| # taz.de -- Afghanistan bei der Sicherheitskonferenz: Der Westen möchte gerne … | |
| > Sechs Monate nach dem Nato-Abzug aus Afghanistan will man in München | |
| > nicht über Vergangenes sprechen. Aktuelle Strategien gibt es aber auch | |
| > nicht. | |
| Bild: Senator Lindsey Graham machte gleich zu Beginn klar, nicht mit den Taliba… | |
| Berlin taz | Wer lernt, Veranstaltungen zu moderieren, hört, dass die | |
| Diskutierenden wie Gäste zu behandeln seien. In Realität geht das so lange | |
| gut, wie sich die Eingeladenen als solche benehmen. Als ARD-Moderatorin | |
| Natalie Amiri versuchte, die Ergebnisse ihrer Diskussionsrunde zu | |
| Afghanistan bei der Münchener Sicherheitskonferenz zusammenzufassen, sagte | |
| sie: „Ich bin schockiert.“ Kurz zuvor hatte der republikanische US-Senator | |
| Lindsey Graham Äußerungen von Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeldt | |
| als das Naivste bezeichnet, was er gehört habe. | |
| In München sollte am Samstag ein hochkarätiges Panel aus sechs Menschen | |
| Antworten auf die drängendsten Fragen für Afghanistan geben. Vor einem | |
| halben Jahr hatte das Nato-Bündnis das Land plan- und bedingungslos | |
| verlassen, ihr Erbe prägt Afghanistan seitdem: Chaos, eine humanitäre | |
| Katastrophe und die Taliban an der Macht. Doch Fragen genau dazu wurden | |
| gleich zu Beginn der Diskussion ausgeklammert. „Wir haben nicht die Zeit, | |
| um über die Vergangenheit zu sprechen“, sagte Amiri. Was es jedoch auch | |
| nicht gab, waren Strategien für die Gegenwart. | |
| [1][Nur sechs Monate nach dem Scheitern des jahrzehntelangen | |
| Nato-Einsatzes] ist Afghanistan für den Westen heute ein Nebenschauplatz. | |
| Bei der Münchener Sicherheitskonferenz stand das Desaster nicht nur im | |
| Schatten des Ukraine-Konflikts; die öffentliche Auseinandersetzung mit den | |
| begangenen Fehlern könnte in Zeiten von militärischen Muskelspielchen mit | |
| Russland wohl den Glauben an die Schlagkraft der Nato unterminieren. | |
| So diskutierten der Afghanistan-Beauftragte des US-Außenministeriums, | |
| Thomas West, Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeldt und Graham, der | |
| auch im Haushaltsausschuss des US-Senats sitzt, Afghanistan als technisches | |
| Thema, mit dem sie sich nur zufällig auseinandersetzen. Die eindringlichen | |
| Appelle der afghanischen Frauenrechtlerin Mahbouba Seraj und von Moeed | |
| Yusuf, Sicherheitsberater der pakistanischen Regierung, verhallten in | |
| dieser Runde völlig. | |
| ## Graham fährt auf | |
| Etwa 24 Millionen Menschen leiden in Afghanistan laut UN akut an Hunger, | |
| die Hälfte davon sind Kinder. Afghanistan ist dabei, der Dauerkatastrophe | |
| im Jemen den Rang als größte humanitäre Krise der Menschheit abzulaufen. | |
| Wer den Menschen dort jetzt helfen will, ist auf die Taliban angewiesen. In | |
| München wurde das Leben dieser Millionen aber verhandelt, als seien sie | |
| misslicher Teil eines Dilemmas. Wie helfen, ohne die Taliban zu | |
| unterstützen? | |
| Graham kam wegen der zeitgleich stattfindenden Diskussion mit dem | |
| ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zu spät zum Panel, doch er | |
| machte klar: „Ich werde nichts tun, das die Taliban stärkt.“ Da das | |
| Herumlavieren der Runde zuvor immer bedrückender geworden war, machte diese | |
| Aussage zumindest die Haltung eines der Panel-Teilnehmer:innen deutlich. | |
| Etwas hitziger wurde es, als Außenministerin Huitfeldt entgegnete, man | |
| müsse mit den Taliban diskutieren, um eine Strategie für Sicherheit in | |
| Afghanistan entwickeln zu können. Graham nannte das naiv, Huitfeldt zog | |
| zurück. Dabei war sie es, die mit norwegischer Diplomatie [2][vor zwei | |
| Wochen in Oslo die Taliban mit Frauenrechtsorganisationen zusammengeführt] | |
| und humanitäre Hilfen geplant hatte. | |
| Nur weil man die Taliban nicht möge, könne man nicht 35 Millionen Afghanen | |
| für sie strafen, sagte Yusuf, der Sicherheitsberater der pakistanischen | |
| Regierung. Was gäbe es denn für Alternativen, fragte er. „Unterstützt | |
| Afghanistan zum Wohle Afghanistans.“ Der Westen habe sich nicht in der | |
| Region beraten, als der Einmarsch geplant wurde. Nach dem Abzug solle man | |
| jetzt aber nicht so tun, als handele es sich um ein regionales Problem. | |
| Frauenrechtsaktivistin Seraj wollte wissen, was für eine Strategie der | |
| Westen habe. „Die gleichen Fehler werden wieder und wieder gemacht“, sagte | |
| sie. „Für mich stellt sich im Moment die Frage, ob wir wirklich wollen, | |
| dass der Frieden in Afghanistan eintritt. Wenn ja, dann müssen sie | |
| anfangen, die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.“ Statt | |
| Serajs Aussagen als Diskussionsgrundlage aufzugreifen, vertieften sich die | |
| Panel-Teilnehmer:innen lieber in eine technische Debatte darüber, warum die | |
| internationalen Sanktionen für das ausgehungerte, gebeutelte Land eben | |
| nicht aufgehoben werden können. | |
| Hina Rabbani Khar, ehemalige Außenministerin Pakistans, saß nicht im Panel, | |
| war aber Zuschauerin in München. Sie sagte: „Sie [die USA] kamen, weil es | |
| eine Nachfrage seitens ihrer eigenen Bevölkerung gab, und zogen sich | |
| zurück, weil es nun andere Interessen gab. Die Region ist mit den Problemen | |
| zurückgeblieben.“ Und so gab es doch eine Betrachtung der Vergangenheit bei | |
| der Diskussion, deren Gegenwart das logische Resultat ist. Ausbaden tut es | |
| nicht der Westen, sondern die Bevölkerung Afghanistans. | |
| 20 Feb 2022 | |
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