Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt. Sichtlich erleichtert dankt der für
das „super-starke Ergebnis“, das „zusätzlich Rückenwind“ gebe – und
verspricht: „Wir rocken das Ding“.
Folgen sollte jetzt eigentlich Routine. Ginge es nach der
Versammlungs-Regie von Generalsekretär Josef Hovenjürgen, würden die
weiteren 132 Plätze der seit Wochen zwischen Kreis- und Bezirksverbänden
und dem Landesvorstand ausgehandelten Landesliste schnell abgenickt. Doch
das klappt nur bis Platz 11. Zwar werden so die Minister:innen für
Heimat, Inneres, Soziales, Landwirtschaft, Verkehr und Finanzen ebenso
abgesichert wie Fraktionschef Bodo Löttgen und Hovenjürgen selbst. Bei
Platz 12 aber stört ein Delegierter mit Migrationshintergrund die
ausgefeilte Inszenierung.
Mit einer Kampfkandidatur tritt hier der aus dem Duisburger Brennpunkt
Marxloh stammende, eigentlich auf Rang 87 der Liste platzierte Deniz Güner
ausgerechnet gegen Staatskanzleichef Nathanael Liminski an. Der galt einmal
als „Mastermind“ Laschets. Doch nach dessen Niederlage ist Liminski nicht
mehr unumstritten: Im Kampf um ein Direktmandat fiel er in seinem eigenen
Heimatkreis Rhein-Sieg durch.
Erst im zweiten Anlauf konnte er sich eine Kandidatur im Wahlkreis Köln III
sichern – und muss dort gegen die stellvertretenden
Landtagsfraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Jochen Ott und Arndt
Klocke, antreten. Echte Chancen auf ein Direktmandat hat Liminski deshalb
nicht. Wenn er in den Landtag soll, braucht er die Absicherung über die
Liste.
Doch Güner, dessen Name allein unter den vielen kandidierenden Laumanns,
Winkelmanns, Hausmanns, Bergmanns und Schlottmanns auffällt, hält eine
bemerkenswerte Rede. Nicht nur erinnert der mit drei akademischen
Abschlüssen ausgestattete Betriebswirt als erster und einziger an den
Mordanschlag von Hanau, bei dem ein Rassist vor genau zwei Jahren neun
Menschen mit Migrationshintergrund ermordete.
Unter fast betretenem Schweigen des Saals kritisiert Güner die größte
Schwäche der nordrhein-westfälischen Christdemokraten, die schon feiern,
dass 40 Prozent ihrer Liste mit Frauen besetzt ist: Die von Wüst zwar
versprochene, aber fehlende „Vielfalt“ – also die offensichtliche Weigeru…
der CDU, auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in den Landtag bringen zu
wollen.
„Lassen Sie uns gemeinsam daran denken, was es heißt, ein Abbild der
Gesellschaft zu sein in einem Bundesland, in dem ein Drittel der Menschen
einen Zuwanderungshintergrund hat“, mahnt der 43-jährige Güner. Zwar sei er
gewarnt worden, dass er „die Harmonie“ störe. Trotzdem müsse sich
„Vielfalt“ eben auch „numerisch“ abbilden. „Erschütternd“ sei doch…
Bundestag selbst die Migrant:innen-Quote der AfD höher sei als die der CDU.
Für den offenbar wegen einer Corona-Erkrankung abwesenden Liminski geht
Wüst selbst in die Bütt. Der Spitzenkandidat wirkt plötzlich gar nicht mehr
dynamisch-progressiv, sondern leicht verunsichert. Liminski sei vierfacher
Vater, ein „totaler Familienmensch“, als „Chef der Staatskanzlei zentral
für unsere Arbeit“, wirbt Wüst – und setzt sich durch: Für Liminski
votieren 178, für seinen Herausforderer nur 47 Delegierte.
Dass Güner trotzdem mehr als einen Achtungserfolg erzielt hat, zeigt die
dann folgende Abstimmung der Plätze 13 bis 132: Niemand der Kandidierenden
bekommt weniger als 96 Prozent Zustimmung. Ausgerechnet der
Staatskanzleichef hat mit 77,1 Prozent das mit Abstand schlechteste
Ergebnis eingefahren. Mehr als 20 Prozent der Delegierten hat begriffen,
dass sich Nordrhein-Westfalens Christdemokraten nicht länger als
christlich-biodeutscher Club verstehen dürfen, wenn sie für Menschen mit
Migrationshintergrund wählbar werden und das auch bleiben wollen.
„Als ich in die CDU eingetreten bin“, sagt Güner selbst dazu, „haben mich
meine Freunde ausgelacht.“
21 Feb 2022
## LINKS
[1] /Neuer-CDU-Chef-Friedrich-Merz/!5829938
[2] /SPD-Parteitag-in-NRW/!5836342
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
CDU
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
Hendrik Wüst
Nordrhein-Westfalen-Wahl 2022
ThyssenKrupp
SPD
Schwerpunkt Klimawandel
Union
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Armin Laschet
## ARTIKEL ZUM THEMA
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Der Stahl der Zukunft
In Duisburg arbeiten immer noch 13.000 Menschen in der Stahlproduktion. Die
könnte bald klimaneutral werden. Einblicke in ein monströses Projekt.
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Wahlkampfauftakt ohne Gegner
Sechs Wochen vor der NRW-Wahl ist die SPD bereits mit Spitzenpersonal auf
dem Platz. Und die CDU? Überlegt noch, wann sie einsteigt.
CDU-Parteitag in NRW: Wissen, was NRW braucht
Das Wahlprogramm steht: Für die Partei um Landesvater Wüst hat
Sicherheitspolitik Priorität. Und Klimaschutz soll ein Versöhnungsprojekt
werden.
CDU und CSU im Bundestag: Merz ist wieder Fraktionschef
Vor 20 Jahren vertrieb ihn Merkel, jetzt führt Friedrich Merz wieder die
Unionsfraktion. Knapp 90 Prozent der Abgeordneten stimmten für ihn.
Neuer Regierungschef in NRW: Der Wackelkandidat
Die CDU-FDP-Koalition in NRW zeigt bei der Wahl von Laschet-Nachfolger Wüst
Geschlossenheit. Alles andere wäre auch politischer Suizid gewesen.
Laschets Nachfolger Hendrik Wüst: Der Unvermeidliche
Einst wurde Hendrik Wüst als Generalsekretär der CDU in NRW gefeuert. Jetzt
soll er Ministerpräsident und Landesparteichef werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.