# taz.de -- Drogenwirtschaft in Afghanistan: Taliban vs. Opium | |
> Mitten in der Erntezeit verbieten die Taliban Opiumanbau und -handel. | |
> Dies könnte die humanitäre Krise in Afghanistan weiter verschärfen. | |
Bild: Bauern bei der Opiumernte in der südafghanischen Provinz Helmand | |
Berlin taz | „Alle Afghanen werden informiert, dass ab jetzt der Mohnanbau | |
im ganzen Land strikt verboten ist.“ Dieses Dekret von Talibanchef | |
[1][Maulawi Hebatullah Achundsada] wurde am Sonntag in Kabul bei einer mit | |
viel Geheimnistuerei einberufenen Pressekonferenz verlesen. Es gelte auch | |
für „die Verwendung, den Transport, Handel, Export und Import aller Arten | |
berauschender Substanzen wie Alkohol, Heroin, Crystal Meth, K-Tabletten, | |
[2][Haschisch]“ und Fabriken zur Drogenherstellung. Zuwiderhandlung würde | |
nach islamischem Recht bestraft. | |
Afghanistan ist seit Jahrzehnten mit Abstand größter Produzent von | |
Rohopium, dem Harz der Opiummohnblüte, derzeit mit 85 Prozent der | |
Weltproduktion. Die Einnahmen daraus schätzt die UNO auf gut sieben Prozent | |
des Bruttoinlandsprodukts. Bei Haschisch steht Afghanistan auf Platz zwei. | |
Dazu kommen beträchtliche Umsätze mit K-Tabletten, synthetischen, | |
methamphetaminhaltigen Drogen, die aus wildwachsenden Ephedrastauden | |
gewonnen werden. | |
Die UNO schätzt, dass 2021 in Afghanistan 6.800 Tonnen Rohopium geerntet | |
wurden. Daraus lassen sich 320 Tonnen Heroin herstellen. Das Knowhow ist | |
inzwischen im Land weit verbreitet. Die sogenannten Heroinfabriken bestehen | |
meist nur aus ein paar Fässern, leicht zu beschaffenden Chemikalien und | |
einem Brett zum Rühren. | |
Oft erfolgt die Drogenproduktion in Familienunternehmen. Aufkauf und | |
Vertrieb übernehmen Schmugglernetzwerke, die aber weniger zentralisiert | |
sind als die Coca-Kartelle in Mexiko oder Kolumbien. | |
## Heroin ist Afghanistans Hauptexportprodukt nach Europa | |
80 Prozent des afghanischen Heroins werden mit auf dem Weg rasant | |
steigender Profitspanne nach Europa geschmuggelt. Deshalb wandten die | |
westlichen Geber der Regierungen der Präsidenten Hamid Karsai (2001–2014) | |
und Aschraf Ghani (2014–2021) Unsummen zur Bekämpfung der Opiumökonomie auf | |
– allein die USA seit Ende 2001 fast neun Milliarden Dollar. | |
Zugleich konterkarierte der Westen dies durch sein Bündnis mit sogenannten | |
regierungstreuen Warlords und Milizen. Letztere schützten die | |
Drogentransporte und die Warlords die -händler, wenn sie gefasst wurden. | |
Zusammen schöpften sie den Löwenanteil des Inlandsprofits ab, weit mehr als | |
die Taliban. | |
Die westlichen Regierungen opferten die Drogenbekämpfung also dem Kampf | |
gegen die Taliban, der aber verloren wurde, auch weil die Drogengelder das | |
pseudodemokratische System korrumpierten. Die Opiumproduktion stieg in der | |
Zeit rasant und liegt seit drei Jahren über der 6.000-Tonnen-Marke. Der | |
Rekord waren 2017 9.000 Tonnen. In den Jahren davor waren es meist unter | |
3.000 Tonnen, früher noch weniger. | |
Drogenproduktion und -konsum waren durch Gesetze und die Scharia eigentlich | |
längst verboten. Doch sahen die Taliban bis letzten Sommer darüber hinweg, | |
so lange nur exportiert wurde, also die „Ungläubigen im Westen“ die Drogen | |
konsumierten. | |
## Drogenpolitik der Taliban zwischen Besteuerung und Verbot | |
Die Taliban besteuerten Anbau und Export, und diese Mittel flossen in die | |
Finanzierung ihres Aufstands. Während ihrer ersten Herrschaft (1996–2001) | |
hatten die Taliban schon einmal den Opiumanbau untersagt und die | |
Jahresproduktion mit drakonischen Methoden unter 100 Tonnen gedrückt. | |
Mit dem jetzigen Drogenbann wollen die Taliban von der Debatte um die | |
[3][Schließung höherer Mädchenschulen] ablenken, meint David Mansfield, der | |
wohl beste Kenner der afghanischen Drogenwirtschaft. | |
Doch könnte der Schuss nach hinten losgehen. Im Gegensatz zu damals fällt | |
das Verbot genau in die gerade beginnende Opiumernte in den | |
Taliban-Haupteinflussgebieten im Süden des Landes. Wird das Verbot | |
tatsächlich umgesetzt, könnte es die dortigen Kleinbauern unter die | |
Armutsgrenze stoßen, über der sie sich dank Opiumeinnahmen bisher noch | |
hielten. Daraus könnte Widerstand erwachsen oder zumindest die Talibanbasis | |
erodieren. | |
Die Mädchenschulschließung hat die westliche Bereitschaft zu humanitärer | |
Hilfe weiter gedämpft. Bei einer Konferenz, mit der die UNO vorige Woche | |
dafür 4,4 Milliarden Dollar einwerben wollte, kam nach offiziellen Angaben | |
nur die Hälfte davon zusammen. Laut Experten ist nur die Hälfte davon neues | |
Geld. | |
5 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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